Per Virtual Reality auf der Rennstrecke – im 460 PS starken BMW M2
Wenn das Auto zur Spielkonsole wird

Lustige Idee, ernster Hintergrund: Virtuelle Realität kann im Auto für Motorsport-Feeling sorgen – und uns zu besseren Fahrerinnen machen. Wir drehten eine Runde im echten BMW M2 auf einer digitalen Rennstrecke.
Publiziert: 29.01.2023 um 04:19 Uhr
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Aktualisiert: 31.01.2023 um 14:38 Uhr
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Andreas FaustLeitung Auto & Mobilität

Den Start habe ich voll verpatzt. Als das Starttor sich hebt, stehe ich auf dem Randstreifen daneben herum. Soll ich zurücksetzen und mich erst noch in die Startspur einfädeln? «Egal», sagt die Stimme vom Beifahrersitz her, «fahr einfach mitten durch die Absperrung.» Na gut, wenn er das sagt. Doch weder das Tor noch die Frontscheibe splittern.

Denn: Die Rennstrecke vor meinen Augen existiert nur virtuell. Das Auto, BMWs nagelneuer M2 mit 460 PS, ist echt. Die Strasse unter den Pneus ebenso und auch den BMW-Instruktor als Beifahrer gibts wirklich. Doch alles andere erschafft eine Virtual-Reality-Brille (VR) in meinem Kopf. Die ersten Meter zum Startpunkt habe ich noch mit realer Sicht zurückgelegt auf einem riesigen Ex-Flugfeld in der Nähe von München (D), das BMW seit einigen Jahren für Fahrerschulungen nutzt. Jetzt die VR-Brille auf, und schon tauche ich ab ins Virtuelle.

Erste Runde mit Respekt

Respekt habe ich schon: Vor einigen Jahren endete ein ähnlicher Selbstversuch bei einem anderen bayrischen Autobauer mit heftiger Seekrankheit. Die Brille war zu schwer und rutschte, ihr Bild war unscharf, hinkte den realen Bewegungen hinterher, und fuhr ich eines der ruckelnden virtuellen Häuser an, stürzte die Software ab, die die künstliche Welt erzeugte.

Auf einem stillgelegten Flugplatz bei München (D) betreibt BMW ein Schulungszentrum, in dem Kunden der Marke ihre Fähigkeiten hinter dem Steuer verbessern können.
Foto: Zvg
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Und jetzt? Auf die erste Kurve fahre ich noch mit zaghaftem Gasfuss zu – auch weil die computergenerierte Kulisse ablenkt: glänzender Asphalt, rot-weisse Curbs, und dahinter eine gleissend helle Skyline bei Nacht. Aber schon ab der zweiten Kurve bin ich drin und mir ganz sicher: Diese Piste existiert wirklich. Links anfahren, bremsen, nach rechts einlenken und am Kurvenausgang voll aufs Gas – wie in echt. Weil ich eben in der virtuellen Welt ein reales Auto fahre. Statt Simulatoren-Synthetik fühle ich echte Reaktionen wie den Spin der Hinterräder, kann die Drehzahlen am realen Klang des Reihensechszylinders abschätzen.

Die Illusion funktioniert

Buchstäblich mitten durch in die Hochhäuser zu rasen – es bliebe völlig folgenlos auf dem menschenleeren Flugfeld. Zumal mein Beifahrer per Pedalen oder beherztem Griff ins Lenkrad Schlimmeres verhindern könnte und würde. Aber die Illusion bleibt derart überzeugend, dass ich Streckenbegrenzung und Betonwüste für bare Münze nehme, fleissig virtuelle Münzen auf der Strecke einsammle und aufpoppenden Hindernissen ausweiche. Nach der zweiten Runde gehts schon mit Vollgas, und nach der dritten packt mich der Ehrgeiz. Aber weder Schwindel noch Übelkeit.

Virtuelle Realitäten sind für jeden Gamer oder Metaverse-Fan kalter Kaffee. Längst setzt auch die Autoindustrie diese Technologie ein, um zum Beispiel das Design neuer Modelle auch ohne teure Tonmodelle kostengünstig rein virtuell bewerten zu können. Doch komplexe reale Bewegungen wie die eines echten Fahrzeugs so nahtlos mit einer künstlichen Umgebung zu verschmelzen, dass sich das menschliche Gehirn überlisten lässt und beides für real hält, beherrschen Computer erst seit kurzem.

Halb analog, halb virtuell

Mixed Reality nennt BMW die Technologie und hat, auch wenn sie im M2 vor allem Spass macht, einen ernsten Hintergrund. Entwicklungsingenieure können jetzt auf virtuell vorgegebenen Strassen neue Modelle gefühlsecht testen, statt in Simulatoren unter den minimalen Verzögerungen zwischen Sitzbewegung und Bild zu leiden – ihre Mägen werden es danken. Und statt mit rot-weissen Hütchen simulierte Gefahrensituationen zu meistern, werden wir künftig bei Fahrsicherheitstrainings virtuellen Kindern ausweichen oder vor digital generierten Velofahrern bremsen. Je echter sie aussehen, desto grösser der Lerneffekt.

Und schliesslich will BMW die Technik künftig in Serienautos einsetzen. Langweilige Autobahnen sollen sich Passagiere dann mit selbst gewählter VR-Sujets schöngucken können. Oder wie BMW-Designer Kay Langer über das an der CES in Las Vegas (USA) enthüllte BMW-Concept-Car Dee sagt: «Hässliche Lastwagen werden hier zu Elefanten.» Aber das tönt schon wieder sehr nach Spielkonsole.



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