Rivale oder Rohrkrepierer?
Dubioser Neustart des Microlino-Klons

Nächstes Jahr soll der Zweisitzer Evetta starten. Wird der E-Flitzer im nostalgischen Retrolook, der dem Microlino zum Verwechseln ähnlich sieht, tatsächlich zum grossen Microlino-Rivale? Wir haben unsere Zweifel.
Publiziert: 16.07.2022 um 05:23 Uhr
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Aktualisiert: 21.07.2022 um 12:12 Uhr
Raoul Schwinnen

Anfang Jahr sorgte die deutsche ElectricBrands AG mit der Ankündigung ihres modular aufgebauten Elektro-Fahrzeugs Xbus für Aufsehen. Auch Blick berichtete über den skurril ausschauenden Prototypen. Doch noch ehe die Serienfertigung des Xbus angelaufen ist, sorgt ElectricBrands mit der Übernahme des vor der Insolvenz stehenden Sportwagenbauers Artega erneut für Schlagzeilen.

Artega? Da klingelt doch was. Für grössere Produktionskapazitäten spannten die Schweizer Microlino-Macher aus Küsnacht ZH vor vier Jahren mit Artega zusammen. Keine gute Idee. Denn die Deutschen planten nichts anderes, als an die Produktionsrechte zu kommen, um parallel zum Microlino ein eigenes, optisch fast identisches Fahrzeug namens Karo auf den Markt zu bringen. Schnell wurde die Ehe vor Gericht in Unfrieden wieder geschieden, jeder ging seinen Weg. Microlino fand in Italien einen neuen Partner und überarbeitete seinen ursprünglichen Prototypen gründlich. Das Resultat ist der Microlino 2.0, dessen Verkauf letzten Monat zu Preisen ab 14’990 Franken endlich offiziell startete.

Artega vor dem Aus gerettet

Auch bei der deutschen Artega will man nach dem Rechtsstreit das Projekt Karo weiter vorantreiben. Allerdings gerät der einstige Sportwagenhersteller bald in finanzielle Schieflage – es droht die Insolvenz und das Aus für die elektrische Isetta-Neuauflage. Da taucht vor zwei Monaten als Retter überraschend die ElectricBrands-Gruppe auf, übernimmt Artega und dessen Karo-Projekt und kündigt selbstbewusst an, den elektrischen Zweisitzer selbst zu produzieren und ab Anfang 2023 auf den Markt zu bringen – allerdings nicht als Karo, sondern neu unter der Bezeichnung Evetta.

Nächstes Jahr soll noch eine Elektro-Knutschkugel durch unsere Innenstädte surren.
Foto: ZVG.
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Wie finanziert sich das alles?

Die deutsche Presse jubelt – und feiert ElectricBrands als erfolgreiches Start-up. Allerdings: Noch hat das Unternehmen keines seiner geplanten Projekte auch konkret umgesetzt. Nimmt man das Unternehmen und seine geplanten Projekte zudem etwas genauer unter die Lupe, tauchen einige Fragen auf. Zum Beispiel: Wie finanzierte ElectricBrands die Artega-Übernahme? Etwa mit den bereits kassierten Gebühren der vertraglich fixierten ElectricBrands-Händler – oder mit den Anzahlungen der über 16’000 Xbus-Vorbestellungen?

Wer ist ElectricBrands?

Die ElectricBrands AG ist ein deutscher Hersteller von E-Fahrzeugen mit Sitz in Schleswig-Holstein. Gegründet wurde das Start-up 2020 in Hessen, ehe der Unternehmenssitz vor einem Jahr an den geplanten Produktionsstandort nach Itzehoe verlegt wurde. Das erste Produkt von ElectricBrands wird der Xbus – ein Elektro-Leichtfahrzeug, das bereits seit 2018 entwickelt wird und dessen erster Prototyp im Juli 2021 der Weltöffentlichkeit präsentiert wurde. Kürzlich konnte Blick ein Vorserienfahrzeug des Xbus fahren.

Der deutsche Hersteller ElectricBrands AG zeigte kürzlich erste Vorserienmodelle des kompakten Elektro-Modells Xbus.

Die ElectricBrands AG ist ein deutscher Hersteller von E-Fahrzeugen mit Sitz in Schleswig-Holstein. Gegründet wurde das Start-up 2020 in Hessen, ehe der Unternehmenssitz vor einem Jahr an den geplanten Produktionsstandort nach Itzehoe verlegt wurde. Das erste Produkt von ElectricBrands wird der Xbus – ein Elektro-Leichtfahrzeug, das bereits seit 2018 entwickelt wird und dessen erster Prototyp im Juli 2021 der Weltöffentlichkeit präsentiert wurde. Kürzlich konnte Blick ein Vorserienfahrzeug des Xbus fahren.

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Gründer und Besitzer von ElectricBrands Ralf Haller will sich dazu nicht äussern. Auch nicht, wie zum Beispiel die Entwicklung, der Aufbau der Produktion und der Vertrieb für die geplanten Fahrzeuge Xbus und Evetta finanziert werden. Bislang existieren erst einige Showcars und Prototypen. Ebenfalls unbeantwortet bleibt, woher das technische Know-how für Entwicklung, Produktion und Verkauf stammen soll. Denn weder den Gründer und Besitzer von ElectricBrands, noch den Rest seines Managements kennt man bislang in der Autobranche. Auf unsere schriftlich eingereichten Fragen erhielten wir nur die freundliche Antwort, dass man sich um eine zeitnahe Beantwortung der Fragen bemühen werde. Danach? Funkstille.

Grosse Versprechungen

Doch im Internet verkündet Ralf Haller: «Die Zeit ist reif für den Xbus.» Bei genauerer Betrachtung der dort veröffentlichten Fahrzeugdaten hegen wir allerdings so unsere Zweifel. Wie soll das modular aufgebaute und ohne Batterien mindestens 500 Kilogramm (zulässiges Gesamtgewicht 1600 kg) wiegende Fahrzeug mit einem 10 kWh-Akku die versprochenen 200 Kilometer Reichweite schaffen? Mit heutiger Technik fast unmöglich. Dazu widersprechen sich die für die Homologation nötigen Zulassungsbestimmungen für Electric Light Vehicles (ELV) und die von ElectricBrands publizierten Werte für den Xbus.

Kein Wunder, sehen die Microlino-Geschäftsführer Merlin (26) und Oliver Ouboter (27) der neuen (alten) Konkurrenz gelassen entgegen. Merlin Ouboter: «Meiner Meinung nach hat ElectricBrands mit der Artega-Übernahme nicht viel Substanzielles erhalten. Seit unserem Rechtsstreit vor drei Jahren wurde beim Karo bzw. Evetta im Gegensatz zu unserem Microlino nicht mehr viel entwickelt.» Auch den von ElectricBrands für Anfang 2023 kommunizierten Produktions- und Verkaufsstart sowie den von den Deutschen genannten Jahresausstoss von 30’000 Fahrzeugen hält er für unrealistisch. «Sie haben weder ihr erstes Produkt Xbus serienfertig, noch eine Produktion bereit, welche die beiden Fahrzeuge herstellen kann.»

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