Globaler Beratungsriese KPMG befragte Auto-Executives
Optimismus beim Wachstum, Zurückhaltung bei E-Mobilität

Wie schaut die Autobranche nach drei Krisenjahren in die Zukunft? Das Consulting-Unternehmen KPMG hat Führungskräfte aus der Industrie befragt – und teils überraschende Antworten erhalten.
Publiziert: 30.04.2023 um 12:20 Uhr
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Andreas FaustLeitung Auto & Mobilität

Deutschland ist ein Autoland. Bei unserem nördlichen Nachbarn arbeitet etwa jeder 37. Beschäftigte in der Autobranche. Rund 786'000 sind es bei den Autobauern und Zulieferern; hinzu kommen weitere 435'000 in Handel und Garagengewerbe. Und in der Schweiz? Ist sogar jede 23. in der Autobranche angestellt! Macht in absoluten Zahlen rund 224'000 Beschäftigte. «Was weltweit in der Auto- und Zuliefererindustrie passiert, fällt uns auch in der Schweiz auf die Füsse», räumt Roman Wenk (49) mit dem alten Vorurteil auf, die Schweiz habe keine Autoindustrie, weil es hier keine Hersteller gibt.

Wenk leitet den Sektor Automotive bei der Schweizer Ländergesellschaft von KPMG. Alljährlich erhebt das global tätige Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen die Einschätzungen und Erwartungen von Auto-Kaderleuten für die Zukunft ihrer Branche. Statt nur in die eigene Glaskugel zu schauen, fragt es also jene, die täglich mit den Herausforderungen und Transformationsprozessen der Branche konfrontiert sind – in diesem Jahr zum 23. Mal.

Grundstimmung: optimistisch

Dabei standen 915 Führungskräfte aus 30 Ländern – darunter sechs aus der Schweiz – Rede und Antwort zu wirtschaftlichen Aussichten, Zukunftstechnologien, aber auch zum Wandel im Käuferverhalten und zu neuen Geschäftsmodellen. Rund 15 Prozent arbeiten in verantwortlichen Positionen bei den grossen Autobauern, 16 Prozent bei sogenannten Tier-1-Zulieferern, die unmittelbar an die Hersteller liefern, und 16 Prozent bei IT-Unternehmen mit Verbindung zur Autobranche.

Nach drei Jahren Dauerkrise wegen Corona, Chipmangel und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erwartet die Autoindustrie wieder Wachstum. Im Bild das Mercedes-Werk.
Foto: Daimler AG
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Grösste Überraschung für Wenk: «Der Optimismus in der Autoindustrie ist viel grösser als im letzten Jahr.» Rund 83 Prozent der Befragten erwarten, dass die Autoindustrie in den kommenden fünf Jahren wieder profitabel wächst. Trotz des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine? «Im Gegensatz zu Corona und Chipkrise, die sich entspannt hat, hat der Krieg deutlich weniger Auswirkungen auf die Branche.» Was die Zuversicht befeuere, seien auch hohe Lagerbestände, dank derer die Lieferrückstände der letzten Jahre schnell aufgeholt werden könnten. Im letzten Jahr wurden weltweit rund 3,6 Millionen Autos weniger gebaut als erwartet.

Elektromobilität verlangsamt

Dafür kehrt Ernüchterung bei der Elektromobilität ein. Noch im letzten Jahr erwarteten die Befragten für 2030 einen Elektroauto-Anteil von je nach Region bis zu 70 Prozent an den Neuwagenverkäufen – jetzt liegt die Schätzung bei maximal 40 Prozent. Woran liegts? Die Energiethematik und die Entwicklung der Infrastruktur beeinflussen laut Wenk die Erwartungen: «Elektrofahrzeuge kommen, ganz klar. Aber es geht etwas langsamer als gedacht.» Letztendlich entscheide der Konsument, wie schnell sich die E-Autos durchsetzen. Aber solange Laden nicht so reibungslos sei wie Tanken und man ständig Kaffeepausen einlegen müsse, um die Ladezeiten zu überbrücken, bliebe mancher zögerlich. Dabei geht die Mehrheit der Befragten davon aus, dass Ladezeiten von 30 Minuten für E-Auto-Fahrerinnen akzeptabel seien.

Am Angebot liegt es indes nicht. In den kommenden vier Jahren werden laut KPMG global rund 160 neue Elektro-Modelle lanciert. Welche Marken sehen die befragten Auto-Executives künftig vorne? Nicht die Etablierten: Als Technikleader werden bis 2030 Elektropionier Tesla, der chinesische Huawei-Konzern und die Google-Tochter Waymo erwartet. Bei den Verkäufen dürfte ebenfalls Tesla führen; dahinter sehen die Befragten Audi, BMW und neu Apple vor Ford, Honda und dem chinesischen Autobauer BYD. Tatsächlich Apple auf Platz 4, denn 66 Prozent der Befragten sind sich sicher, dass der iPhone-Erfinder auch ein Auto lancieren wird – wie auch Google (59 Prozent), Amazon (57 Prozent) und Huawei (45 Prozent). Entscheidend für den Erfolg werde laut der Studie sein, wie gut eine Marke bei Image, Datensicherheit und Fahrverhalten der Autos aufgestellt sei.

Neue Konkurrenz aus China

Elektroantriebe lassen dabei neue chinesische Hersteller aufholen – die Verbrenner-Erfahrung der Etablierten ist nichts mehr wert. Macht jenen die neue Konkurrenz Sorgen? «Tesla hat gezeigt, dass auch neue Player den Markt aufrollen können», sagt Wenk. Aber gleichzeitig seien neue Hersteller auch auf Kooperationen angewiesen – auch in der Schweiz. Heute schon übernehme der VW-Importeur Amag beispielsweise Karosserie-Reparaturen für Tesla: «Auch neue Marken brauchen Servicebetriebe und Werkstätten. Da eröffnen sich Möglichkeiten für Etablierte.»

Hat die Branche den Wandel schon verstanden? «Die Zulieferer definitiv, auch in der Schweiz», so Wenk. Sie steckten mitten in der Transformation und hätten in den letzten drei Krisenjahren gelernt, sich agiler und flexibler aufzustellen. Sie investieren in Digitalisierung und holen sich durch Akquisitionen neues Know-how ins Haus. «Und sie verhandeln sehr gut; sie konnten die gestiegenen Rohstoffpreise und Fertigungskosten an die Hersteller weitergeben.» Gerade Schweizer Zulieferer könnten in Zukunft profitieren, wenn europäische Hersteller ihre Lieferbeziehungen lokaler aufstellen, weil nach den Erfahrungen der letzten Jahre globalisierte Lieferketten «ein Fragezeichen tragen.»

Online-Verkäufe werden wichtiger

Und der Handel? Den grössten Umbruch erwarten die Befragten der KPMG-Studie beim Vertrieb. Rund 70 Prozent rechnen damit, dass 2030 über die Hälfte der Autos online verkauft werden – und zwar zu je gleichen Teilen von Herstellern, Händlern und Handelsplattformen. «Der Generationenwechsel bei den Neuwagenkäufern beschleunigt die Entwicklung noch», meint Wenk. Inzwischen könnten sich auch in digitalen Zeiten Aufgewachsene schon neue Autos leisten: «Unsere Generation will das Auto noch vorher anfassen, aber sie haben kein Problem mit dem Online-Kauf.» Wenn die für die Schweiz typische Bindung zum lokalen Garagisten bröckle, müssten sich die Marken jugendlicher aufstellen, damit die onlineaffine Kundschaft nicht zu anderen abwandere.

Die Hersteller können nun aber auch höhere Preise für ihre Modelle erzielen: «Nach Corona haben sich in der Schweiz viele Käuferinnen und Käufer gesagt: Wenn ein neues Auto, dann ein richtiges.» Zudem wurden in der Zeit des Chipmangels Margen-trächtige Modelle bevorzugt gebaut, während günstige nicht verfügbar waren. Auch das trieb die Preise. Bleibt das so? «Mit unsicherem Wirtschaftsausblick gewinnen günstigere Autos wieder an Bedeutung. Insgesamt rechnen die Befragten unserer Studie mit global drei bis sechs Prozent Wachstum jährlich bis 2030. Und der Optimismus gilt auch für die Schweiz», zeigt sich Wenk zuversichtlich.

Aus dem Aargau nach Zürich zum Autokauf

Was bedeutet das für die Garagisten in der Schweiz? «Die Hersteller wollen immer mehr zentralisieren, auch um die Preise festsetzen und Rabatte ausschliessen zu können», erklärt Wenk. Gut 62 Prozent der befragten Auto-Kaderleute gehen davon aus, dass Kunden künftig für direkt vom Hersteller bezogene Zusatzfunktionen per Softwareupdate zahlen werden – nur ein Geschäft neben sinkendem Wartungsbedarf bei E-Autos, das den Händlern verloren gehen wird. Die Netzdichte werde sich ausdünnen, ist sich Wenk sicher. Grössere Händler mit mehr Kompetenzen dürften Vorteile haben, kleinere werden sich zusammenschliessen. Letzten Endes würden die guten Betriebe überleben und jene Händler eingehen, die auch bisher Schwierigkeiten hätten.

Aber antworten die Studienteilnehmer wirklich realistisch – oder sind manche Einschätzungen der Auto-Kader Wunschdenken? «Zum Teil schon», gibt Wenk zu. Vor allem, wenn man die Ergebnisse von Jahr zu Jahr vergleiche. Beispiel Marktanteil für Elektrofahrzeuge: In der E-Euphorie des letzten Jahres erwarteten die Befragten 50 Prozent fürs Jahr 2030 – jetzt nur noch 24 Prozent. «Über die Jahre hinweg werden die Einschätzungen immer realistischer.»

Das könnte vielleicht auch für diese Frage der Studie gelten: Rund 70 Prozent der Befragten erwarten, dass wir 2030 auch schon mit senkrecht startenden Mini-Flugzeugen unterwegs sein werden.


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