Ausfahrt in fünf Generationen des Mercedes SL
Amerika, wir danken dir!

Der Mercedes SL ist eine Ikone der Marke mit Stern und eine automobile Legende. Wir gehen auf Nostalgie-Vergleichstour in fünf Generationen – vom Urahn 300 SL bis zur vorletzten Auflage.
Publiziert: 20.06.2021 um 05:25 Uhr
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Aktualisiert: 20.06.2021 um 12:11 Uhr
Timothy Pfannkuchen

Und wieder gehupt statt geblinkt: Ich dirigiere gerade über eine Million Franken auf Pneus durch die Spurwechsel der Rushhour. Fummle ich im Mercedes 300 SL Roadster von 1958 aber am linken Lenkstockhebel, drücke ich nur aus Versehen dabei auf den Hupknopf – ups, wie peinlich. Blinken tut – nichts. Mist. Bis mir im Wortsinne die Erleuchtung kommt: Der Blinkerhebel ist ja der verchromte vermeintliche Hupring im filigranen Volant – leicht drehen, einrasten (und danach ans Zurückstellen denken). Uff. Tja, automobile Legenden führen eben auch zu legendären Anekdötchen.

Aber der Reihe nach: Ehe im Herbst der neue SL (siehe Box) losrollt, fahren wir bei Mercedes in Sindelfingen (D) dessen erste fünf (von sechs) Vorläufer. Seit 1954 ist der SL eine der Ikonen der Marke und der Geschichte. Und wäre fast nicht in Serie gegangen. Der SL («Sport leicht») hatte 1952 als Rennsportler abgeräumt, was an Siegen abzuräumen war: Le Mans, GP Bern, Carrera Panamericana. In Serie ging er nur, weil der US-Importeur sich händeringend Sportcoupés und -roadster wünschte. Amerika, wir danken dir! Also los – von Jung zu Alt.

2001: Der Dragster

Das «Vier-Augen-Gesicht» und das vom kleineren SLK erfundene Klapp-Hardtop («Variodach») machten den SL der Baureihe R 230 (2001–2011) zum Bestseller – und als SL 55 AMG gar zum Brüller. Im Wortsinne! «Wir können auch anders», lautete die Devise des Dragsters unter den SL, der damit erstmals auf den Radar der Supersport-Zirkel geriet. Der 230er wirkt fast (Knöpfe statt Touchscreen) noch topmodern. Bei Vollgas schüttelt der 55er sich kurz durch wie ein nasser Hund und kehrt das Monster unter den Manieren hervor: «Roooaaar», und dann jagt er zum Heulen des Kompressors mit den 517 PS des V8 ab wie entfesselt.

Bereit zur Oldtimer-Ausfahrt: Fünf Generationen Mercedes SL. Von links: Der 300 SL, die «Pagode», R 107, R 129 und R 230.
Foto: Daimler
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1989: Der Innovator

Ihr Cabrio fährt bei Überschlaggefahr einen Überrollschutz aus? Bitte, hier fährt dessen Erfinder. Mit seinen «Sacco-Brettern» als Flankenschutz ist der R-129-SL (1989–2001) eine wunderbar klare Stil-Ikone des damaligen Designchefs Bruno Sacco (heute 87). Wir nehmen den Toptyp SL 600 und bereuen es in der ersten Kurve: Sein V12-Brocken (394 PS) hat zwar Power ohne Ende, aber ist zu viel Motor für den SL und schiebt uns fies zum Rand. Egal, fahren wir gemütlich. Das liegt dem 129er eher, und dann braust der Sommerwind lauter als der Säuselmotor.

1971: Der Langläufer

Unfassbare 18 Jahre (1971–1989) hielt der R 107 mit seinem breit grinsenden Wir-sind-wieder-wer-Selbstbewusstsein im Gesicht, technisch immer wieder auf den neusten Stand gebracht. Kein Leichtgewicht, der Jubilar (50 Jahre!), eher ein sehr erdenschweres Statement für Sicherheit: Sogar ABS und Airbag fanden in den 107er. Die Tür hat Bügelgriffe wie an einem Vintage-Kühlschrank und schliesst auch so: fump! Ein Vergnügen trotz der berüchtigten Kugelumlauf-Lenkung: Man dirigiert den SL – bei uns ein 500er mit 245 PS – mit der Präzision eines Öltankers. Schön, dass ein V8 damals einfach nach V8 tönte statt wie heute oft pubertär.

1963: Die Pagode

Dürften wir uns einen SL aussuchen, wäre es dieser güldene Rückblick auf eine Zeit, als der SL nur 4,28 Meter kurz war. Die «Pagode» (W 113, 1963–1971, so benannt nach der Form des abnehmbaren Hardtops) fegt um alle Ecken wie heute nur Mazdas MX-5. Wie modern sie einst war, spürt man sowohl in Kurven als auch am Komfort. «Ausgewogen» würde man das heute nennen. Ein Oldie-Genuss erster Sahne, zumal die «Pagode» extrem luftig ist und «unser» 280 SL mit 170 PS und Automat mit jungfräulichen 42'000 Kilometern auf dem Zähler läuft wie besonders gut geölt. Röhrt sogar frech. Prädikat: Haben wollen – aber bei 80'000 Franken geht es leider erst los.

1954: Die Legende

Das Beste kommt zum Schluss. Ein Komfortgleiter für Millionäre? Pustekuchen. Budget satt sollte man haben (mind. 1 Million Franken) – aber auch ein Händchen, wie so ein verkappter Rennsportwagen zu zähmen ist. Im Kern ist der 300 SL rau, Gleiten langweilt ihn fühlbar. Also fordern wir die Legende! Bei gut 3000/min erwacht das brüllende Biest im Roadster, der als Frischluft-Bruder ab 1957 auf das geschlossene 1954er-«Flügeltürer»-Coupé folgte. Die 215-Sechszylinder-PS sind noch heute für geschätzt siebeneinhalb Sekunden auf Tempo 100 gut – aber hallo! Und für Schweissperlen nicht nur des Preises wegen: Der 300 SL schätzt die saubere Linie, denn so eine Pendelachse pendelt halt, die Lenkung ist störrisch, Schalten ein Suchspiel. Nach einer Partie über Land ist man durchgeschwitzt, fast erleichtert – und verdammt glücklich.

SL wird wieder zu «Sport leicht»

Ganz still nahm der sechste und bislang letzte Mercedes SL (R 231, 2012–2020) bereits den Hut: Im SUV-Boom sind Roadster out, intern trat er gegen den weit schärferen AMG GT an – und stilistisch wie charakterlich konnte er sich nie vom Vorgänger R 230 absetzen. Ab Herbst will der neue SL (R 232) wieder den zwei Buchstaben (SL = «Sport leicht») gerecht werden. Er entledigt sich des Falt-Coupédachs und trägt eine Stoffmütze und wird auch sonst auf Diät gesetzt.

Geplant sind anfangs Sechs- und Achtzylinder mit 48-Volt-Mildhybrid-System. Vermuten darf man, dass eine elektrische EQ-Variante folgt – und optional 4x4. Um sich vom Extremsportler AMG GT abzusetzen, soll der SL aber nicht nur viel behänder werden, sondern auch zum Cruisen taugen. Noch ist er nur getarnt unterwegs (Bild), aber Blick durfte letztes Jahr mal kurz drunterschauen. Wir glauben: Dieser coole SL hat wieder das Zeug zur traditionsgerechten Ikone.

Daimler

Ganz still nahm der sechste und bislang letzte Mercedes SL (R 231, 2012–2020) bereits den Hut: Im SUV-Boom sind Roadster out, intern trat er gegen den weit schärferen AMG GT an – und stilistisch wie charakterlich konnte er sich nie vom Vorgänger R 230 absetzen. Ab Herbst will der neue SL (R 232) wieder den zwei Buchstaben (SL = «Sport leicht») gerecht werden. Er entledigt sich des Falt-Coupédachs und trägt eine Stoffmütze und wird auch sonst auf Diät gesetzt.

Geplant sind anfangs Sechs- und Achtzylinder mit 48-Volt-Mildhybrid-System. Vermuten darf man, dass eine elektrische EQ-Variante folgt – und optional 4x4. Um sich vom Extremsportler AMG GT abzusetzen, soll der SL aber nicht nur viel behänder werden, sondern auch zum Cruisen taugen. Noch ist er nur getarnt unterwegs (Bild), aber Blick durfte letztes Jahr mal kurz drunterschauen. Wir glauben: Dieser coole SL hat wieder das Zeug zur traditionsgerechten Ikone.

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