Albert Rösti über seinen Atom-Entscheid
«Ein AKW in Uetendorf? Nein»

Mit seiner Absicht, neue Atomkraftwerke in der Schweiz zu ermöglichen, sorgt Bundesrat Albert Rösti für rote Köpfe. Im Interview macht er auch das Bevölkerungswachstum dafür verantwortlich. Und erklärt, weshalb er sich in seinem Wohnort kein AKW vorstellen kann.
Publiziert: 01.09.2024 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 01.09.2024 um 08:53 Uhr

Kurz zusammengefasst

  • Albert Rösti will neue Atomkraftwerke in der Schweiz
  • Rösti weist Kritik zurück, dass er Volksentscheide kippe
  • Als starken Mann im Bundesrat will er sich nicht bezeichnen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Er war der allseits beliebte Netzwerker im Bundeshaus. Dann wurde Albert Rösti (57) im Dezember 2022 in den Bundesrat gewählt und übernahm das mächtige Infrastrukturdepartement Uvek. Dort mauserte er sich vom Everybody's Darling zum tonangebenden Mann in der Regierung. Ob Wolf, SRG oder Klimaurteil – Rösti erhitzt mit seinen Entscheiden die Gemüter und setzt die Themen. Diese Woche hat er angekündigt, den Weg für neue Atomkraftwerke in der Schweiz frei machen zu wollen. Wir sind mit dem derzeit umstrittensten Politiker des Landes am Freitag in Bern in die Bundesratslimousine gestiegen und mit ihm nach Zürich gefahren. Auf ihn wartete ein «Arena»-Auftritt. Wegen Staus auf der A 1 dauerte der Trip dreieinhalb Stunden – inklusive magistraler Verpflegung mit Cervelat und Augustweggen sowie Dubler-Schaumküssen aus dem Kofferraum.

Herr Bundesrat, wie demokratisch sind Sie noch?
Albert Rösti: Wieso fragen Sie das?

Sie würden einen Volksentscheid missachten und ihn kippen wollen, monieren Kritiker. Der Souverän hat 2017 mit der Energiestrategie 2050 den Atomausstieg beschlossen. Ausserdem torpedieren Sie damit das Stromgesetz, das Sie selber vertraten.
Einen Volksentscheid kann nur das Volk kippen. Ich bin natürlich ein Demokrat! Darum zielt diese Kritik völlig an der Realität vorbei. Ein Bundesrat ist ja gerade verpflichtet, neue Ausgangslagen zu antizipieren und der Bevölkerung Vorschläge zu unterbreiten, weil etwas vielleicht nicht mehr aktuell ist.

Brösmeli vom Augustweggen: Albert Rösti inspiziert die Bundesratslimousine.
Foto: Reza Rafi
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Was ist denn die neue Ausgangslage?
Primär strengere Klimaziele und neue geopolitische Unsicherheiten. Ich würde meine Verantwortung als Bundesrat nicht wahrnehmen, wenn ich nicht auf das Risiko einer Strommangellage hinweisen würde, nachdem man beschlossen hatte, aus den fossilen Energien auszusteigen, aber noch viele Unsicherheiten auf dem Weg dahin bestehen. Darum stelle ich das zur Debatte. Jetzt wurde nur der Auftrag erteilt, auf die Initiative zu antworten …

Die sogenannte «Blackout-Initiative», die das Neubau-Verbot für AKW aufheben will.
Und jetzt startet eine Vernehmlassung, bei der alle Stellung nehmen können. Dann kann das Parlament das debattieren und demokratisch sagen, was der Bundesrat soll und was nicht. Und am Schluss entscheidet das Volk.

Nochmals: Die Energiestrategie wurde zwei Jahre lang im Parlament diskutiert, das Volk hat zugestimmt, und AKW sind in der Zwischenzeit noch teurer geworden. Welche Rahmenbedingungen haben sich geändert?
Es geht um fünf Faktoren.

Erzählen Sie.
Erstens hat man die Dekarbonisierung beschlossen, das sogenannte Netto-Null-Ziel. Womit es einen deutlich grösseren Bedarf nach nicht fossilen Energiequellen gibt. Zweitens haben wir einen Krieg in Europa, den niemand vorausgesehen hat. Ich kann mich gut an einen Satz erinnern, der damals im Parlament die Runde machte: In Europa gibt es immer genügend Strom. Der russische Angriff auf die Ukraine 2022 hat uns leider vom Gegenteil überzeugt. Drittens fallen die Gaskraftwerke, solange sie fossil betrieben werden, als Option weg.

Und viertens?
Man ging damals davon aus, dass die Schweizer Bevölkerung bis 2050 auf neun Millionen anwachsen wird. Heute wissen wir, dass das zu konservativ geschätzt war. Wir gehen auf mehr als zehn Millionen zu. Und mehr Menschen bedeuten mehr Stromverbrauch. Als fünfter Punkt kommt hinzu, dass viele Projekte wie beispielsweise alpine Solaranlagen trotz der Abstimmung im Sommer mit Beschwerden und Verzögerungen blockiert werden. All das haben wir 2017 nicht gewusst.

Von einem neuen AKW zu reden, ist einfach, wenn es nicht in der eigenen Gemeinde steht. Könnten Sie sich vorstellen, dass in Ihrem Wohnort Uetendorf ein Atomkraftwerk steht?
Nein. Das kann ich mir kaum vorstellen. Und zwar nicht, weil es in Uetendorf wäre, wo ich wohne.

Wieso denn?
Heute würde ich davon ausgehen, dass ein neues AKW an den bisherigen Standorten gebaut werden müsste. Rein schon wegen der Akzeptanz in der Bevölkerung. Ich könnte mir vorstellen, dass wir etwa in Mühleberg wieder eines bauen. Interessanterweise hat die Bevölkerung beim 50-Jahr-Jubiläum von Leibstadt mitgeteilt, dass sie froh ist um das Kraftwerk. Man hat über Jahrzehnte davon gelebt und beurteilt das durchaus positiv, auch von den Arbeitsplätzen her. An einem neuen Standort dürfte es ein AKW hingegen sehr schwierig haben. Ausser, vielleicht wenn dem Small Modular Reactor der Durchbruch gelänge, was nach Fachleuten in den nächsten zehn Jahren passieren könnte.

Der Energieminister

1967 in Frutigen BE geboren, schloss Albert Rösti an der ETH Zürich sein Studium der Agronomie ab, wo er später promoviert wurde. 2007 wurde er Direktor der Schweizer Milchproduzenten. 2011 schaffte er für die SVP die Wahl in den Nationalrat, Von 2016 bis 2020 war er Präsident der SVP Schweiz. Seit Januar 2023 ist er Mitglied des Bundesrats. Rösti ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.

1967 in Frutigen BE geboren, schloss Albert Rösti an der ETH Zürich sein Studium der Agronomie ab, wo er später promoviert wurde. 2007 wurde er Direktor der Schweizer Milchproduzenten. 2011 schaffte er für die SVP die Wahl in den Nationalrat, Von 2016 bis 2020 war er Präsident der SVP Schweiz. Seit Januar 2023 ist er Mitglied des Bundesrats. Rösti ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.

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Können Sie sich vorstellen, irgendwo zu leben, wo Sie aus Ihrem Wohnzimmer auf einen Kühlturm sehen?
Das könnte ich mir vorstellen, ja. Aber dass man lieber eine andere Aussicht hat, versteht sich von selbst. Das sage ich auch als Berner Oberländer. Vielleicht sprechen Sie aber auch die Angst an. In der Nähe eines Staudamms zu wohnen, kann ebenso Risiken bergen. Wobei die Sicherheit immer an absolut oberster Stelle steht. Immer. Vielleicht sage ich es so: Ich möchte lieber neben einem Kernkraftwerk wohnen, als eine Strommangellage erleben zu müssen.

Beim Standort haben Sie eine Seite vergessen: das Ausland. Baden-Württemberg dürfte keine Freude an Ihren Plänen haben.
Die baden-württembergische Regierung mag kritisch sein. Ich erinnere aber an die bayerische Regierung, die ganz froh war, wenn wir Strom exportierten. Deutschland war vorletzten Winter dreimal auf Stromimport aus der Schweiz angewiesen. Unsere Politik ist also auch von europäischem Interesse.

Wie soll die Schweiz überhaupt ein neues AKW finanzieren?
Es ist Unsinn, über die Finanzierung zu diskutieren, wenn gar kein Projekt vorliegt. Von meiner Seite kann man diese Frage erst diskutieren, wenn ein Unternehmen kommt und tatsächlich ein Kraftwerk bauen will. Das wird nie der Bund sein. Bei den Kosten muss man dannzumal prüfen, wie hoch diese im Vergleich zu den Alternativen sind.

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Ihr politisches Vorbild ist alt Bundesrat Adolf Ogi. Der konnte das Publikum in erstaunlicher Weise einigen und überzeugen. Vielleicht werden Sie auch eine Lötschberg-Rede halten müssen, wie seinerzeit Ogi mit dem Tannenbäumchen.
Jemanden zu kopieren, der so charismatisch ist wie alt Bundesrat Ogi, würde nicht gut kommen. Ich weiss heute nicht, ob der Gegenvorschlag durchkommt. Ich glaube aber, dass am Schluss die Fakten zählen. Ich lasse mich übrigens gerne eines Besseren belehren, wenn die erneuerbaren Energien dereinst wirklich genug Strom liefern werden. Aber bevor wir ein Risiko eingehen mit der Verhinderung einer Technologie, muss die andere Technologie wirklich beweisen, dass sie ausreicht.

Sie ecken als Politiker mit Entscheiden auch mal an – Beispiele sind der Wolf, die Serafe-Gebühr oder das Strassburg-Urteil. Machen Sie das bewusst?
(Überlegt.) Dahinter steht meine persönliche Überzeugung und selbstverständlich das Interesse der Bevölkerung. Und es braucht ja immer zuerst eine Mehrheit im Bundesrat. Ich versuche, so weit wie möglich mitzugestalten in diesem Land, meine Überzeugungen zu vertreten. Und wenn mich eine Mehrheit im Bundesrat unterstützt, dann ist das gut. Es gibt auch ein paar Dinge, die ich probiert habe, bei denen es keine Mehrheit gab. Und es ist wahrscheinlich auch ein bisschen Zufall, dass gerade jetzt die wichtigen Dossiers eine Kehrtwende erleben.

Wieso?
Ich habe nicht gedacht, dass das Verbot zum Bau neuer Kernkraftwerke zu meiner politischen Zeit nochmals zur Debatte stehen und sich die Faktoren so verändern würden. Vor drei Jahren hätte niemand vorausgesehen, dass man in Europa so plötzlich vor einer Stromknappheit stehen kann. Beim Wolf sah niemand voraus, dass sich sein Bestand so exponentiell entwickelt. Da müsste meine Vorgängerin Simonetta Sommaruga ebenso handeln, wenn sie noch im Amt wäre. Bei mir fällt es vielleicht mehr auf, weil ich von einer anderen Seite komme.

Sie gelten als der starke Mann in der Regierung. Wie fühlt sich dieses Etikett an?
Es ist gefährlich, wenn man von sich so etwas denkt oder sagt. Nächste Woche ist die nächste Bundesratssitzung. Dann kann es schon wieder anders aussehen. Darum bilde ich mir da nichts ein. Ich will aber auch nicht mein Licht unter den Scheffel stellen – es ist erfreulich, wenn man ab und zu die Geschäfte des eigenen Departements durchbringt.

Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie etwas einseitig auf Lobbyisten hören.
Nein, ich bin ein SVP-Bundesrat und habe eine Grundüberzeugung. Die ist natürlich schon geprägt von einer klar bürgerlichen Linie. Da verstecke ich mich auch nicht. Die Lobbyisten braucht man, um sich zusätzliche Informationen zu beschaffen. Und am Schluss ist es ja ein Bundesratsbeschluss, der intensiv diskutiert wurde, nicht einfach ein Entscheid von Albert Rösti. Dazu kommt noch ein anderer Aspekt: Ein Technologieverbot …

… das es de jure gar nie gab …
… bringt das Risiko mit sich, dass wir in dem Bereich irgendwann gar keine Fachkräfte mehr haben werden.

Ist die Energiewende gescheitert?
Ich spreche lieber nicht von Scheitern. Die Bevölkerung hat das unter den damaligen Prämissen mehrheitlich entschieden. Und das setzen wir heute um. Ich sage einfach, dass wir langfristig offen sein müssen für andere Ideen. Das gilt nicht nur im Energiebereich.

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