Ein Blick hinter die Kulissen von Bentley
Noblesse wird nachhaltig

Luxusauto-Hersteller wie Bentley pflegten lange vor allem ihre Traditionen. Doch jetzt werden Nachhaltigkeit und Elektrifizierung zur Leitlinie – weil auch die Kundschaft es so will.
Publiziert: 26.03.2023 um 06:03 Uhr
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Andreas FaustLeitung Auto & Mobilität

Ein Rumms und schon spritzen die Holzsplitter über den Tisch. «Wollt ihr auch mal?» Grinsend drückt uns Bentley-Mitarbeiter John ein höllisch scharfes Stemmeisen und einen Hammer in die Hand. Wie schneidet man Holzfurnierstreifen fugenlos im 90-Grad-Winkel zu? Mit Überstand rechtwinklig aufeinanderlegen, in der Diagonale das Stemmeisen ansetzen und Rumms – rutscht das Furnier weg. Gleich beide Streifen sind reif für die Tonne und der Daumen war auch irgendwie noch dazwischen.

Deshalb lässt Bentley lieber Profis seine Auto-Interieurs fertigen. Seit 1998 gehört der 104-jährige britische Autobauer nach einer bizarren Übernahmeschlacht mit BMW zum VW-Konzern. Wie früher ist noch Handwerk gefragt, wenn mit Leder, Holz, Metall und Stoff seine Autos in rollende Lounges verwandelt werden. Doch auch Luxusauto-Marken müssen mit der Zeit gehen. Statt Lords und Ladys lassen sich im Stammwerk in Crewe (UK) längst auch jugendliche Start-up-Gründer aus den USA, China oder dem Nahen Osten vorführen, wie sie ihr neues Auto zum individuellen Einzelstück ausstaffieren können. Einst spielte ein Kilo Holz mehr oder weniger keine Rolle. Doch diese Kundschaft fragt jetzt nach nachhaltiger Kreislaufwirtschaft, veganem Leder und umweltfreundlicher Fertigung.

Veredlung sorgt für Gewinn

Und sie setzt fleissig Kreuzchen in der Optionenliste. Gut 90 Prozent aller ausgelieferten Bentleys werden individualisiert; selbst teure Details drei- oder viermal häufiger geordert, als CEO Adrian Hallmark (61) das je erwartet hätte. Resultat war ein Rekordjahr 2022, das dritte in Folge und gekrönt von einem Gewinnsprung um 82 Prozent gegenüber 2021. Die hauseigene Veredlungsabteilung namens Mulliner trug weniger als fünf Prozent bei, aber machte fünfmal mehr Umsatz als vor drei Jahren.

Mit 104 Jahren Unternehmensgeschichte steht der Luxusauto-Hersteller Bentley vor allem für Tradition.
Foto: Richard Pardon
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Die Autos laufen hier zwar wie in jedem VW-Konzernwerk vom Band, aber nur ein einsamer Roboter tut Dienst beim Einkleben der Frontscheiben. Sonst regiert Handarbeit – bis hin zur Abschlusskontrolle, die Menschen noch immer penibler erledigen als Maschinen. Und so akkurat wie ein Näher 133 Meter Nähseide für vier Türverkleidungen innert 135 Minuten verarbeitet, bekäme das kein Roboter hin. Der Personalaufwand während der 95 Stunden Montagezeit je Auto – ohne Individualisierung – ist enorm und erklärt ein Gutteil des Preisniveaus bei Bentley: Günstiger als rund 190'000 Franken wirds nicht.

Luxus wird elektrisch

Bentley-CEO Adrian Hallmark (61) will bis 2030 schrittweise auf Elektroantrieb umstellen. Ab 2026 soll es nur noch Plug-in-Hybride geben. Zudem wird der erste reine Stromer kommen. Dann gehts im Jahrestakt weiter mit der Erneuerung der Modellpalette. Zusätzlich ist eine neue fünfte Modellreihe geplant – Bentley peilt wieder das Super-Luxussegment man. Mit 600 Kilometern sollen die Elektro-Bentleys so weit wie heute Verbrenner kommen, das Aufladen von zehn auf 80 Prozent werde in längstens 20 Minuten erledigt sein. «Wir wollen Tempo, Reichweite und bequemes Laden», sagt Hallmark und kündigt die neuen Batterien als «Zwölfzylinder der Elektrowelt» an. Ausserdem werden die neuen Stromer so konstruiert, dass ohne lange Entwicklungsprozesse Sonderwünsche von Kundinnen erfüllt werden können.

Bentley-CEO Adrian Hallmark (61) will bis 2030 schrittweise auf Elektroantrieb umstellen. Ab 2026 soll es nur noch Plug-in-Hybride geben. Zudem wird der erste reine Stromer kommen. Dann gehts im Jahrestakt weiter mit der Erneuerung der Modellpalette. Zusätzlich ist eine neue fünfte Modellreihe geplant – Bentley peilt wieder das Super-Luxussegment man. Mit 600 Kilometern sollen die Elektro-Bentleys so weit wie heute Verbrenner kommen, das Aufladen von zehn auf 80 Prozent werde in längstens 20 Minuten erledigt sein. «Wir wollen Tempo, Reichweite und bequemes Laden», sagt Hallmark und kündigt die neuen Batterien als «Zwölfzylinder der Elektrowelt» an. Ausserdem werden die neuen Stromer so konstruiert, dass ohne lange Entwicklungsprozesse Sonderwünsche von Kundinnen erfüllt werden können.

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In der klimatisierten Holzwerkstatt stapeln sich edle Furniere. Kalifornischer Redwood, spanische Eiche oder jahrhundertelang im Morast konserviertes Moorholz werden mit Aluträgern und Pappe bei 145 Grad Celsius und 200 bar Druck zu Armaturentafeln gebacken. So sparen die hauchdünnen Furniere jede Menge Material, werden längs nochmals halbiert und dann so aufgeklappt, dass sie wie ein durchgehendes Stück wirken. John doziert von Faserrichtungen, Rund-, Quer- und Tortenanschnitt und wie jedes Holz eine eigene Behandlung braucht. Sein Traum: «Holzscout auf Hawaii.» Für Bentley, natürlich. Nach dem Lackieren oder Lasieren – Hochglanz-Lacke sind eher out bei der Start-up-Kundschaft – gehts ans Polieren. Immer wieder, bis zur absoluten Makellosigkeit.

Handarbeit und Digitalisierung

Doch die Digitalisierung drängt ins Werk. 3D-Drucker produzieren Teile für Kunden-Sonderwünsche – zu halben Kosten des normalen Spritzgusses. Laser schneiden Holz zu und beim Lederzuschnitt für Sitze und Türen hilft künstliche Intelligenz (KI). Früher wurden Kühe für die Lederproduktion quasi unter Laborbedingungen gehalten, weder Stacheldraht noch Mückenstiche sollten ihre Haut verletzen. Heute leben sie im Freilauf auf der Weide. Mitarbeitende erspähen Narben und Macken der Häute und markieren sie mit Kreide. Dann scannt eine KI das Leder und platziert die Schnittmuster für Sitzbezüge und Verkleidungen so, dass nur minimaler Verschnitt anfällt. Der wird beispielsweise zu Schlüsselanhängern verarbeitet.

Beyond 100 heisst Bentleys Strategie, die den Luxus nun rundum nachhaltig machen soll: Mit CO₂-neutraler Energieversorgung dank Fotovoltaik, lückenloser Verpflichtung aller Zulieferer auf soziale und ethische Standards und schonenden Ressourceneinsatz. Eine Herausforderung, vor allem in der bis 2030 geplanten Elektrifizierung der Antriebe, weil die Herkunft eines jeden Gramms Batterie-Lithium nachvollziehbar sein muss. Derzeit werden Anlagen und Prozesse für die neue Produktion in den alten Hallen geplant. Weil die Lackiererei das Nadelöhr ist, sollen aber auch künftig kaum mehr als 15'000 Autos pro Jahr gebaut werden.

Rennboliden und Nobelcoupés

Die ganz grosse Kunst gibts bei Mulliner. Hier gleich neben dem Werk werden Sonderserien wie die Modelle Bacalar (ab 1,7 Mio. Franken) und Batur (ab 1,9 Mio. Franken) auf Basis des Continental GT gefertigt und jene Kundenwünsche erfüllt, die in keinem Katalog stehen. Man fühlt sich wie ein Zeitreisender: Ein halbes Dutzend Bentley Blower und Speed Six – Wiederauflagen historischer Rennwagen aus den 1930ern – werden von Hand gedengelt, genietet und verschraubt. Einzige Konzession an die Moderne sind Feuerlöscher und Sicherheitstanks, um heutige Renn-Reglements zu erfüllen. Prominente Kunden? Skurrile Sonderwünsche? Kein Wort kommt über die Lippen von Mulliner-Chef Paul Dickinson. Verschwiegenheit ist Ehrensache, um die Kundschaft nicht zu verärgern. Deren absurdeste Designideen hätten seine Berater aber noch immer in gemässigte Bahnen lenken können.

Dafür zeigt er dann noch das jüngste Werk seiner Truppe, fertig zur Auslieferung: ein Continental GT in Robbengrau – mit neongrünem Interieur. Staunen erlaubt, Fotos leider verboten. Feinstes Handwerk. Aber Geschmack kann trotzdem Glückssache sein.

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