Wer wird britischer Premierminister?
Nachfolger für Theresa May gesucht

Die Suche nach einem Nachfolger der britischen Premierministerin Theresa May ist angelaufen. Zehn Politiker der regierenden Konservativen bewerben sich um den Posten als Chef der Partei und damit auch um das Amt des Premierministers.
Publiziert: 12.06.2019 um 09:37 Uhr
|
Aktualisiert: 12.06.2019 um 09:44 Uhr
Der ehemalige britische Aussenminister Boris Johnson gilt als heissester Anwärter für das Amt des Chefs der konservativen Partei und britischen Premierminister.
Foto: AFP
1/13

Mit einem speziellen Auswahlverfahren wird in London der neue Chef der konservativen Partei in London bestimmt.

Wie wird man Premierminister?

Jeder Kandidat braucht die Unterstützung von mindestens acht Abgeordneten. Es wird erwartet, dass dabei bereits einige der Bewerber aus dem Rennen scheiden.

Das Verfahren ist in zwei Phasen geteilt. In der ersten Phase wird das Feld der Bewerber von den Tory-Abgeordneten in mehreren Wahlgängen auf zwei reduziert. Diese beiden müssen sich einer Stichwahl unter den Parteimitgliedern stellen. Bis Ende Juli soll ein Sieger feststehen und May dann auch an der Regierungsspitze ablösen.

May hatte am vergangenen Freitag ihr Amt als Parteichefin aufgegeben. Ihr war es nicht gelungen, ihre Partei und das zerstrittene Parlament im Brexit-Kurs zu einigen. Drei Mal war ihr mit Brüssel ausgehandelter Deal im Unterhaus krachend durchgefallen.

Down mit der Downing Street: Theresa May nimmt den Hut.
Foto: imago/PA Images
1/32

Diese Tory-Politiker wollen May beerben

Boris Johnson

Als Favorit gilt der Brexit-Hardliner und frühere Aussenminister Boris Johnson. Er ist zwar als Chefdiplomat in viele Fettnäpfchen getreten. Ihm wird aber zugetraut, enttäuschte Brexit-Wähler, die sich von den Konservativen abgewendet haben, zurückzugewinnen. Schon am Sonntag sorgte er für einen Paukenschlag: Er drohte der Europäischen Union, die für den Brexit vereinbarten Zahlungen in Höhe von 39 Milliarden Pfund (rund 44 Milliarden Euro) zurückzuhalten. Dabei handelt es sich etwa um langfristige Lasten wie Pensionszahlungen für EU-Beamte. Johnson sagte der «Sunday Times», er würde das Geld so lange nicht bezahlen, bis es bessere Bedingungen und «mehr Klarheit» über das weitere Vorgehen gebe.

Auch optisch scheint er sich auf seine Kandidatur eingestellt zu haben: Er hat deutlich abgenommen und sich von seiner wilden Mähne verabschiedet. Rhetorisch ist er ganz der Alte geblieben: Den Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, und Nigel Farage von der neuen Brexit-Partei verglich er am Sonntag in der «Sunday Times» mit Seeungeheuern aus der griechischen Mythologie.

Michael Gove

Umweltminister Michael Gove wurden gute Chance auf das Amt des Premierministers eingeräumt. Ob das aber so bleibt? Am Wochenende gab er in Interviews zu, Kokain genommen zu haben - vor mehr als 20 Jahren «bei verschiedenen Gelegenheiten". Er bedauere dies sehr und gehe davon aus, dass ihn das nicht für die Bewerbung disqualifiziere. Kurz darauf legte Gove mit einem Versprechen nach, sollte er Mays Nachfolger werden: Er wolle die Mehrwertsteuer durch ein einfacheres System ersetzen, kündigte er an. Kritiker sehen in ihm einen Wendehals. Gove gilt als bestens vernetzt - nicht nur im Parlament, sondern auch bei den Mächtigen in der Welt der Medien. Als er nach einem gescheiterten Versuch, Premierminister zu werden, kurzzeitig auf den hinteren Bänken im Parlament Platz nehmen musste, verdingte er sich nebenberuflich als Journalist. Er gilt als Protegé des US-Medien-Moguls und Trump-Verbündeten Rupert Murdoch.

Jeremy Hunt

Aussenminister Jeremy Hunt hat eine Wandlung vom EU-Befürworter zum Brexit-Anhänger durchgemacht. Viele glauben, dass er sich damit schon in Position bringen wollte für die May-Nachfolge. Als Aussenminister gelang es ihm, die europäischen Verbündeten mit ähnlich provokativen Stellungnahmen gegen sich aufzubringen wie sein Vorgänger Boris Johnson. Bei einer Parteitagsrede verglich er die EU mit der Sowjetunion. Vor allem aus den osteuropäischen Mitgliedsstaaten handelte er sich damit wütende Reaktionen ein. Ob er auch Drogenerfahrungen wie Gove habe?, wurde der Aussenminister nun in Interviews gefragt. Nur ein «Cannabis-Lassi» auf Joghurt-Basis als Rucksackreisender während einer Indienreise, sagte Hunt schmunzelnd.

Rory Stewart

Seine Fans halten ihn für äusserst kompetent, doch er bleibt nach Einschätzung britischer Medien ein Aussenseiter: Entwicklungshilfeminister Rory Stewart, der ein bisschen Ähnlichkeit mit Rocksänger Mick Jagger in jungen Jahren hat, ist eigentlich ein EU-Anhänger. Er akzeptiert jedoch das Ergebnis des Brexit-Referendums. Einen ungeregelten Austritt aus der EU lehnt Stewart kategorisch ab und will mit Bürgerbeteiligung einen Brexit-Kompromiss ausarbeiten. Sollte er Premierminister werden, möchte er den Klimaschutz stärken. Stewart ist ein Tausendsassa: Er verfasste mehrere Bücher, unterrichtete privat die Prinzen William und Harry, spricht mehrere Sprachen und arbeitete auch als Diplomat.

Sajid Javid

Der ehrgeizige Innenminister Sajid Javid wechselte nach dem Referendum auf die Seite der Brexit-Befürworter. Als Sohn eines pakistanischstämmigen Busfahrers verkörpert er den Traum vom sozialen Aufstieg in einer stark durch Klassendenken geprägten Gesellschaft. Erfahrungen in der Finanzwelt sammelte er in der Managementebene der Deutschen Bank. In der Debatte um die Rückkehr einer in Grossbritannien aufgewachsenen IS-Frau, die mit ihrem Baby in einem Flüchtlingslager in Syrien festsass, zeigte er Härte und entzog ihr die Staatsbürgerschaft. Als das Kind starb, hagelte es Kritik.

Dominic  Raab

Der Jurist Dominic Raab gilt als Brexit-Hardliner und hatte schon mehrere Posten in der Regierung. Sein Amt als Brexit-Minister gab er nach nur wenigen Monaten aus Protest gegen den Vertragsentwurf zum EU-Austritt auf. Nicht immer machte er als Brexit-Minister eine glückliche Figur: So handelte er sich mit einer Äusserung zum Handel zwischen Grossbritannien und dem Kontinent heftigen Spott ein. Ihm sei das volle Ausmass der Bedeutung des Ärmelkanals für die Wirtschaft nicht klar gewesen, hatte Raab bei einer Konferenz gesagt. Die Strecke Dover-Calais ist die wichtigste Verbindung zwischen Grossbritannien und dem Festland.

Andrea Leadsom

Nach dem Brexit-Referendum und dem Rücktritt von David Cameron 2016 war Andrea Leadsom - neben May - in die engere Auswahl als Parteichefin gekommen. Sie musste sich aber wegen einer unglücklichen Äusserung aus dem Rennen zurückziehen. Später wurde die Brexit-Hardlinerin von Premierministerin May als Ministerin für Parlamentsfragen ins Kabinett geholt. Ende Mai trat Leadsom aus Protest gegen Mays Brexit-Politik von ihrem Posten zurück - und beschleunigte damit womöglich den Abschied ihrer einstigen Rivalin.

Matt Hancock

Gesundheitsminister Matt Hancock lehnt eine Loslösung von der EU ohne Deal ab. Ihm werden im Rennen um die Nachfolge von May allerdings wenig Chancen eingeräumt. Er selbst hebt in Interviews seine Energie und Durchsetzungskraft hervor.

Esther McVey

Aus Protest gegen Mays Kurs beim EU-Austritt legte Arbeitsministerin Esther McVey ihr Amt nieder. Die Brexit-Anhängerin besteht darauf, dass Grossbritannien am 31. Oktober die EU verlässt - und nimmt dafür auch einen ungeregelten Austritt in Kauf.

Mark Harper

Obwohl er ein EU-Freund ist, akzeptiert Mark Harper das Brexit-Referendum. Er selbst sieht sich im Rennen um Mays Nachfolge als Aussenseiter. Harper wäre für eine kurze Verlängerung der Austrittsfrist über den 31. Oktober hinaus. Falls das nicht möglich sei, würde er auch einer Loslösung von der EU ohne Deal zustimmen. (SDA)

Die komplette Brexit-Chronologie

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seit diesem Zeitpunkt fand zwischen der EU und Grossbritannien aber auch innerhalb des Vereinigten Königreichs ein langwieriger politischer Prozess der Kompromissfindung statt. Mehrere Abgeordnete und sogar Premierminister traten aufgrund der Vertragsverhandlungen zurück. Am 31. Januar 2020 trat Grossbritannien schliesslich aus der EU aus.

BLICK zeigt die wichtigsten Stationen des chaotischen Prozesses seit dem Austrittsvotum der Briten auf.


Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seit diesem Zeitpunkt fand zwischen der EU und Grossbritannien aber auch innerhalb des Vereinigten Königreichs ein langwieriger politischer Prozess der Kompromissfindung statt. Mehrere Abgeordnete und sogar Premierminister traten aufgrund der Vertragsverhandlungen zurück. Am 31. Januar 2020 trat Grossbritannien schliesslich aus der EU aus.

BLICK zeigt die wichtigsten Stationen des chaotischen Prozesses seit dem Austrittsvotum der Briten auf.


Mehr
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?