Ukrainische Armee evakuiert Bewohner aus Robotyne
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Zwei Monate lang gekämpft:Ukrainische Armee evakuiert Bewohner aus Robotyne

Westliche Strategen zweifeln an Strategie
Die fünf Fehler der Ukraine-Gegenoffensive

Bei den westlichen Verbündeten der Ukraine wird die Gegenoffensive zunehmend kritisch gesehen. Verfolgt das Land eine falsche Strategie? Oder wurden die Russen schlicht unterschätzt?
Publiziert: 25.08.2023 um 15:22 Uhr
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Aktualisiert: 25.08.2023 um 15:47 Uhr
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Georg NopperRedaktor News
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Zerstreute Truppen

US-Strategen sind der Meinung, die ukrainischen Truppen seien zu weit verstreut und müssten sich entlang der Hauptfront der Gegenoffensive im Süden konzentrieren. Die «New York Times» sprach mit mehreren westlichen Beamten über den stockenden Vorstoss der ukrainischen Streitkräfte bei der angestrebten Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete. Die Experten, die nicht offiziell im Namen ihrer Regierungen sprechen dürfen und deshalb anonym bleiben wollen, sehen das Hauptziel der Gegenoffensive darin, die russischen Nachschublinien im Süden zu durchtrennen und Russland vom Landweg zur annektierten Halbinsel Krim abzuschneiden. Die westlichen Strategen raten der Ukraine deshalb, sich ungeachtet der hohen zu erwartenden Verluste auf einen Vorstoss in Richtung Melitopol zu konzentrieren und die russischen Verteidigungslinien im Süden zu durchbrechen. Russland trägt derweil seinen Teil dazu bei, dass die Ukraine seine Kräfte nicht bündeln kann: Die Truppen von Präsident Wladimir Putin (70) machen im Nordosten des Landes Druck in Richtung der Stadt Kupjansk. Diese ging im August 2022 zurück an die Ukraine. Fällt sie nun abermals in russische Hände? Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow (57) sagte unlängst laut der ukrainischen Plattform Ukrinform, die Russen würden dort angreifen, um die Kapazität der ukrainischen Verteidigungskräfte in der Zone des Gegenangriffs zu verringern. «Sie hoffen, dass wir die Kräfte aus dem Süden umgruppieren und entsprechend reagieren werden», sagte Resnikow.

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Konzentration auf Region um Bachmut

Die Eroberung von Bachmut durch die Russen im vergangenen Mai war ein Tiefschlag für die Ukraine. Für die Regierung von Wolodimir Selenski (45) scheint deshalb die Rückeroberung der zerstörten Stadt, die sich etwa auf halber Strecke zwischen dem Asowschen Meer und der russischen Grenze im Norden befindet, von hoher Priorität zu sein. Nach Ansicht der von der «New York Times» befragten westlichen Beamten haben die ukrainischen Kommandeure ihre Truppen zu etwa gleichen Teilen auf die Front im Osten und jene im Süden verteilt. Infolgedessen würden sich mehr ukrainische Truppen in der Nähe von Bachmut und anderen Städten im Osten befinden als in jenem strategisch wichtigeren Bereich im Süden, von wo aus Vorstösse in Richtung Melitopol und Berdjansk unternommen werden, um den Russen den Landweg zur Krim abzuschneiden.

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Unterschätzte russische Verteidigungslinien

Die ukrainische Gegenoffensive dauert schon fast drei Monate. Doch die Resultate sind äusserst bescheiden. Weder schafften es die ukrainischen Streitkräfte, die Stadt Bachmut zurückzuholen, noch waren sie imstande, die russischen Truppen vom Landweg zur Krim zu trennen. Zwar steht die ukrainische Armee offenbar kurz davor, die Kontrolle über Robotyne, ein Dorf südöstlich der Stadt Saporischschja, zu übernehmen. Doch selbst wenn das gelingt, ist sie damit immer noch rund 90 Kilometer von Melitopol entfernt. Es ist offensichtlich: Die ukrainischen Soldaten haben Mühe, die russischen Verteidigungslinien zu durchdringen. In der Oblast Saporischschja haben die Russen südlich des Dnpepr und weiter im Osten zumeist gleich drei Verteidigungsgräben hintereinander gelegt. Gegen Norden sind diese durch Minenfelder abgesichert. Ein Minenräumer sagte unlängst zum «Spiegel»: «Die Russen können einfach sehr gut Minen verlegen.» Der ukrainische General Waleri Saluschni (50) erklärte kürzlich gegenüber der «Washington Post», man könne nicht länger mit Panzern operieren, «weil die Minenfelder einfach zu tief sind».

Ein ukrainischer Soldat winkt von einem Panzer an der Front in der Nähe der östlichen Stadt Bachmut.
Foto: keystone-sda.ch
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Bei Truppen und Ausrüstung benachteiligt

Genaue Zahlen zu den Verlusten gibt es auf beiden Seiten nicht. Doch die Russen sind den Ukrainern sowohl hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Soldaten als auch des Nachschubs an Kriegsmaterial überlegen. Die Zahl der jungen Männer, die in den Krieg geschickt werden können, ist in der bevölkerungsmässig viel kleineren Ukraine schneller ausgeschöpft. Zudem hängt das Land am Tropf des Westens, was die Rüstung anbelangt. Die Partner der Ukraine sind zwar gewillt, immer neue Waffen zu liefern, müssen zugleich aber vermeiden, dass sie sich selbst entwaffnen. Zur Eroberung des Dorfes Robotyne schickte die Ukraine unlängst die 82. Luftangriffsbrigade an die Front. Sie ist 2000 Mann stark und mit dem besten Material von der Nato ausgestattet. Laut «Forbes» sind die 82. Luftangriffsbrigade und die 46. Brigade, die ebenfalls eingesetzt wird, die letzten Brigaden, die der ukrainische Generalstab noch in Reserve hielt. Offenbar gibt es Anzeichen dafür, dass die Ukraine damit begonnen hat, einige ihrer erfahreneren Kampftruppen aus dem Osten in den Süden zu verlegen. Doch selbst die erfahrensten Einheiten sind nach schweren Verlusten mehrfach neu aufgestellt worden. «Diese Einheiten stützen sich auf ein schrumpfendes Kader erfahrener Kommandeure. Einige Züge bestehen grösstenteils aus Soldaten, die verwundet wurden und in den Kampf zurückgekehrt sind», schreibt die «New York Times».

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Tempo nicht ausreichend

Angesichts des bisherigen Tempos der Gegenoffensive scheint es unwahrscheinlich, dass die ukrainischen Streitkräfte die Stadt Melitopol noch vor dem Wintereinbruch erreichen. Den Truppen bleiben nur noch vier bis sechs Wochen, bevor die Regenfälle eine Pause bei der Gegenoffensive erzwingen werden. Bereits im August musste die Ukraine mindestens eine Offensivaktion wegen Regens verschieben. US-General Mark A. Milley (65): «Die Geländebedingungen sind immer ein wesentlicher Faktor für militärische Operationen.» Das nasse Wetter wird die Kämpfe wohl nicht stoppen, aber sollte die Ukraine in den kommenden Wochen die russischen Linien durchbrechen, könnte der Schlamm es schwieriger machen, aus diesem Erfolg Kapital zu schlagen. Die vergangenen zwei Monate der Gegenoffensive seien «lang, blutig und langsam» gewesen, so Milley. «Es hat länger gedauert, als die Ukraine geplant hatte.»

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