Zweimal angeschossen, trotzdem wieder an die Front geschickt
So brutal ergeht es russischen Häftlingen im Krieg

Ein russischer Häftling an der Ukraine-Front erzählt von entsetzlichen Zuständen in den Knast-Bataillonen. Nach einer Schnellbleiche werden die Straffälligen an die Front geworfen – wo sie Schnee essen müssen oder von eigenen Offizieren erschossen werden.
Publiziert: 26.07.2023 um 10:01 Uhr
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Aktualisiert: 26.07.2023 um 11:55 Uhr

Er wurde zweimal angeschossen und dann vom Spital direkt wieder an die Front geschickt. Dort musste er Schnee essen, um zu überleben. Berichte, dass russische Häftlinge an der Front als Kanonenfutter missbraucht und unter unmenschlichen Kampfbedingungen gehalten werden, sind bereits bekannt.

Der amerikanische Fernsehsender «CNN» konnte jetzt jedoch in einem seltenen Interview mit dem Rekruten Sergej* über seine Zeit in den Sturm-Z-Bataillonen des russischen Verteidigungsministeriums sprechen, in der mehrere Tausend Strafgefangene kämpfen.

Mit Schusswunden zurück an die Front

Sergejs Erzählungen über seine acht Monate an der Front bringen Horror-Bedingungen ans Licht. «Ich hatte neun Gehirnerschütterungen und war fünf Stunden blind, da der Granatenhagel uns direkt getroffen hatte», erzählt der Mann. Im Winter sei ihm ins Bein geschossen worden, nach kurzer Behandlung von zehn Tagen fand er sich wieder an der Front. Wieder traf ihn eine Kugel – dieses Mal war es die Schulter. Wegen Personalmangels wurde er nach dem Spitalaufenthalt abermals zurück in den Kampf geschickt.

In einem seltenen Interview erzählt ein russischer Häftling von seinen Erfahrungen an der Front.
Foto: CNN
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Bei seiner Rückkehr stellte Sergej fest, dass Sträflinge mit amputierten Körperteilen mittlerweile Funkaufgaben übernahmen und Truppenangehörige ihre Schutzwesten wegwarfen, da sie nur geringen Schutz gegen die ukrainischen Geschosse aufwiesen.

Von Kommandanten getötet

«Manchmal assen und tranken wir tagelang nichts. Der geschmolzene Schnee war das Einzige, was wir hatten.» Sergej erzählt weiter, dass von den 600 Soldaten, die im Oktober mit ihm rekrutiert worden waren, nur noch 170 am Leben seien. Er erinnert sich daran, wie seine Kameraden durch Granaten, die in der Nähe einschlugen, in Stücke gerissen wurden. Hätten Kameraden sich geweigert zu kämpfen, seien sie vom zuständigen Kommandanten einfach getötet worden. So wurde die Disziplin aufrechterhalten.

Schliesslich traf Sergej auf Ärzte, die ihm einen Job als Krankenpfleger anboten. Seine Aufgaben: Leichentransporte, Überprüfung der Leichen zur Identifizierung und Reinigungsarbeiten.

«Er hatte kein finanzielles Interesse an der Rekrutierung, es ging ihm nur um die Freiheit»

Ein anderer Häftling namens Andrej* (†23) musste seine ursprüngliche Haftstrafe wegen Drogendelikten absitzen. Mit 20 Jahren wurde er verhaftet, drei Jahre später an die Front geschickt. Ohne ernstzunehmendes Training – nur drei Wochen später war er bereits tot. Einer unter den wahrscheinlich 60 Russen, die bei einem Angriff am 9. Mai getötet wurden, an dem der russische Präsident Wladimir Putin den Sieg über Nazi-Deutschland auf dem Roten Platz in Moskau feierte.

CNN konnte mit der Mutter des jungen Häftlings sprechen. Zu Beginn seines Einsatzes hatte er in Sprachnachrichten an seine Mutter Julia* noch über das Wetter geredet. «Er hatte kein finanzielles Interesse an der Rekrutierung, es ging ihm um die Freiheit», erzählt die Frau unter Tränen. Denn: Schliessen sich Häftlinge der Sturm-Z-Bataillonen an, werden sie nach dem Kriegsdienst in die Freiheit entlassen – falls sie überleben. (ene)

*Namen geändert

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