Neue Reifen für die Elektromobilität
Sicher bremsen mit Löwenzahn

Der Ökotrend in der Autoindustrie macht vor den Reifen nicht Halt. Die Industrie arbeitet an neuen Technologien, um bis 2050 komplett nachhaltige Pneus liefern zu können. Statt auf Gummi setzt sie auf recycelte PET-Flaschen – und eine Wiesenpflanze.
Publiziert: 24.12.2022 um 19:05 Uhr
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Martin A. BartholdiRedaktor Auto & Mobilität

Einmal pusten und die Samen tanzen an weissen Flugschirmen durch die Luft. Pusteblumen, besser bekannt als Löwenzahn, sind ein Spass für Kinder und lästiges Unkraut für Gärtner, Heilpflanze und Dekor im Salat. Nun könnten sie sogar dabei helfen, unser Klima zu retten.

Denn die Reifenindustrie hat den russischen Löwenzahn als Kautschukquelle entdeckt. Der gummiartige Rohstoff ist Bestandteil des Milchsafts der Pflanze. Kautschuk macht rund 40 Prozent eines Autoreifens aus und wird derzeit aus dem Gummibaum gewonnen – ist also bereits ein nachwachsender, nachhaltiger Rohstoff. Doch Gummibäume benötigen tropisches Klima, die Plantagen liegen im äquatorialen Regenwald – von dem immer wieder grosse Flächen für neue Plantagen gerodet werden mit Auswirkungen auf unser Klima.

Die Herausforderungen beim Löwenzahn

Der russische Löwenzahn dagegen wächst praktisch überall, in jedem Klima und ohne besondere Pflege – selbst neben einer Reifenfabrik. Als Grundstoff für Autopneus schützt er den Regenwald und spart auch Emissionen, weil er nicht per Schiff transportiert werden muss.

Die Reifenindustrie hat den russischen Löwenzahn als Kautschukquelle entdeckt. Der gummiartige Rohstoff ist Bestandteil des Milchsafts der Pflanze.
Foto: zVg
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Das steht auf einem Reifen
  1. Reifenbreite in Millimeter
  2. Reifenhöhe im Verhältnis zur Breite; im Beispiel 65 Prozent von 195 Millimeter
  3. Bauart: R = Radialreifen, D = Diagonalreifen
  4. Felgendurchmesser in Zoll (1 Zoll = 2,54 Zentimeter)
  5. Tragfähigkeitsindex: 91 = 615 Kilogramm pro Reifen
  6. Zulässige Höchstgeschwindigkeit: H = 210 km/h
  7. Hersteller und Produktname
  8. DOT-Nummer (die letzten vier Ziffern zeigen das Herstellungsdatum): 0809 = 8. Woche von 2009
  9. Tubeless = schlauchlos, tube type = mit Schlauch
  10. Schneeflockensymbol für Wintertauglichkeit
  11. M+S (Mud & Snow) sind Winter- oder Ganzjahresreifen.
  12. Europäische ECE-Normen werden eingehalten, die Zahl steht für das bewilligende Land.
  13. Run Flat ist ein Reifen mit Notlaufeigenschaften.
  14. Zeigt die Abnützungsanzeiger auf der Lauffläche an
TCS
  1. Reifenbreite in Millimeter
  2. Reifenhöhe im Verhältnis zur Breite; im Beispiel 65 Prozent von 195 Millimeter
  3. Bauart: R = Radialreifen, D = Diagonalreifen
  4. Felgendurchmesser in Zoll (1 Zoll = 2,54 Zentimeter)
  5. Tragfähigkeitsindex: 91 = 615 Kilogramm pro Reifen
  6. Zulässige Höchstgeschwindigkeit: H = 210 km/h
  7. Hersteller und Produktname
  8. DOT-Nummer (die letzten vier Ziffern zeigen das Herstellungsdatum): 0809 = 8. Woche von 2009
  9. Tubeless = schlauchlos, tube type = mit Schlauch
  10. Schneeflockensymbol für Wintertauglichkeit
  11. M+S (Mud & Snow) sind Winter- oder Ganzjahresreifen.
  12. Europäische ECE-Normen werden eingehalten, die Zahl steht für das bewilligende Land.
  13. Run Flat ist ein Reifen mit Notlaufeigenschaften.
  14. Zeigt die Abnützungsanzeiger auf der Lauffläche an
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Nur liefert die Wildpflanze nicht genug Kautschuk für eine industrielle Nutzung. Deshalb wird versucht, eine kautschukträchtigere Art zu züchten. Dafür hat der deutsche Reifenproduzent Continental 2018 im Nordosten Deutschlands ein Forschungslabor eröffnet. Es soll das Potenzial des Löwenzahns für die Reifenproduktion erforschen und den Anbau und die Verarbeitung von Löwenzahn optimieren. Erster Erfolg: die Lancierung eines Veloreifens aus Löwenzahnkautschuk nur ein Jahr später. Ab 2028 soll Löwenzahnkautschuk sukzessive in der Serienfertigung von Pneus eingesetzt werden.

Der lange Weg zum grünen Gummi

Neben Gummi bestehen Reifen aus Stahl, Polyester, Nylon, Russ, Kreide, Harzen und weiteren Chemikalien. Diese Bestandteile sollen nach und nach umweltgerecht produziert, durch Bioalternativen ersetzt oder wiederverwertet werden. Bis 2050 sollen Pneus komplett nachhaltig sein.

Der unverwundbare Autoreifen

Jedes Jahr müssen 200 Millionen Reifen weltweit ersetzt werden, obwohl ihr Profil noch gut ist. Doch wegen aufgerissener Flanken oder anderen Beschädigungen verlieren sie Luft. In Europa halten Pneus zwischen vier und fünf Jahren – in China müssen sie wegen der üblen Strassen schon alle sechs Monate getauscht werden.

Das ist wirtschaftlich und ökologisch ein Problem. Der luftlose Reifen Uptis (Bild) soll die Lösung sein, erklärt Michelin-Entwicklungschef Eric Vinesse. «Er ist bei gleicher Leistungsfähigkeit deutlich langlebiger als normale Pneus.» Felge und Reifen sind nicht mehr getrennt: Sein Alu-Radstern ist fest von unzähligen flexiblen Lamellen umgeben. Sie bestehen aus Gummi und in Resinharz gebetteten Glasfasern und tragen die Lauffläche. «Nur sie nutzt im Reifenleben künftig ab, aber kann leicht ersetzt werden», sagt Vinesse. Für die Produktion setzt Michelin auf 3D-Druck.

Das spart Ressourcen, Kosten und nimmt die Angst vor Reifenplatzern oder am Bordstein aufgeschlitzten Pneus. Schlaglöcher federn die Lamellen so geschmeidig ab wie ein normaler Pneu; scharfer Schotter und Kanten sollen ihnen nichts anhaben können. Ab 2024 soll der Serien-Uptis für PW und SUV verfügbar sein.

Michelin

Jedes Jahr müssen 200 Millionen Reifen weltweit ersetzt werden, obwohl ihr Profil noch gut ist. Doch wegen aufgerissener Flanken oder anderen Beschädigungen verlieren sie Luft. In Europa halten Pneus zwischen vier und fünf Jahren – in China müssen sie wegen der üblen Strassen schon alle sechs Monate getauscht werden.

Das ist wirtschaftlich und ökologisch ein Problem. Der luftlose Reifen Uptis (Bild) soll die Lösung sein, erklärt Michelin-Entwicklungschef Eric Vinesse. «Er ist bei gleicher Leistungsfähigkeit deutlich langlebiger als normale Pneus.» Felge und Reifen sind nicht mehr getrennt: Sein Alu-Radstern ist fest von unzähligen flexiblen Lamellen umgeben. Sie bestehen aus Gummi und in Resinharz gebetteten Glasfasern und tragen die Lauffläche. «Nur sie nutzt im Reifenleben künftig ab, aber kann leicht ersetzt werden», sagt Vinesse. Für die Produktion setzt Michelin auf 3D-Druck.

Das spart Ressourcen, Kosten und nimmt die Angst vor Reifenplatzern oder am Bordstein aufgeschlitzten Pneus. Schlaglöcher federn die Lamellen so geschmeidig ab wie ein normaler Pneu; scharfer Schotter und Kanten sollen ihnen nichts anhaben können. Ab 2024 soll der Serien-Uptis für PW und SUV verfügbar sein.

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Ein weiterer Bestandteil sind leere PET-Flaschen. Schon heute werden sie in Autos wiederverwertet, vor allem in Sitzbezügen. Die Reifenindustrie setzt Polyestergarn aus PET bisher als Stoffgewebe im Reifeninnern ein. Seit diesem Frühling gibts erste Reifen von Continental, bei denen auch die tragende Karkasse aus wiederverwerteten PET-Flaschen besteht. Für einen Reifensatz werden 40 Flaschen recycelt. Weiter hat Continental ein Verfahren entwickelt, um die leeren Flaschen ohne chemische Zwischenschritte wiederzuverwerten, was effizienter und umweltschonender ist. Auch Michelin arbeitet an der Nutzung recycelter PET-Flaschen.

Pneu wiederverwerten

Selbst der Reifen soll ein zweites und drittes Leben erhalten. In der Schweiz fallen jährlich 55'000 Tonnen Altreifen an. Einige werden generalüberholt und mit einer neuen Lauffläche mit frischem Profil versehen – als würde man Schuhe neu besohlen. Doch nach dem zweiten Leben sind sie reif für die Wiederverwertung. Die Reifenindustrie ist vor allem auf den Russ aus, der 15 bis 20 Prozent des Pneus ausmacht und für die schwarze Farbe sorgt. Im Rahmen der Pyrolyse werden die chemischen Verbindungen der Pneubestandteile bei hoher Hitze aufgespalten und so zurückgewonnen.

Besser rollen

Laut Michelin verursacht ein Pneu aber bis 90 Prozent seiner Umweltbelastung, wenn er genutzt wird. Die Bereifung beeinflusst die Effizienz eines Fahrzeugs. Je geringer der Rollwiderstand, desto geringer der Verbrauch oder desto höher die Reichweite bei einem Elektroauto. Geringer Rollwiderstand ist aber nicht alles – schliesslich muss der Reifen beim Bremsen auch Grip aufbauen. Ein theoretischer Widerspruch, den die Hersteller im langwierigen Entwicklungsprozess auflösen müssen.

Zudem werden Autos immer schwerer – auch wegen der Elektroantriebe mit grossen Batterien. Sie setzen die Pneus höheren Belastungen aus, weil das maximale Drehmoment eines Elektromotors ab der ersten Umdrehung anliegt. Stromer brauchen also widerstandsfähigere Reifen, die mehr Gewicht tragen können. Ansatzpunkte sind Reifenprofil und Gummimischungen.

Aufwendige Tests

Heutige Computermodelle können das Verhalten eines Reifens zwar recht gut vorhersagen, sind aber kein Ersatz für reale Tests. Deshalb betreiben alle Reifenhersteller auf der ganzen Welt Teststrecken. Doch die Winterteststrecken im Norden bieten immer kleinere Zeitfenster für Tests, weil dort die Winter kürzer und wärmer werden. Deshalb eröffnete das schwedische Unternehmen Arctic Falls 2016 eine Indoor-Teststrecke, in der Reifen- und Autohersteller selbst im Sommer auf Schnee und Eis testen können. Schneekanonen verwandeln bei –3 bis –12 Grad 16'000 Quadratmeter Hallenfläche ganzjährig in eine Winterwelt.

Die Reifenhersteller scheuen keinen Aufwand, um sichere, nachhaltig produzierte und auf die Bedürfnisse unserer Mobilität abgestimmte Pneus anbieten zu können. Auch vier Reifen aus PET-Flaschen und Löwenzahnkautschuk stehen gemeinsam nur mit kaum der Fläche einer Postkarte auf dem Asphalt – und müssen dennoch alle Anforderungen wie Haltbarkeit, Grip und Bremsverhalten erfüllen. Ja, das kostet Geld. Aber wer bei den Pneus spart, spart an der eigenen Sicherheit.

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