Das Start-up Czinger will die Autofabrik revolutionieren
Die Überflieger aus Los Angeles

Die Marke Czinger kennen nur Autoexperten. Der Kleinserienhersteller aus Los Angeles ist seit einigen Jahren der stille Star von Luxusevents wie der Monterey Car Week. Czinger sind exklusiv, wahnsinnig schnell und entstehen zum Teil im 3D-Drucker.
Publiziert: 29.01.2024 um 17:00 Uhr
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Aktualisiert: 07.02.2024 um 17:14 Uhr
Stefan Grundhoff

Es geht nichts über eine klare Aussprache. Dafür sind viele der Amerikaner allerdings nicht gerade bekannt. Wenn jemand an einem Treffen von Autofans in Kalifornien von der neuen, spektakulären Sportwagenmarke Czinger spricht, erntet er oft nur gelangweilte Blicke. Singer – die machen doch schon seit 15 Jahren coole Retro-Porsches auf Basis alter 911er – sehr exklusiv, sehr schnell, sehr teuer und sehr bekannt. Aber Irrtum – es geht um Czinger.

Die Marke trägt den Namen von Kevin (63) und Lukas Czinger (28) – Vater und Sohn aus Los Angeles und mit selbst nach US-Massstäben überbordender Autobegeisterung gesegnet. Im Jahre 2019 gegründet, veredeln sie keine Porsches und machen auch um Sportwagen anderer Marken einen grossen Bogen: ein Koenigsegg ist ein Koenigsegg – und ein Czinger eben ein Czinger.

Schluss mit klassischen Methoden

«Czinger will die Art und Weise, wie Autos entworfen und gebaut werden, grundlegend verändern. Keine kreativen Fesseln durch Werkzeuge oder Kosten», sagt David O'Connell, Mitbegründer der Marke und verantwortlich fürs Design. Er setzt auf ästhetische Reinheit und technische Innovation – nur, was unbedingt nötig ist, gehört auch ans Auto. Klare Oberflächen schaffen ein originelles, zeitloses Design. Doch in erster Linie sollen die Fahrleistungen begeistern und selbst eingefleischten Sportwagenfans den Atem rauben.

Klassische Linien, brachialer Antrieb: Auf den ersten Blick ist der Czinger 21C ein Supercar wie jeder andere auch.
Foto: Zvg
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Der Hypersportler 21C als Erstlingswerk wurde komplett per Computer erschaffen; künstliche Intelligenz (KI) kalkulierte die Aerodynamik bei Maximaltempo. Der analoge Start verlief dennoch harzig: Seiner Weltpremiere am Genfer Autosalon 2020 machte die Corona-Pandemie einen Strich durch die Rechnung.

Der Hybridantrieb des 21C leistet in der Basis 1250 PS (932 kW); optional lässt sich ein Zuschlag von 100 PS (74 kW) ordern. Die Leistung je Liter Hubraum verspricht mit 330 PS (245 kW) einen Weltrekord. Ein nur 2,9 Liter grosser Achtzylinder mit Elektrounterstützung katapultiert den Boliden in unter zwei Sekunden auf Tempo 100. Weil konventioneller Sprit für die so digital tickenden Czingers nur als Notlösung gilt, verträgt der Bolide auch aus Kohlenstoff recyceltes Methanol oder andere E-Fuels – und fährt damit im optimalen Fall emissionsfrei.

Rasant dank E-Fuels

Der Abtrieb, also der Anpressdruck auf den Asphalt, ist bei hohen Tempi kaum weniger beeindruckend. Bei Tempo 305 wird der flache Zweitürer mit einem Gewicht von zwei Tonnen auf den Boden gedrückt und könnte demnach auch an der Decke fahren, ohne dabei herunterzufallen.

Doch Czinger sind nicht nur schnell, sondern auch teuer und exklusiv. Vom 21C sollen in den kommenden Monaten gerade einmal 80 Exemplare entstehen. Davon abgeleitet wurde der 21C Vmax mit verlängertem und aerodynamisch optimiertem Heckprofil – ganz ähnlich wie bei den Longtail-Modellen von Konkurrent McLaren. Dank glattem Karosseriedesign bringt er noch mehr Tempo auf die Strasse; bis zur 400-km/h-Marke vergehen nur 27,1 Sekunden. Die Spitze des 1,4-Tonnen-Autos liegt bei 407 km/h.

Wer ist Divergent?

Vor zehn Jahren gründete Kevin Czinger im kalifornischen Torrance sein Start-up Divergent Technologies. Ziel des Tüftlers und heutigen CEOs: Die Befreiung der Autoindustrie von ihren Fertigungsproblemen. Fliesbandtakte, die Grenzen der Biegsamkeit von Blech oder Schwierigkeiten bei der Materialauswahl sollen der Vergangenheit angehören. Divergent arbeitet an einer integrierten Plattform, die von der Konstruktion bis zur Fertigung komplett auf künstliche Intelligenz, Digitalisierung, massgeschneiderte Materialien und 3D-Druck setzt. Weiterer Vorteil: Entwicklung und Bau der Autos können von überall auf der Welt gesteuert werden. Rund 180 Ingenieure arbeiten im Unternehmen, das bereits 500 Patente angemeldet hat.

Bei Investoren hat Czinger bereits rund 360 Millionen Dollar eingesammelt – und den Ford-Vorstand John L. Thornton ins Leitungsteam geholt. Offenbar will der US-Autobauer mit vorne dabei sein, wenns um die Ablösung des Fliessbands in der Autoproduktion geht. Das wurde ja auch bei Ford erfunden.

Kevin Czinger: Er will die Autowelt revolutionieren.

Vor zehn Jahren gründete Kevin Czinger im kalifornischen Torrance sein Start-up Divergent Technologies. Ziel des Tüftlers und heutigen CEOs: Die Befreiung der Autoindustrie von ihren Fertigungsproblemen. Fliesbandtakte, die Grenzen der Biegsamkeit von Blech oder Schwierigkeiten bei der Materialauswahl sollen der Vergangenheit angehören. Divergent arbeitet an einer integrierten Plattform, die von der Konstruktion bis zur Fertigung komplett auf künstliche Intelligenz, Digitalisierung, massgeschneiderte Materialien und 3D-Druck setzt. Weiterer Vorteil: Entwicklung und Bau der Autos können von überall auf der Welt gesteuert werden. Rund 180 Ingenieure arbeiten im Unternehmen, das bereits 500 Patente angemeldet hat.

Bei Investoren hat Czinger bereits rund 360 Millionen Dollar eingesammelt – und den Ford-Vorstand John L. Thornton ins Leitungsteam geholt. Offenbar will der US-Autobauer mit vorne dabei sein, wenns um die Ablösung des Fliessbands in der Autoproduktion geht. Das wurde ja auch bei Ford erfunden.

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Noch beeindruckender ist für einmal die Entstehung des Zweisitzers. Jeder 21C wird digital kreiert – mit Supercomputer und künstlicher Intelligenz. Doch was bedeutet das überhaupt – computergestütztes Design ist ja ein alter Hut? Das Fahrgestell wurde generativ entworfen: Jedes Bauteil wurde auf seine Funktion hin so optimiert, dass kein einziges Gramm Material verschwendet oder unnützes Gewicht ins Auto gebracht wird.

Gefertigt werden die Teile in 3D-Technik aus patentierten Legierungen und danach mit lasergesteuerter Robotertechnik zum grossen Ganzen zusammengesetzt. Über Realisierbarkeit, die Limitationen von Werkzeugmaschinen sowie von Blechpressen für den Karosseriebau mussten sich die Czingers keine Gedanken machen.

Prototyp für den grossen Wandel

Dennoch soll das 21C-Fahrgestell Bestmarken in Sachen Leichtbau, Ressourcenverbrauch, Haltbarkeit, Festigkeit und Sicherheit setzen. «Der 21C steht für mehr als sieben Jahre Technologieentwicklung und Hunderte Millionen US-Dollar an Investitionen», sagt Lukas Czinger. «Seine Technologie wird die Autoindustrie grundlegend verändern.»

Bei aller Autobegeisterung steckt genau darin auch der eigentliche Sinn des Sportwagens. Vater Kevin arbeitet als Gründer, CEO und kreativer Geist in seinem Start-up Divergent an neuen Entwicklungs- und Produktionsverfahren für die Autoindustrie. Der V8-Bolide ist da nur eine Fingerübung, um die Anwendungsmöglichkeiten zu demonstrieren.

Hightech bei Entwicklung und Fertigung bringt nicht nur beeindruckende Fahrleistungen und maximale Effizienz mit sich, sondern auch den gigantischen Preis von über zwei Millionen US-Dollar. Immerhin, dafür gibts nicht nur einen spektakulären Hybridsportler für maximale Aufmerksamkeit, sondern auch einen exklusiven Innenraum aus Karbon und ein kleines Staufach mit Platz fürs massgeschneiderte Gepäckset. Dessen Grösse hat natürlich auch die KI berechnet.

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