Oberste Lehrerin findet System nicht zeitgemäss – jetzt zeigt Studie
Auch Eltern wollen Schulnoten abschaffen

Eine Mehrheit der Eltern von Kindern im schulpflichtigen Alter geht mit der obersten Lehrerin Dagmar Rösler einig: Schulnoten sind auf Primarschulstufe nicht zeitgemäss. Das zeigt ein noch unveröffentlichter Bericht, der Blick vorliegt.
Publiziert: 26.02.2024 um 19:55 Uhr
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Aktualisiert: 26.02.2024 um 20:00 Uhr
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Karen SchärerTeamlead Gesellschaft

Braucht es Noten oder nicht? Die Unzufriedenheit mit unserem heutigen Notensystem wird aktuell von verschiedenen Akteuren thematisiert. So schrieb der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse in einem Positionspapier diesen Monat: Ob Noten oder Kreuzchen – das spiele aus Sicht der Wirtschaft keine Rolle. Wichtig wäre hingegen ein Beurteilungssystem, das objektiv vergleichbar und national harmonisiert sei. 

Die heutigen Zeugnisnoten seien für die Wirtschaft für die Auswahl ihrer künftigen Lernenden zu wenig aussagekräftig. Daher verzichten manche Betriebe wie die Swisscom bereits gänzlich auf den Einbezug der Schulnoten, andere verlangen zusätzlich das Absolvieren eines standardisierten Tests (zum Beispiel Multicheck). 

Oberste Lehrerin: «Noten nicht zeitgemäss»

Im Blick-Interview outete sich auch Dagmar Rösler (52) als Kritikerin der Schulnoten. Die Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz sagte, ihrer persönlichen Meinung nach seien Noten in der Primarschule nicht zeitgemäss. Die Noten bildeten immer nur einen Vergleich innerhalb der eigenen Klasse ab. 

Eine Mehrheit der Eltern von Kindergarten- und Primarschulkindern befürwortet eine Schule ohne Noten.
Foto: Keystone
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Viele Eltern dürften Röslers Aussagen erfreut zur Kenntnis nehmen. Denn eine Schule ohne Noten ist für viele von ihnen denkbar. Dies zeigen noch unveröffentlichte repräsentative Zahlen, die Blick vorliegen. 

Eltern wollen Noten an Primarschulen abschaffen

In einer grossen Studie hatte Sotomo im Auftrag der Stiftung Mercator Schweiz Einstellungen von Erwachsenen zur Schule abgefragt. Diese wurden vergangenen Sommer publiziert. Nun wurde in einer vertiefenden Analyse auf die Antworten von Eltern von Kindern im schulpflichtigen Alter fokussiert. «So können wir Aussagen darüber machen, wie Eltern zur aktuellen Schule stehen», sagt Daniel Auf der Maur (51) von der Stiftung Mercator Schweiz. 

Es zeigt sich: Eltern von schulpflichtigen Kindern haben eine grosse Skepsis gegenüber dem aktuellen Bewertungssystem: 54 Prozent der Eltern von Primarschulkindern sehen in Bewertungen und Prüfungen eine Belastung für ihr Kind im Alltag. 

Und: Mit 51 Prozent unterstützt eine Mehrheit der Eltern die Forderung, die Noten für Primarschulkinder abzuschaffen. Am grössten (57 Prozent) ist die Unterstützung in der Gruppe der Eltern von heutigen Kindergartenkindern, gefolgt von Primarschulkind-Eltern (54 Prozent). 

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Ein genauerer Blick offenbart mehrere Gräben unter den Befragten, nämlich bezüglich Generation, Geschlecht und Sprachregion. Eine altersbezogene Analyse zeigt: Je jünger die Eltern sind, desto eher befürworten sie die Idee. Bei den Eltern bis 35 Jahre sagen 61 Prozent Ja oder eher Ja zur Abschaffung der Noten. In der Gruppe der 36- bis 55-Jährigen sind es 55 Prozent. Bei den über 55-Jährigen fällt die Zustimmung auf 26 Prozent. 

Mütter sind aufgeschlossener als Väter, was ein Ende der Noten betrifft. So äussern über alle Altersgruppen hinweg nur 35 Prozent der Väter Zustimmung, während es bei den Müttern 61 Prozent sind. 

Schliesslich ist die Zustimmung in der Deutschschweiz mit 52 Prozent grösser als in der französischsprachigen Schweiz (46 Prozent). 

Für die Oberstufe gibt es keine Mehrheit, die die Noten abschaffen will. Aber die Unterstützung bröckelt: Fast die Hälfte (49 Prozent) der ganz jungen Eltern bis 35 sagen Ja oder eher Ja dazu. 

Viele Schulen arbeiten ohne Noten

Für viele Kinder ist ein notenfreies Beurteilungssystem bereits heute Realität, zumindest zwischen den Zeugnissen oder während eines Teils ihrer Schullaufbahn. Die Kantone schreiben vor, ab welchem Jahr die schulischen Leistungen in den Zeugnissen in Noten ausgedrückt werden müssen. Dies ist heute zwischen der zweiten und fünften Klasse der Fall.

So sind beispielsweise im Kanton Zürich Zeugnisnoten ab der zweiten Klasse vorgeschrieben, im Kanton Luzern ab der dritten, in Obwalden ab der vierten, im Kanton Basel-Stadt ab der fünften. Eine solche gesetzliche Regelung bedeutet für die Schulen Spielraum: Zwischen den Zeugnissen kann jede Schule frei entscheiden, wie die Leistungen der Kinder beurteilt werden sollen. 

Immer mehr Schulen wenden sich von klassischen Prüfungsnoten ab und alternativen Bewertungssystemen zu. In der Stadt Luzern, zum Beispiel, sollen ab Sommer 2027 sämtliche Primar- und Oberstufenschulhäuser zwischen den Zeugnissen auf Noten verzichten. 

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