HSG-Professor Andreas Herrmann über die Mobilität der Zukunft
«In 15 Jahren haben die Städte keinen Privatverkehr mehr»

Andreas Herrmann, Experte für autonomes Fahren und die Verkehrswende, sagt im Interview, die Schweiz könne diesbezüglich mehr tun – und fürchtet, dass sie sonst trotz guter Ausgangslage eine Chance verpasst.
Publiziert: 17.07.2022 um 05:37 Uhr
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Aktualisiert: 20.07.2022 um 09:46 Uhr
Timothy Pfannkuchen

Herr Herrmann, alle reden vom autonomen Fahren. Wann lassen wir uns endlich chauffieren?
Andreas Herrmann: Ab sofort! Angefangen mit Deutschland kommen erstmals gesetzliche Grundlagen, und Mercedes hat ein Level-3-System. Mobileye setzt in München ab Herbst 25 vollautonome Taxis ein, ab 2023 in Paris, New York und weiteren Städten. Wir erleben automatisiertes Fahren jetzt erstmals im Alltag.

Wie steht es beim autonomen Fahren um die Schweiz?
Wir könnten mehr tun! Hier fahren seit sechs Jahren einige kleine Busse in diversen Pilotprojekten. Wir haben viele kleine Projekte, doch fehlt noch der eine grosse Wurf.

Laut den früheren Ankündigungen der Autobranche würden wir heute längst autonom fahren. Warum dauert es so lange?
Das hat viele Gründe. Einer ist die Rechtslage. Deutschland hat nun den Anfang gemacht, zuvor gab es nur Sondergenehmigungen. Ein weiterer Grund ist, dass der Business Case fehlt, weil das Neuland für Autohersteller ist: Jährlich verbringen die Menschen 600 Milliarden Stunden in Autos, Amazon oder Netflix stehen bereit. Zu guter Letzt zögern auch Kundinnen und Kunden.

Viele Experten sagen: Irgendwann dürfen wir gar nicht mehr selbst fahren.
Das könnte so kommen. Mindestens 90 Prozent aller Unfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Automatisiertes Fahren kann Anzahl und Schwere der Unfälle enorm reduzieren. Wir erleben es bereits jeden Tag, mit immer besseren Assistenzsystemen.

Im grossen Interview äussert sich HSG-Professor und Mobilitätsexperte Andreas Herrmann (57) zu autonomem Fahren und Verkehrswende.
Foto: zVg
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Ob autonom oder nicht: Viele Städte verbannen Autos. Hat das private Auto noch Zukunft?
In manchen Gesellschaften ja – etwa in China oder Indien: Die kommen erst ins Autozeitalter. Dort ist ein Auto Status. Aber bei uns kommt bereits die Frage auf: Sollen wir überhaupt noch Privatfahrzeuge in Innenstädte lassen? Meine Prognose: In 15 Jahren haben wir in den hiesigen Städten fast keinen Privatverkehr mehr. Auf dem Land ja, aber für Städte steigt man um.

Persönlich: Andreas Herrmann

Andreas Herrmann (57) ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und leitet seit eineinhalb Jahren das Institut für Mobilität der Universität St. Gallen (IMO-HSG). Er war zuvor unter anderem bei Audi, ist seit 2002 an der HSG und hat 15 Bücher zu Themen wie autonomem Fahren, Multimodalität (Verknüpfung der Verkehrsträger) und Mobilitätswende veröffentlicht. Sein jüngstes Werk als Co-Autor heisst «Mobilität für alle ... auf Knopfdruck» und zeigt auf, wie uneingeschränkte Mobilität künftig klimagerecht gestaltet werden könnte.

HSG-Professor Andreas Herrmann (57) gilt als einer der renommiertesten Experten für die Mobilität der Zukunft.
zVg

Andreas Herrmann (57) ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und leitet seit eineinhalb Jahren das Institut für Mobilität der Universität St. Gallen (IMO-HSG). Er war zuvor unter anderem bei Audi, ist seit 2002 an der HSG und hat 15 Bücher zu Themen wie autonomem Fahren, Multimodalität (Verknüpfung der Verkehrsträger) und Mobilitätswende veröffentlicht. Sein jüngstes Werk als Co-Autor heisst «Mobilität für alle ... auf Knopfdruck» und zeigt auf, wie uneingeschränkte Mobilität künftig klimagerecht gestaltet werden könnte.

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Auto-Abos schiessen aus dem Boden. Nur ein kurzer Hype oder ein dauerhafter Trend?
Der Gesetzgeber könnte den Privatbesitz von Autos unattraktiver machen. Etwa, indem Städte tabu sind – und dann macht ein Abo mehr Sinn als ein eigenes Auto. Zumal ja die junge Generation nicht mehr am eigenen Auto hängt. Ich persönlich habe noch samstags das Auto meines Vaters geputzt, aber meine Kinder kämen nicht mehr im Entferntesten auf die Idee.

Die Schweiz scheint in Sachen Mobilitätswende eher vorsichtig abwartend …
… und ich finde diese abwartende Haltung riskant. Vergleichen Sie mal mit Israel: Ähnliche Einwohnerzahl, ähnlicher Bildungsstatus – und dort sind dank Förderung über 600 Start-ups der Mobilitätsindustrie entstanden. Es geht nicht darum, ob Israel dann eine bessere Mobilität hat – sondern darum, wohin die Mobilitätsindustrie wandert. Wir haben mit der SBB, der ETHZ, der EPFL eine grosse Chance, die sollten wir nutzen.

Der Bundesrat sollte also die Mobilitätsindustrie fördern?
Ja! Wir hätten alle Bestandteile für diese Billiarden-Industrie. Aber wir müssen entscheiden, ob wir partizipieren wollen. Die Akteure – wie Städte, Technologiefirmen oder die Autoindustrie – müssen zusammenkommen, sonst geht das nicht. Keiner kann es alleine. Hier braucht es das Uvek – das Bundesamt für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation – als Koordinator.

Ihr neues Buch (siehe Kasten) betont die Wichtigkeit der Mobilität für wirtschaftliches Wohlergehen. Gibt es Lösungen für das Dilemma Mobilität versus Umweltschutz?
Wir brauchen Mobilität für alle und müssen gerade deshalb umsteuern! In der Schweiz hat unsere super Mobilität ökonomische Effekte wie hohe Einkommen und tiefe Arbeitslosigkeit. Mobilitätsverzicht ist also keine Option, deshalb muss die Mobilität zwingend ökologischer werden: Ein Viertel der CO₂-Emissionen stammt aus dem Transport. Jetzt ist dank neuer Technologien die Chance zur Mobilitätswende da. Lasst uns diese Intelligenz nutzen, statt immer mehr Infrastruktur zu bauen.

Dürfen wir in zehn Jahren noch in Städte wie Basel, Bern oder Zürich reinfahren?
Der Klimawandel kommt in diesen Tagen auch bei uns an. Wir brauchen die Flächen für Parks statt für Parkplätze. Wenn die Schweiz nicht Vorbild beim Klimaschutz ist, wer dann?

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