Porsche Rennstreckentraining in Misano
Fahrschule der Extreme

Um Auto fahren zu lernen, geht man in die Fahrschule. Um Sportwagen fahren zu lernen, besucht man die Porsche Track Experience. Autoredaktor Andreas Engel war beim Fahrkurs für Rennstrecken-Rookies auf dem Misano World Circuit an der italienischen Adria unterwegs.
Publiziert: 08.11.2020 um 16:45 Uhr
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Aktualisiert: 24.12.2020 um 16:06 Uhr
Andreas Engel

Dass man für so manches Modell von Porsche besser ein Training auf einer abgesperrten Strecke besucht, bevor man es den nächsten Alpenpass hochscheucht, leuchtet ein: Die meisten Porsche bieten Leistung im Überfluss – ein unbedachter Tritt aufs Gas, und der eben noch blitzblank polierte Bolide landet in der nächsten Leitplanke.

Klar werden Sportwagen immer sicherer und bieten heute aktive und passive Sicherheitsvorkehrungen. Doch Fahrassistenten wie ESP, ein Fahrstabilitätsprogramm, welches das Fahrzeug mit gezielten Bremseingriffen vor Über- oder Untersteuern schützt, gabs 1974 noch nicht. Damals lag es oft am fahrerischen Können, ob eine brenzlige Situation im Unfall endete oder nicht. Deshalb, konkret mit der Vorstellung des ersten 911 Turbo am Pariser Autosalon 1974, entschied sich Porsche, spezielle Fahrtrainings für Käufer und Enthusiasten der Sportmarke anzubieten.

Ein ganz spezielles Training

Was damals als Porsche Sportfahrschule begann, heisst heute Porsche Track Experience und wird auf vielen bekannten Rennstrecken dieser Welt angeboten. Kürzlich hatte ich die Möglichkeit, an einem ganz speziellen Fahrtraining teilzunehmen: Im Rahmen der Schweizer Rennserie Porsche Sports Cup Suisse bietet Porsche den Kurs «Introduction to Racetrack» an, bei dem Kunden mit ihrem eigenen Fahrzeug einmal selbst erleben können, was es heisst, auf einem Rundkurs unterwegs zu sein.

Bereits seit 1974 bietet Porsche spezielle Trainings für Käufer der Sportwagen an – in Misano (I) konnten wir beim Kurs «Introduction to Racetrack» teilnehmen.
Foto: deckbar.de
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Ich habe zwar keinen eigenen Porsche in der Garage – dafür am Kurs die volle Bandbreite der aktuellen 911-Reihe zur Verfügung, vom Standard-Carrera mit 370 PS und Heckantrieb bis zum Supersportler 911 Turbo S mit 650 PS und Allrad. Es herrscht buntes Treiben auf dem Gelände des World Circuit Marco Simoncelli in Misano an der italienischen Adriaküste: Dutzende Rennteams von zahlungskräftigen Porsche-Kunden bereiten sich aufs letzte Rennweekend der coronabedingt verkürzten Sports-Cup-Saison vor. Aufheulende Motoren sind zu hören, Benzinduft liegt in der Nase – Rennsportatmosphäre eben. Und ich mittendrin!

Je tiefer, desto weiter

Ich kanns kaum erwarten, die ersten Runden auf dem 4,2 Kilometer langen Rundkurs zu drehen. Doch wie vor der ersten Fahrstunde steht erst mal Theorie auf dem Programm. Der Tessiner Renninstruktor Lenny Roggero (41) erklärt: «Die Sitzposition ist auch im Rennwagen das A und O. Das Wichtigste: Je tiefer du sitzt, desto weiter siehst du auf der Rennstrecke.» Doch auch die Lenktechnik ist entscheidend, demonstriert Roggero: «Die Daumen sollten sich auf 9 und 3 Uhr am Lenkrad befinden, damit man auf der Strecke das Lenkrad auch in engen Kurven nicht loslassen muss. Das könnt ihr euch übrigens für den Alltag merken: Wie wir's in der Fahrschule lernen, ist eigentlich falsch!»

Jetzt aber ab auf die Piste! In Fünferkolonne mit Lenny an der Spitze gehts raus auf den noch feuchten Circuit. Das Adrenalin steigt, doch der Instruktor beruhigt über Funk: «Wir wärmen uns und die Reifen erst mal auf. Jeder soll nur so schnell fahren, wie er sich damit wohlfühlt.» Warum ich ausgerechnet für den ersten Stint den Über-911er Turbo S im Wert von mehr als 280'000 Franken gewählt habe, frage ich mich trotzdem bereits nach wenigen Runden. In Kurve 8, der Spitzkehre «Quercia», trete ich etwas zu früh aufs Gas, worauf das Heck des Boliden auszubrechen droht – glücklicherweise greift der elektronische Rettungsanker PASM – Porsches ESP – ein. «Die Elektronik bremst blitzschnell das richtige Rad ab, damit man es doch noch durch die Kurve schafft. Das konntest du gerade selbst erleben», erklärt Roggero lachend beim Debriefing.

Gas geben statt lenken

Dass Autofahren im Prinzip reine Physik ist, erklärt der Profi anhand eines einfachen Beispiels: «Dieser rote Faden hier symbolisiert, wie viel Haftung mein Auto hat. Wenn ich 100 Prozent der Haftung fürs Bremsen aufwende, kann ich nicht mehr lenken – und umgekehrt.» Und Roggero hat noch einen praktischen Tipp: «Wenn ihr in einer Kurve merkt, dass ihr zu viel eingelenkt habt, versucht, aufs Gas zu gehen, um eure Linie zu korrigieren.» Dass Lennys Anweisung auch in der Praxis taugt, merke ich kurze Zeit später: In einer Doppelrechtskurve kann ich nur über den richtigen Einsatz des Gaspedals die Ideallinie fahren, ohne den Lenkwinkel zu verändern.

Auch die weiteren Kursteilnehmer scheinen sich zunehmend wohlzufühlen auf der Rennstrecke – das Tempo steigt. Doch dann passiert, was selbst der erfahrene Renninstruktor noch nicht erlebt hat: Von einem Moment auf den anderen entleeren sich die aufgezogenen Regenwolken sintflutartig – die Sicht tendiert kurzzeitig gegen null. Roggero nimmts gelassen: «Auch das gehört zum Rennsport. Von dieser Situation können wir nur profitieren.»

Heimtückisches Aquaplaning

Trotz Pfützenbildung bleibt das Tempo hoch – und dann passierts: In einer langgezogenen Rechtskurve bricht plötzlich das Heck meines Vordermanns aus. Ein Dreher bei 120 km/h! Die grosszügigen Auslaufzonen verhindern Schlimmeres. «Hier haben wir klassisches Aquaplaning erlebt», erklärt der Instruktor nach dem nassen Intermezzo. «Dabei bildet sich eine Schicht Wasser zwischen Pneu und Asphalt, die Reifen haben keinen Grip mehr. Wenn ihr dann lenkt oder bremst und ein Reifen bekommt auf der Unterlage plötzlich wieder Haftung, endet das immer in einem Dreher.» Für die Praxis heisst das: Lenkrad festhalten, weg vom Gas – und hoffen.

Beim abschliessenden freien Training ist die Strecke wieder abgetrocknet – und wir kommen vollends in einen Temporausch. Bis nach einer halben Stunde die Zielflagge signalisiert: Das wars! Es war definitiv ein extremes Erlebnis, dieses Autofahren im Grenzbereich. Und ich bin mir sicher: Wenn ich mir irgendwann einen Porsche leisten kann, kehre ich zurück auf die Rennstrecke! Dann immerhin nicht mehr als blutiger Anfänger.

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