Blick testet mit zwei Experten
Droht im Elektroauto gefährlicher Elektrosmog?

Elektroautos gebären neue Ängste. Eine ist die vor Elektrosmog. Darum stellten wir mit Experten von Eurofins einen Benziner und ein Elektroauto auf die elektromagnetische Probe. Und selbst die Ingenieure staunten.
Publiziert: 05.07.2021 um 16:00 Uhr
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Aktualisiert: 21.12.2021 um 18:37 Uhr
Timothy Pfannkuchen

Neu sind die Ängste vor Elektrosmog im Auto nicht. Als sich in den 2000er-Jahren Hybriden durchsetzten, kamen Gerüchte auf: Ist der Elektrosmog durch Akku und E-Motor gar deftiger als beim Handy am Ohr? Unsere Autoredaktion liess es 2006 bei der Empa an einem Lexus RX450h überprüfen. Höchster Wert innen: etwa ein Drittel eines Büro-PCs. Nur ganz hinten «strahlte» es. Akku? Nö, die Lautsprecher. Schlimm? Nein, wie ein Haarföhn. Also Entwarnung.

Aber heute, im Zeitalter der E-Autos mit Riesenakkus und häufig zwei E-Motoren? Prompt kursieren erneut Ängste. So ernst man das Thema nehmen muss, so sehr wird Schindluder damit getrieben. Seriöse Warner und unseriöse Geschäftemacher sind für Laien wie uns da kaum auseinander zu halten. Da kann man etwa für viel Geld Metall-Maschendraht kaufen, um ihn über den Sitz (Akku im Boden!) im Elektroauto zu ziehen. Aber macht das denn Sinn?

Experten vom Prüfriesen

Wir wollen es genau wissen und wenden uns an die Eurofins Electric & Electronic Product Testing (Hauptsitz Fehraltorf ZH). Die Eurofins-Gruppe aus Luxemburg ist ein renommierter internationaler Prüfriese mit 50’000 Mitarbeitenden und 800 Laboren in 50 Ländern. In der Schweiz hat Eurofins fünf Labore und zum Beispiel 2017 den Teilbereich «Elektrische und elektronische Geräteprüfung und Zertifizierung» vom Fachverband Electrosuisse übernommen. Geprüft wird von Eurofins, was es nur an Produkten gibt, von Hörgeräten über Kaffeemaschinen bis hin zu Ladestationen für E-Busse.

Experten: Die Prüf-Ingenieure Diego Gauch (l.) und André Aubry von Eurofins messen für Blick den Elektrosmog in zwei Autos, ...
Foto: Philippe Rossier
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Wir bringen zwei Autos ins Zürcher Labor: den neuen Citroën C4 als Benziner – und als Elektroversion ë-C4. Unsere Experten sind erfahrene Prüfingenieure: Diego Gauch (41) für E-Mobilität und Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) und sein auf EMV spezialisierter Kollege André Aubry (68), der für Eurofins auch Vorträge zum Thema hält.

Ängste oft mangels Fachkenntnis

Wir reduzieren die komplexe Thematik auf das im Auto Entscheidende, den Nahbereich der elektromagnetischen Strahlung. Grob erklärt: Jeder Stromleiter umgibt sich mit einem Magnetfeld. Unbestritten ist, dass dies bei hohen Werten gesundheitsschädlich ist, weil magnetische Strahlung das Gewebe erwärmt. Klar ist auch: Manche Menschen sind weit empfindlicher als andere. Umstritten ist aber, ab wann gesundheitliche Schäden drohen. Die Grenzwerte sind heute prophylaktisch streng. Die Autoindustrie gibt Abermillionen aus, um elektrische und elektronische Bauteile – bis zu 100 Komponenten pro Auto – abzuschirmen. Dies, damit sie einander nicht stören und der Innenraum wenig belastet wird.

«Ernst nehmen muss man das Thema», erläutert Aubry. «Ich würde mich nicht wohlfühlen, wenn auf der anderen Seite der Wand neben meinem Bett ein Umrichter im Liftschacht steckt. Früher gab es Probleme mit den ersten Induktionsherden: In 30 Zentimeter Abstand waren sie unbedenklich, aber der Bauch schwangerer Frauen war zu nahe dran. Aber viele Ängste sind mangels Fachkenntnis falsch oder falsch angesiedelt. Will man etwa aus Angst vor Elektrosmog keinen Handy-Sendemast in der Nähe, muss man auch wirklich auf das Handy verzichten: Je weiter der Sender entfernt ist, desto stärker emittieren er und das Handy.»

Messung im Stand und in Fahrt

Wir prüfen beide Autos in diversen Modi (siehe Tabelle in der Bildergalerie). Aubry misst ergänzend das elektrische Fernfeld (E-Feld). Und wirkt fast enttäuscht. «Ich kann in keinem der Autos eine signifikante Aussage machen, ich empfange nur DAB-Sender», sagt er schmunzelnd. Keine Gefahr also. Gauch misst mit einer EMF-Feldsonde an diversen Stellen im Fahrerbereich den entscheidenden Nahbereich der magnetischen Flussdichte (B-Feld). Also was gefährlich wäre, läge der Wert hoch. Mit Zündung auf On liegen beide Autos auf tiefem Niveau fast gleich. Motor an – beim Start tanzen die Feldstärken in Mikrotesla über Gauchs Display. Vor allem im stärker emittierenden Benziner! Aber noch immer zehnmal tiefer als ein heimischer Kochherd.

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Ab zur Testfahrt. Im Elektroauto, in dem wir quasi auf dem Akku sitzen, sind es bescheidene 0,25 Mikrotesla, mit hoher Drehzahl kommt der Maximalwert 0,52. Und der Verbrenner? Der Schnitt ist zwar minimal tiefer, aber maximal liegt der Wert wieder höher – 1,12 Mikrotesla. «Das erstaunt mich jetzt doch», räumt Gauch ein, «jeder Zündfunken oder der Alternator emittieren eben. E-Autos sind simpler aufgebaut, dort emittiert wohl vor allem die Leistungselektronik.»

Ein Radiowecker strahlt mehr

Wie übel ist der Höchstwert 1,12? «Weit, sehr weit unter jedem Grenzwert», sagt Gauch. Jener liegt bei 100 Mikrotesla, womit nach heutigem Wissen Gesundheitsgefährdungen als ausgeschlossen gelten. Zur Einordnung der 1,12: Ein Haarföhn in Armlänge Entfernung liegt fast beim Zehnfachen. Ein Radiowecker nahe am Kopf bei 80 Mikrotesla (Abstand hilft: bei 30/50 cm 0,4/0,1). «Der meiste Elektrosmog ist im Wortsinne hausgemacht. Heutige Autos sind angesichts unserer Messungen unbedenklich – unabhängig vom Antrieb», resümiert Gauch.

Und was ist nun mit dem Gitternetz auf dem Sitz oder den Armaturen? «Theoretisch geht es, falls man es mit der Karosserie verbindet», sagt Aubry und zuckt die Schulter. «Es ist angesichts der Werte nur unnötig. Es mag manche Menschen erleichtern. Aber vor allem erleichtert es deren Portemonnaie.»

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