Experte warnt vor neuem Phänomen
Wie Pink Slime das Internet vergiftet

Schleimige Websites breiten sich im Internet aus. Sie tragen einerseits gezielt zu Desinformation und steuern andererseits zur «Verdummung» bei, warnt jetzt ein Experte.
Publiziert: 23.04.2024 um 15:30 Uhr
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Aktualisiert: 23.04.2024 um 16:51 Uhr
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Tobias BolzernRedaktor Digital

Pink Slime (pinker Schleim) tropft auch aus deinem Bildschirm. Pink Slime bezeichnet Websites, die vorgeben, seriöse Nachrichtenportale zu sein, in Wirklichkeit aber gezielt Falschinformationen und Propaganda verbreiten. Das Phänomen flammte letztmals rund um die US-Wahlen 2020 auf und nimmt nun im Vorfeld der nächsten Wahlen wieder zu. 

Nach Angaben der «Financial Times» wurden Anfang April in den USA 1197 solcher Websites gezählt. Diese Zahl ist bedeutsam, da es in den USA nur etwa 1200 echte Websites regionaler Medien gibt. Auf jede echte Medien-Website kommt also eine gefälschte. Und: Die Zahl der Fake-Websites nimmt stark zu.

Diese Websites nennen sich zum Beispiel «Chicago City Wire» oder «The Boston Times». Letztere behauptet, seit 1972 ein Leuchtturm für journalistische Integrität zu sein. Doch mit Journalismus haben die Beiträge nichts zu tun. Die Websites enthalten eine Vielzahl falscher Behauptungen oder irreführender Informationen, etwa zum Krieg in der Ukraine. Zudem wurde die Website erst im Januar 2024 registriert. Auf dem Logo steht «Truth and obutelicy». Letzteres ist kein englisches Wort, sondern ein von künstlicher Intelligenz (KI) generiertes Kauderwelsch. Ein weiterer Hinweis darauf, dass die Absender dieser Inhalte mittlerweile stark auf KI setzen.

Pinker Schleim trieft durchs Internet: Damit sind auch Nonsens-Inhalte gemeint, die mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) generiert wurden. Das Ziel: Möglichst viele Leute zu erreichen, um mit Werbung Geld zu verdienen. Symbolbild: KI-Illustration.
Foto: Midjourney / Tobias Bolzern
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Neue Form von Pink Slime

Ähnlich verhält es sich mit vielen Inhalten auf den Websites. Es ist die neue Form von Pink Slime. Der Sozialwissenschaftler und Dozent, etwa an der Hochschule Luzern, Marko Ković erklärt: «Es gibt unzählige Webseiten, die sich als journalistisch ausgeben, in Wirklichkeit aber nur von KI generierter Müll sind.» 

Bei dieser neuen Form geht es nicht in erster Linie darum, Propaganda oder Desinformation zu verbreiten, wie noch 2019. «Es geht darum, möglichst viel Content zu produzieren, um Klicks zu generieren und damit Geld durch Werbung zu verdienen», so Ković.

Die Columbia University Graduate School of Journalism hat kürzlich untersucht, wie viel Content ein solches Pink-Slime-Netzwerk produziert. Dazu beobachteten sie zwei Wochen lang 450 Websites. In dieser Zeit wurden über 15'000 Geschichten publiziert. Nur zehn davon hatten eine Autorenzeile, der Rest wurde anonym verfasst und meist von automatisierten Diensten generiert. 

Ein bekanntes Pink-Slime-Netzwerk gehört zu Metric Media. Das Unternehmen betreibt über 1000 lokale Fake-News-Portale in den USA. Unterstützt wird das Netzwerk unter anderem von einem texanischen Ölmilliardär und einem republikanischen Parteistrategen. Laut «Financial Times» betreiben aber auch linke Gruppen Pink-Slime-Netzwerke.

Darum funktioniert Pink Slime

Bei KI-Trash geht es also um Geld. Bei Pink Slime mit politischen Botschaften um die Beeinflussung des Diskurses. «In beiden Fällen profitieren diejenigen, die Pink Slime generieren», sagt Ković. Denn Pink Slime funktioniert. Obwohl gerne von Medienkompetenz und kritischem Denken gesprochen wird, sagt der Experte, sehe die Realität anders aus. «Die Menschen nutzen Medien meist beiläufig und ohne viel nachzudenken. Wenn man etwas sieht, glaubt man es. Wenn man es mehrmals sieht, glaubt man es mehr», erklärt der Experte. Ković sieht als grösste Gefahr eine «Verdummung». Millionen von Menschen sehen Schrott, der sie unmittelbar emotional anspricht, und glauben und teilen ihn. Sie konditionieren sich selbst darauf, nicht nachzudenken.

Bisher sind Ković keine Pink-Slime-Webseiten in deutscher Sprache bekannt, aber in den sozialen Medien werden bereits Inhalte der KI geteilt. Ković sagt: «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch bei uns ganze Websites und Netzwerke auftauchen.» Seine Prognose für die Zukunft ist düster: «Wir werden in den nächsten Jahren in Pink Slime ertrinken. Es wird höllisch.» Einerseits wird durch die Automatisierung die Menge an Inhalten, die als gezielte Propaganda erstellt werden, explodieren. Andererseits werde es noch mehr KI-Müll geben, der nur existiert, um Geld zu machen.

Hier kommt Pink Slime her

Der Begriff Pink Slime hat einen unappetitlichen Hintergrund. Er bezeichnet in den USA eine Masse aus gemahlenen Rindfleischabfällen, die anderen Produkten untergemischt werden, etwa dem Hackfleisch. Mitgeprägt wurde der Begriff 2011 auch vom Fernsehkoch Jamie Oliver. Er zeigte die Verarbeitung in seiner Show, was ultimativ dazu führte, dass McDonalds in den USA sein Burgerrezept überarbeiten musste. En Guete!

Der Begriff Pink Slime hat einen unappetitlichen Hintergrund. Er bezeichnet in den USA eine Masse aus gemahlenen Rindfleischabfällen, die anderen Produkten untergemischt werden, etwa dem Hackfleisch. Mitgeprägt wurde der Begriff 2011 auch vom Fernsehkoch Jamie Oliver. Er zeigte die Verarbeitung in seiner Show, was ultimativ dazu führte, dass McDonalds in den USA sein Burgerrezept überarbeiten musste. En Guete!

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So erkennst du Pink Slime

Ković sieht auch die Plattformbetreiber in der Pflicht. Denn Pink Slime sei im Grunde die Perfektionierung des Internet-Werbemodells: «Klickmaximierung ohne Rücksicht auf inhaltliche Qualität», sagt er. Grosse Player wie Social-Media-Plattformen kümmern sich nur bedingt darum. Solange sie als Werbevermittler profitieren könnten, seien sie zufrieden, so der Experte. Jüngst hatte jedoch Meta angekündigt, dass man in Zukunft KI-generierte Bilder, Audioaufnahmen und Videos auf Facebook und Instagram kennzeichnen will. Einen Zeitplan dafür gibt es aber bisher nicht. Auch Google kündigte letztes Jahr, KI-Labels für Youtube und seine anderen Plattformen an.

Doch wie kann man Pink Slime überhaupt erkennen? «Wir müssen endlich anfangen, über unser eigenes Denken nachzudenken», sagt Ković. Man sollte sich fragen: Was sehe ich eigentlich? Es macht mich wütend – aber ist es wahr? Oder klicke ich das nur an, weil ich es glauben will? «Man kann lernen, mit den Denkfehlern umzugehen, die wir alle haben. Aber das ist mühsam, und wir gehen alle den Weg des geringsten kognitiven Widerstands.»

Auch Blick benutzt künstliche Intelligenz als Helferin bei der Redaktionsarbeit, etwa beim Aufspüren verschiedener Quellen oder beim Erstellen von Zusammenfassungen von Texten aus verlässlichen Quellen. Blick befolgt beim Einsatz künstlicher Intelligenz strenge Regeln. So hat bei der Qualitätskontrolle immer ein Mensch das letzte Wort. Mehr dazu im «Code of Conduct». 

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