Wie BMW seine neuen Modelle virtuell testen lässt
Geschüttelt und gerührt

Wie gefällt Kunden das Interieur? Kommen sie mit der Bedienung klar? Und wie reagiert das neue Modell auf Vollbremsungen bei minus 35 Grad? Diese Fragen klärt BMW in einem neuen Simulationszentrum.
Publiziert: 24.10.2021 um 16:48 Uhr
Andreas Faust

Das Wichtigste hier sind Kaffeemaschine und Sessel. «Wenn die Probanden kommen, sind sie immer aufgeregt. Dann müssen wir sie erst einmal herunterkühlen», sagt Andreas Keinath. Usability Evaluation ist das Geschäft des Psychologen bei BMW. Also die Frage, ob Fahrerinnen und Fahrer künftiger Modelle diese sicher bedienen können. Auch in kritischen Verkehrssituationen, im Dunkeln oder im Gewühl der City.

Die freiwilligen Tester sitzen dazu in der Kopie eines BMW-Cockpits und fahren sozusagen im Stand – die Umgebung wird mit riesigen hochauflösenden Screens simuliert. «Die tollste Technik nützt nichts, wenn man sie beim Fahren nicht wie nebenbei bedienen kann», sagt Keinath. Menüführung, Formen, Farben, Monitor-Layouts – das alles muss zusammenpassen, wenn ein Cockpit Ruhe statt Bedienstress vermitteln soll: «Logisch, Entwickler können neue Funktionen im Schlaf bedienen. Aber Kunden noch lange nicht.»

Computer simulieren das Umfeld

In sechs Laboren evaluiert Keinaths Team die Aktionen der Testpersonen, die sich je nach Kultur und Kontinent deutlich unterscheiden können. Deshalb zügelte er schon samt Monitoren nach Los Angeles, um das Cockpitgefühl der US-Kundschaft zu erforschen. Breitere Strassen, geringeres Tempo, grössere Autos, mehr Sonneneinstrahlung – das könne den gefühlten Stress hinter dem Steuer spürbar beeinflussen. Strassentests seien keine Alternative zur Simulation, so Keinath: Er brauche kontrollierte, wiederholbare Bedingungen. Nur so liessen sich systematisch Vorteile und Defizite von Cockpit-Konzepten erkennen.

In einem neuen Simulationszentrum testen BMW-Ingenieure neue Modelle rein virtuell auf Bedienung und Fahrdynamik.
Foto: Tom Kirkpatrick/BMW AG
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Seit letztem Jahr residiert er im obersten Stock eines neuen Betonklotzes am Rande des Münchner BMW-Forschungszentrums. Darunter schauts aus wie bei der Nasa: Kontrollräume, Monitore, gesicherte Türen. Fünf Highspeed-Simulatoren mit 220-Grad-Monitoren aus je 13 Millionen LEDs schaffen rein virtuell den Spurt auf Tempo 100 in 2,8 Sekunden – als träte man im Formel-E-Renner das Pedal voll durch. Und hier üben wohl Astronauten – zumindest wirkt die nagelneue Kugel auf sechs Stelzen namens Sapphire wie ein stellares Trainingszentrum. Plötzlich rührt und schüttelt sie sich auf ihren Hydraulikbeinen und wird – «Wuuuusch!» – elektrisch über 20 Meter ans andere Ende der sonst leeren Halle gezerrt.

Draussen heftig, drinnen real

«Drinnen ist es halb so wild, wie es von draussen aussieht», sagt Testingenieur Joost Venrooij. In der Kugel steckt ein echter BMW als reale Umgebung für den Fahrer. Aber den wilden Ritt der 83-Tonnen-Konstruktion kreuz und quer über 400 Quadratmeter Saalfläche besorgen Motoren und Hydraulik mit 6500 Kilowatt Gesamtleistung – und Monitore, die den Fahrer rein virtuell bei Tag und Nacht, Wind und Wetter über realistische Strassen rasen lassen. Gerade simuliert Sapphire ein Ausbrechen des Hecks bei Nässe; der Testfahrer fängts wieder ein. Von aussen eine Achterbahnfahrt, ist es drinnen ein ultrareales Fahrmanöver. Wird den Fahrern nicht schlecht? «Nur, wenn man sie stundenlang herumschleudert», grinst Venrooij.

Heftiges Ausweichen, abrupte Richtungsänderungen und harte Lastwechsel wie im Stadtverkehr kann Sapphire mit 65 Prozent der Erdbeschleunigung umsetzen. Der Vorteil: Statt stundenlang an echten Prototypen zu schrauben, lässt sich im Simulator ein Fahrwerk mit wenigen Klicks neu einstellen. Per «Trial and Error» können sich die Ingenieure jetzt schneller an die optimale Abstimmung herantasten, als es auf der analogen Teststrecke möglich wäre. Das spart Zeit, Kosten und Testkilometer. Ausserdem ist jeder Versuch exakt unter gleichen Bedingungen wiederholbar. Selbst dann noch, wenn ein reales Fahrmanöver im Crash am Baum geendet hätte.

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