70 Jahre VW Bulli in der Schweiz
Ferienglück im Happy-Bus

Der VW-Bus, von Fans Bulli genannt, ist ein Symbol von Freiheit und Unabhängigkeit auf Rädern. Autoredaktor Andreas Engel begleitete die Bulli-Karawane 2020 quer durch die Schweiz, lernte die erstaunlich heterogene Szene kennen und die Oldie-Bullis schätzen.
Publiziert: 07.01.2021 um 09:40 Uhr
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Aktualisiert: 26.02.2021 um 09:44 Uhr
Andreas Engel

«Diese Fahrt werde ich nicht überleben», denke ich bei mir. Ich bin schon so manches Auto gefahren in meinem Berufsleben als Autoredaktor. Unzählige neue, aber auch ein paar alte. Einen Mercedes aus den 1960er- oder Audi 80 aus den 1970er-Jahren etwa – aber gut und gerne hatte ich mich an die rustikal-behäbige Art des Autofahrens gewöhnt.

Doch jetzt das: Ich sitze wie im Schraubstock eingespannt, den Rücken für genug Sicht gekrümmt, in einem VW-T1-Bus von 1964. Das spindeldürre Riesenlenkrad hält mein Gekurbel daran offenbar eher für ganz unverbindliche Richtungsvorschläge. Himmel, wenn das hier nur gut ausgeht.

Das höchste der Camper-Gefühle

Noch Minuten vor dem Nahtoderlebnis sitze ich am Steuer des modernsten Campers der VW-T-Reihe. Der California 6.1 Ocean, wie der neueste Ferien-Bulli in Vollausstattung heisst, hat alles, was der erfahrene Campingfan begehren kann. Küche mit Gaskocher und Kühlschrank? Check! Elektrisch ausfahrbares Aufstelldach für zwei Frischluft-Schlafplätze extra? Check! Markise, Tisch und Stühle fürs gemütliche Chillen? Check! Per Lenkradknopf aktiviere ich den Abstands-Tempomat, der die Geschwindigkeit der Kolonne anpasst, cruise entspannt und geniesse die Roadtrip-Playlist von Spotify über das Infotainment-System.

Mit einer Karawane feierte VW dieses Jahr 70 Jahre Bulli in der Schweiz.
Foto: zVg
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Denn ich bin Teilnehmer der Bulli-Karawane 2020, die anlässlich des 70-Jahre-Jubiläums des VW-Campers in der Schweiz stattfindet. Fast 1000 Kilometer, einmal quer durchs Land: Vom Amag-Zentrum in Lupfig AG auf eine Alp in der Nähe des Berner Stockhorns. Von dort weiter auf den Grimselpass mit Zwischenstopp am Oberaarsee, runter ins Wallis und ins malerische Binntal. Es folgt der mächtige Simplon mit Pause im gemütlichen Berggasthaus Zwischbergen, weiter gehts über einen Zipfel Italien ins Tessin ins Maggiatal – unsere letzte Nacht vor der Fahrt über den San-Bernardino-Pass zurück nach Zürich.

Erst Todesangst, dann Mordsspass

Mit dabei: 17 Bulli-Freundinnen und -freunde, verteilt auf 13 Fahrzeuge – vom ersten T1 aus den 1950er-Jahren bis zum sechs Meter langen Grand California der neuesten Generation. Zeitpuffer sind einberechnet, aber zügig muss es schon gehen. Das merke ich – jetzt wieder am Steuer des alten T1. Ausserorts fährt die Kolonne Tempo 80. 80 km/h! In dem Oldtimer fühlt sich das nach einem wilden Ritt auf einer Kanonenkugel an. Auf einer ohne Lenkung! «In Kurven musst du immer weit nach vorne schauen – dann fährt der Bus auch dahin, wo du möchtest», rät mir der Bulli-Haudegen Rolf Berger (46).

Ich schwitze. Doch dann, nach gut einer halben Stunde, wird aus der Todesangst ein Lebensrausch. Mensch, macht Spass, dieses ungefilterte Fahren im Ur-Bulli. Nicht nur mir: Am Strassenrand sehen wir überall nur strahlende Gesichter, ein «Weisst du noch?» im Blick der Pensionäre, ein «Cool!» in jenem der Jugend. Nein, der Bulli hat trotz VW-Imagetiefs der letzten Jahre keine Sympathiepunkte eingebüsst. «Papi, da kommt der Happy-Bus!», höre ich einen Bub rufen. Freude herrscht.

Wie der Bulli zu seinem Namen kam

Offiziell darf VW seinen Camper erst seit 2005 Bulli nennen. Der Name etablierte sich jedoch früh im deutschsprachigen Raum: Seit dem Start 1950 im Volksmund schlicht als VW Bus bezeichnet, setzte sich ab den 1970er-Jahren der Namen Bulli durch – als Kürzel für den Mix aus Bus und Lieferwagen. Die inzwischen nicht mehr ganz billigen Busse und Ersatzteile gibts zuhauf – etwa auf der Kleinanzeigen-Seite Bugbus.net von Tour-Mitorganisator Claude Schaub.

Dominique Zahnd

Offiziell darf VW seinen Camper erst seit 2005 Bulli nennen. Der Name etablierte sich jedoch früh im deutschsprachigen Raum: Seit dem Start 1950 im Volksmund schlicht als VW Bus bezeichnet, setzte sich ab den 1970er-Jahren der Namen Bulli durch – als Kürzel für den Mix aus Bus und Lieferwagen. Die inzwischen nicht mehr ganz billigen Busse und Ersatzteile gibts zuhauf – etwa auf der Kleinanzeigen-Seite Bugbus.net von Tour-Mitorganisator Claude Schaub.

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Wildcampen wird schwieriger

In der Karawane mit dabei sind auch der Zürcher Beat Schibli (46) und Freundin Nadine (44) mit ihrem VW T2. «Beim alten Bulli habe ich einen tollen Mix: Ich fahre einen Oldtimer, den ich aber trotzdem für etwas Praktisches gebrauchen kann», sagt Beat. Camping-Plätze sind in der Regel nicht das Ziel des Paars. «Diese Freiheit, halten zu können, wo man will, das Daheim immer dabei zu haben – das ist die Faszination für uns am Campen», meint Nadine. Sie bevorzugen Wildcampen, fragen auch mal einen Bauern, ob sie eine freie Wiese nutzen können.

Doch das werde zunehmend schwieriger, wie auch die anderen Bulli-Fahrer bestätigen. Das Coronavirus hat den Trend zu Ferien auf und in den eigenen vier Rädern nochmals verstärkt. «Dieses Jahr ist es fast zu viel», meint Larry Cavalli (33), der mit Gattin Martina (35) im liebevoll im nordischen Stil ausgebauten T2 unterwegs ist: «Normalerweise werden die Plätze nach den Sommerferien wieder frei – dieses Jahr nicht!»

Immer mehr Frauen in der Bulli-Szene

Ein positiver Trend ist die wachsende Zahl weiblicher Camper-Fans: Gleich drei Damen sind bei der Karawane im eigenen Bus vorgefahren. Eine von ihnen ist Jessica Stampfli (32) aus Wolfwil SO. «Als ich mir vor fünf Jahren meinen Traum erfüllt und mir meinen blauen Bus gekauft habe, gab es schon eine grosse Bulli-Community, aber Frauen waren deutlich in der Unterzahl», berichtet Stampfli. Dann habe sie Bea Loosli kennengelernt, im roten «Ladyplanet»-Bus ebenfalls an der Tour. «Wir wollen die alten Muster, die sich immer noch hartnäckig in den Köpfen halten, aufbrechen, ein Vorbild sein und zeigen: Hey, wir können das auch!», sagt die Solothurnerin.

Klar falle man als Frau im eigenen Bus auf dem Campingplatz immer noch auf. Doch man komme schnell ins Gespräch – der alte Bulli sei ein Eisbrecher. «Auch die Männer merken dann schnell, dass wir mit unseren Bussen nicht einfach eine Show abziehen.» Für Jessica Stampfli und ihre Mitstreiterinnen soll Campen nicht nur einfach und praktisch sein, sondern auch schön. «Wir campen mit Stil», fasst es die 32-Jährige zusammen. Doch wenn es sein soll, sind sich die Damen nicht zu schade, sich die Finger schmutzig zu machen – und unter dem Bulli liegend mit den Herren zu fachsimpeln. Eine verschworene, aber offene Gemeinschaft. Und die Faszination Bulli hat auf der Tour auch mich gepackt. So wunderbar ein neuer Bulli ist, so sehr liegt mir bis heute der Oldie-Duft nach «echtem» Benzin in der Nase und Seele.

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