«Wir können 40 bis 50 LKWs über das Jahr versorgen»
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Hydrospider-CEO im Interview:«Wir können 40 bis 50 LKWs über das Jahr versorgen»

Brennstoffzelle statt Benzin
Pfeifend in die Zukunft

Einer muss ja mal anfangen: Die Hydrospider AG im solothurnischen Gösgen produziert grünen Wasserstoff für Schweizer Zapfsäulen und will so der Brennstoffzelle auch im Auto zum Durchbruch verhelfen.
Publiziert: 14.11.2021 um 04:17 Uhr
Andreas Faust

Die Zukunft passt in ein fingerdickes Rohr. Das chemische Element H2, Wasserstoff, ist das kleinste, leichteste, flüchtigste Molekül und das häufigste des Universums, unsichtbar und geruchlos. Mit einem Druck von 350 bar – als ob 350 Kilogramm auf einem Quadratzentimeter lasten – strömt das Gas hier durchs Röhrli. Und mit ihm eine der Lösungen für die künftige Schweizer Energieversorgung.

Wasserstoff hat seit Jahrzehnten Konjunktur – zumindest theoretisch. Das Prinzip der Brennstoffzelle wurde schon 1838 vom deutsch-schweizerischen Chemiker Christian Friedrich Schönbein (1799–1868) entdeckt: Wasserstoff reagiert mit Umgebungsluft und setzt dabei Energie, also Strom, frei. Übrig bleibt reines Wasser. Die Zukunft des Autos liege in diesem Antrieb, prophezeien Experten längst. Doch es gab immer wieder Ausreden wie fehlende Tankstellen, zu hohe Kosten und die Frage: Woher soll er denn kommen, der Wasserstoff?

Grüner Wasserstoff aus Naturstrom

Während die Klimakonferenz im schottischen Glasgow noch das Verbrenner-Aus diskutiert, liefert Gösgen SO schon eine mögliche Antwort. Seit Mitte 2020 produziert hier die Hydrospider AG sogenannten grünen Wasserstoff aus regenerativem Strom. Ein Joint Venture des Energieversorgers Alpiq, des Wasserstoff-Pioniers H2 Energy und des deutschen Gasunternehmens Linde, ist die AG sozusagen die Spinne im Netz der Schweizer Wasserstoffversorgung. Hauptabnehmer ist derzeit Hyundai Hydrogen Mobility. Das Unternehmen will bis 2026 rund 1600 Wasserstoff-Lastwagen gemeinsam mit Coop, Migros und Schweizer Spediteuren auf die Strasse bringen. «Hydrospider produziert den gesamten Treibstoff für die derzeit 46 H2-Lastwagen», sagt Hydrospider-CEO Thomas Niederer (56). Immerhin sieben Prozent strömen in die Tanks der noch wenigen Brennstoffzellen-PWs auf Schweizer Strassen.

Woher kommt der Wasserstoff? Seit Mitte 2020 produziert die Hydrospider AG sogenannten grünen Wasserstoff aus regenerativem Strom in Gösgen SO.
Foto: Philippe Rossier
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Mit dem Mirai bietet Toyota seit diesem Jahr die zweite Generation seines H2-Autos an. Fast fünf Meter lang, eleganter als der Vorgänger, mit 186 PS und bis zu 650 Kilometern Reichweite mit einer Füllung. Anscheinend ein Auto gegen den aktuellen Elektro-Trend, der auf grosse Batterien setzt. «Man sollte sich nicht einseitig auf nur eine Technik beschränken», sagt Christian Künstler (41), CEO von Toyota Schweiz. «Man muss den Umweltgedanken, lokale Gegebenheiten und das Nutzerprofil bei der Antriebsentscheidung einbeziehen: Für Batterieautos ist es ratsam, eine Ladeinfrastruktur aus Ökostrom zu haben – ist dies nicht möglich, kann ein Wasserstofffahrzeug die richtige Wahl sein. Immerhin stammt der in der Schweiz eingesetzte Wasserstoff zu 100% aus Wasserkraft.»

Mit Hochdruck in den Container

Produziert wird Letzterer in einem grummelnden Containerstapel neben dem Wasserkraftwerk Gösgen. Hier strömt die Aare durch fünf Turbinen, die Haushalts- und Bahnstrom, Dampf für eine Papierfabrik und die Energie zur Elektrolyse liefern. Wasserstoff ist in der Natur immer mit anderen Elementen gebunden – keine Energiequelle wie Erdöl, sondern Energiespeicher, in den man Strom zunächst investieren muss. Zwei Megawatt Leistung sind reserviert, um Wasser in H2 und Sauerstoff aufzuspalten – das umgekehrte Prinzip der Brennstoffzelle.

Anschliessend wird das Gas auf 350 bar Druck verdichtet und strömt in Tankcontainer. Ein Kubikmeter Wasserstoff wiegt nur 90 Gramm – erst unter Hochdruck passen etwa 350 Kilogramm in die neun Glasfasertanks in der Stahlkiste, von denen einer über 100'000 Franken kostet und rund 16 Tonnen wiegt. Die Container werden per Lastwagen dann an die derzeit neun Schweizer H2-Tankstellen ausgeliefert – quasi eine Art Pfandflaschensystem mit 16 Containern im Umlauf. Rund 300 Tonnen pro Jahr und drei Container voll liefert die Anlage am Tag. Einer reicht für zehn Lastwagen-Füllungen.

Vier Millionen Franken bei vollem Risiko

Beim Bau begann Hydrospider bei null. «Wir sind ein Start-up», sagt Niederer. «Niemand vor uns hatte Erfahrung mit solchen Elektrolyse-Stacks im Dauerbetrieb.» Wichtig sei ihm der Austausch mit den Anwohnern gewesen: «Die lauten Kompressoren für die Verdichtung wurden moniert – daraufhin haben wir sie mit Schallschutzwänden abgekapselt.» Leise pfeift die Abfüllanlage vor sich hin. Wasserstoff ist so flüchtig, dass er sich durch fast jede Dichtung hindurchdrücken kann. «Aber der Gasaustritt liegt unter der Wahrnehmbarkeit der Messgeräte», sagt Niederer. Der hohe Druck versetze zudem die Stahlleitungen in hochfrequentes Schwingen, daher das Pfeifen.

Rund vier Millionen Franken investierte Hydrospider in die Pilotanlage. «Komplett privatwirtschaftlich finanziert, ohne staatliche Förderung und mit vollem Geschäftsrisiko», betont Niederer. Und ohne Gesetzesdruck, sondern aus dem Glauben an die Zukunft des Wasserstoffs. Der könne den unsteten Naturstrom als Speichermedium künftig verstetigen, wenn die Kernkraft ausläuft, erklärt Niederer. Noch überschattet der Kühlturm des Reaktors Niedergösgen die H2-Anlage, aber bis 2040 soll er vom Netz gehen. Per Containersystem liesse sich Wasserstoff sogar in Siedlungen nutzen – ohne aufwendige Infrastruktur, allein per Brennstoffzelle vor Ort. Auch Toyota denkt in diese Richtung: «Seit Februar baut Toyota an der Woven City im japanischen Susono», sagt Christian Künstler. «Sie soll ihre Energie komplett aus Wasserstoff beziehen – ein Vorbote der Wasserstoffgesellschaft.»

Allerdings kommen derzeit nur 25 bis 30 Prozent des investierten Stroms im Lastwagenmotor an – bei jedem Umwandlungsschritt geht Energie verloren. Aber das ist für Niederer zweitrangig: «Wir müssen für die nächsten Generationen alles daransetzen, den Verkehr zu dekarbonisieren – Wasserstoff hat dabei einen wichtigen Anteil», erklärt er. So wie die Flotte der H2-Lastwagen stetig wächst, ist auch ein Ausbau der Anlage geplant – und damit künftige Rentabilität. Noch macht Hydrospider keinen Gewinn, aber ein solcher sollte sich ab 2025 erzielen lassen, rechnet Niederer vor. Eine Verfünf- bis Versechsfachung der Produktion hat er mittelfristig fest eingeplant: «In fünf Jahren dürfte es sogar noch einiges mehr werden.»

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