Von Experten schon totgesagt
Plug-in-Hybride bleiben heiss begehrt

Branchenkenner waren sich einig: Autos mit Plug-in-Hybrid-Antrieb sind nur eine kurze Übergangslösung, bis sich reine Stromer im Markt durchsetzen. Doch aktuell erleben Plug-in-Hybride einen zweiten Frühling – zum Unmut vieler Hersteller.
Publiziert: 03.08.2024 um 06:11 Uhr
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Aktualisiert: 03.08.2024 um 10:56 Uhr
Andreas Engel und Patrick Solberg

2024 wird definitiv nicht als Jahr der Elektromobilität in die europäische Geschichte eingehen. Bis Ende Juni sind EU-weit 712'000 reine Stromer neu zugelassen worden – ein mickriges Plus von 1,3 Prozent gegenüber 2023.

Besonders im grössten Automarkt Deutschland hakt es aktuell gewaltig mit den Elektro-Zulassungen. Von den bis Ende Juni 1,47 Millionen verkauften Neuwagen waren lediglich 184'125 oder 12,5 Prozent rein elektrisch unterwegs. Ein Rückgang von satten 16,4 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode. In der Schweiz beträgt der Marktanteil der reinen Stromer (BEV) an den Gesamtzulassungen immerhin 17,6 Prozent – doch auch bei uns sind die Elektro-Verkäufe mit minus 7,7 Prozent gegenüber 2023 aktuell rückläufig (auch interessant: Die Schweizer Unlust auf Elektroautos). 

Was die Automärkte Deutschland und Schweiz ebenfalls gemeinsam haben, ist der seit geraumer Zeit anhaltende Erfolg der Plug-in-Hybriden (PHEV). Autos also, die sowohl mit einem Verbrennungs- als auch einem Elektromotor ausgestattet sind und deren Akkus wie bei reinen Stromern an der Steckdose aufgeladen werden können – Experten sprechen bei BEV und PHEV deshalb auch von Steckerfahrzeugen. Und bei diesen machen Plug-in-Hybride mittlerweile rund ein Drittel der Verkäufe aus.

Rein elektrische Autos kommen aktuell noch nicht so recht in Fahrt. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz sind die Verkaufszahlen gegenüber dem Vorjahr rückläufig.
Foto: keystone-sda.ch
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Doch genau das hatten sich Hersteller und Politik einst ganz anders vorgestellt, als die ersten PHEVs vor rund zehn Jahren in die Showrooms rollten. Eigentlich sollten sie nur eine kurzfristige Übergangslösung sein, bis die reinen Stromer fest im Markt etabliert sind. Doch aus dem Kompromiss wurde ein Dauerzustand – und der hat Folgen. 

Mehr Reichweite, mehr Aufwand

Denn die Plug-in-Hybrid-Modelle binden zusätzliche Entwicklungskapazitäten – und das kostet die Hersteller richtig viel Geld. Denn die PHEVs besitzen häufig einen vergleichsweise teuren Turbobenziner, einen oft im Getriebetunnel versteckten Elektromotor und ein Batteriepaket, das ebenfalls ins Geld geht. Immerhin konnten in den vergangenen Jahren die elektrischen Reichweiten der Modelle mit Doppelherz signifikant erhöht werden: von anfangs mickrigen 30 bis 50 auf heute bis zu 100 Kilometer und mehr. Auch das ein Grund, warum sich viele Kundinnen, die noch nicht rein elektrisch unterwegs sein wollen, einen Plug-in in die Einfahrt stellen.

So sehr sich die Kundschaft über das verlängerte elektrische Fahrvergnügen freut: Die Autohersteller stecken in der Zwickmühle. Denn die grösser gewordenen Akkupakete machen die Fahrzeuge nicht nur schwerer und teurer, sondern sie benötigen auch mehr Platz an Bord, was zumeist zulasten des Kofferraumvolumens oder des Raumangebots in der Passagierkabine geht.

Ausserdem sorgen die grösseren Batterien dafür, dass Hersteller wie Mercedes oder Volkswagen die Autos sogar mit einer Schnellladefunktion ausstatten. An der DC-Ladesäule können die Modelle so mit bis zu 60 Kilowatt nachgetankt werden. Das wiederum sorgt bereits für Ärger bei Fahrern reiner Elektroautos, die durch die Teilzeitstromer zusätzliche Konkurrenz in den teils noch rar gesäten Schnellladeparks erhalten. 

Ein Modell, mehrere Antriebsarten

Der hohe Anteil von Hybridmodellen ist in Ländern wie Deutschland oder der Schweiz auch durch die grosse Zahl an Firmenwagen zu erklären. Viele Grosskonzerne schreiben Mini-Verbräuche bei der Firmenflotte vor. Und da sich Mitarbeitende oft noch nicht zu reinen Elektromodellen durchringen können, werden häufig PHEVs als Kompromiss angeschafft.

Das wiederum zwingt die Autohersteller dazu, bei den Antriebsarten auf drei, vier oder gar fünf Schienen zu fahren. Beispiel: Die letztes Jahr neu aufgelegte Mercedes E-Klasse ist sowohl als Benziner und Diesel, als auch als Plug-in-Hybrid zu bekommen – das Schwestermodell EQE ergänzt das Angebot als reine Elektroversion. Ganz ähnlich siehts bei manchen Modellreihen von Volkswagen oder Stellantis aus (auch interessant: Aus für Maserati, Alfa Romeo und DS?).

Viel Gewicht, viel Kopfzerbrechen

Neben Volumenmarken haben auch Hersteller sportlicher Modelle den unterstützenden Elektromotor für sich entdeckt. Leistungsstarke Vier-, Sechs- oder Achtzylinder katapultieren sich durch E-Power in neue Leistungssphären. So hat Bentley seinen imageträchtigen Zwölfzylinder im Continental GT durch einen V8-Hybriden mit fast 800 PS ersetzt. Lamborghini verleiht seinem Urus per Elektromotor ebenso Flügel wie Mercedes seinem AMG C63 oder BMW dem neuen M5. Mächtiges Übergewicht ist allerdings ebenso inklusive wie beim Porsche Panamera oder Peugeot 508 PSE.

Die meisten Kunden scheint das Mehrgewicht jedoch kaum stören, weil die elektrische Fahrmöglichkeit das Gewissen schont. Auch ein Grund, wieso uns die Plug-in-Hybride noch eine ganze Zeit erhalten bleiben – und den Entwicklungsabteilungen unverändert Kopfzerbrechen bereiten werden.

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