Im Zug von Brig VS zurück nach Zürich stürmt eine Gruppe Pensionierter das Erstklassabteil. Offensichtlich waren sie bei einem Ausflug an der Sonne. Ich bin auf dem Rückweg von einem Interview mit der Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello. Die emeritierte Professorin forscht seit Jahrzehnten zum Befinden in der zweiten Lebenshälfte.
Neugierig schaue ich die Gesichter im Abteil an, den roten Wangen ist die frische Luft anzusehen. Ich bin etwas neidisch. Da sind zwar mehr Falten, aber auch mehr Freiheit. Laut Perrig-Chiello fängt mit der Pensionierung für viele die glücklichste Zeit des Lebens an, man lässt berufliche und familiäre Sorgen hinter sich.
Ich bin mit 53 in der dunklen Talsohle. In der Lebensmitte zwischen 45 und 55 sinkt bei vielen die Grundstimmung. Wer bis jetzt weder Karriere noch Kinder hat, wird beides nicht mehr schaffen – die wichtigen Entscheidungen im Leben sind getroffen. Aber auch mit Familie und gutem Job steht man unter Druck. Um die hochbetagten Eltern kümmern sich in der Regel die Frauen, genauso um die Enkel, im Schnitt wird man mit 51 zum ersten Mal Grossmutter. In vielen Unternehmen gehört man mit 45+ bereits zur «Problemgruppe» – man wird nicht mehr gefördert, Weiterbildung wird in Jüngere investiert.
Also noch über zehn Jahre, bis ich aus dem Hamsterrad raus bin und jederzeit fröhlich in die Berge fahren kann. Habe ich vielleicht eine Midlife-Crisis? Wieder blicke ich zu einem älteren Paar hinüber. Ob sie sich immer so stumm gegenübersitzen? Lächeln sehe ich in dem Zugabteil niemanden. Unwillkürlich ziehen sich meine Mundwinkel nach oben. Glücksgefühle sind keine Frage des Alters. Zum Glück.