«Die Pfadi bietet ein optimales Spielgelände»
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Oberste Pfadfinderin Blanc:«Die Pfadi bietet ein optimales Spielgelände»

Barbara Blanc ist die oberste Pfadfinderin – und verzeichnet Rekordzuwachs
Pfadi im Aufwind

Barbara Blanc (50) ist Präsidentin der Pfadibewegung Schweiz und freut sich, dass der Frühling vor der Tür steht. Sie hat Ideen, was man in Krisenzeiten tun kann, um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aus einem Rekordtief herauszuholen.
Publiziert: 06.03.2022 um 16:04 Uhr
Jonas Dreyfus

Frau Blanc, Sie traten mit acht Jahren in die Pfadi ein. Was hat Sie daran fasziniert?
Barbara Blanc:
Als ich vier Jahre alt war, lebte meine Familie eine Zeit lang in Nigeria, wo mein Vater als Ingenieur arbeitete. Dort hatten meine Schwester und ich immer viele Kinder um uns herum. Vielleicht lag es daran, dass ich mich zur Pfadi hingezogen gefühlt habe, als wir wieder in der Schweiz waren.

Sie sind seit 2014 die oberste Pfadfinderin der Schweiz. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Die Pfadi ist stetig gewachsen. Am 1. Januar 2022 hatten wir 50'556 Mitglieder. Das sind 18,5 Prozent mehr Mitglieder als noch vor zehn Jahren. 2019 besuchten rund 7000 Kinder und Jugendliche ein Pfingstlager. Das sind 1000 Teilnehmer mehr als ein Jahr zuvor.

Woran liegt es?
Unsere 550 lokalen Abteilungen machen sehr gute Arbeit. Zusätzlich spielt uns der Outdoor-Boom in die Karten. Immer mehr Eltern schicken ihre Kinder in die Waldspielgruppe oder den Waldkindergarten. Da bietet die Pfadi die perfekte Anschlusslösung.

Barbara Blanc im Pfadihemd an ihrem Wohnort Ennetbaden AG.
Foto: Philippe Rossier
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Wie hat Corona die Pfadi in der Schweiz getroffen?
Einschneidend war der Lockdown. Es hat mir wehgetan, als der Tag kam, an dem wir das Mail mit dem Satz «Die Pfadi findet nicht mehr statt» verschicke mussten. Sogenanntes Homescouting wurde ein Thema, bei dem die Kinder am Samstagnachmittag über Onlinekanäle Aufträge bekamen, wie mit WC-Rollen zu Hause etwas zu basteln und es danach in der Gruppe zu präsentieren.

Das klingt nach einem schwachen Ersatz für das, wofür die Pfadi steht: sich draussen auszutoben.
Die Pfadi beinhaltet mehr, als im Wald rumzurennen und Feuer zu machen. Der Samstagnachmittag, an dem sich die Gruppen treffen, sind ein fester Anker im Wochenablauf. Das beginnt bereits auf der Biberstufe, die für Kinder ab fünf Jahren offen ist. Ab 16 Jahren kann man Rover werden und eine Gruppe mitleiten. Damit ist man auch unter der Woche beschäftigt, bereitet Aktivitäten vor und trifft sich zu Sitzungen, sogenannten Höcks.

Und jetzt erschüttert bereits die nächste Krise die Welt. Wie engagiert sich die Pfadi im Ukraine-Konflikt?
Der Weltpfadfinderverband hat online bereits mehr als 100'000 Franken gesammelt. Von den europäischen Pfadis ist im Moment die polnische dabei, Hilfsgüter zu sammeln, Flüchtlingen eine Unterkunft anzubieten oder sonst irgendwie zu helfen. Die Schweizer Pfadi hat für dieses Unterfangen bereits einen kleineren Betrag gespendet. Ein grösserer ist in Vernehmlassung.

Die psychische Gesundheit von Jugendlichen hat gemäss Fachverbänden während der Pandemie stark gelitten. Sie sind Dozentin für Pädagogische Psychologie. Wo liegt in Ihren Augen das Problem?
Vielen Jugendlichen tat es nicht gut, dass ihre festen Tages- und Wochenabläufe wegen der Pandemie wegfielen. Normalerweise wissen sie: Tagsüber bin ich in der Schule, am Montag- und Mittwochabend im Training, am Freitag gehe ich in den Jugendtreff und am Samstag eben vielleicht in die Pfadi. Strukturen geben Jugendlichen viel Halt – auch wenn es manchmal anstrengend ist, so eingebunden zu sein. Meine beiden Töchter – sie sind 12 und 14 Jahre – murren regelmässig, dass sie morgens so früh aufstehen müssen.

Was kann die Pfadi für die psychische Gesundheit noch tun ausser Struktur geben?
Gemäss Definition der Weltgesundheitsorganisation gehören zur psychischen Gesundheit Aspekte wie, dass man seine Fähigkeiten ausschöpfen und einen Beitrag zur Gesellschaft leisten kann. Hier kann die Pfadi viel beisteuern. In einem Lager gibt es zum Beispiel Hunderte Rollen, die man übernehmen kann – von der Zeltbauerin, die wissen muss, aus welcher Richtung der Wind weht, über den Koch bis zur Sanitäterin. Als Pfadi merkt man: Ich kann etwas beitragen, und die anderen hören auf mich. Das stärkt psychisch.

Gemäss der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Zürcher Universitätsklinik hat der Medienkonsum unter Jugendlichen während der Pandemie massiv zugenommen. Wie kann die Pfadi mithalten mit den Verlockungen eines Smartphones?
Gerade weil die Pfadi eine ganz andere Welt ist als die der sozialen Medien und der Computer-Games, kommt sie bei Kindern und Jugendlichen gut an. Sich mal wieder die Hände schmutzig machen, schlammverspritzte Kleider haben. Das ist ein anderes Erlebnis, als wenn man mit dem Daumen auf einem Bildschirm herumwischt.

Sind Smartphones in der Pfadi erlaubt?
Das ist von Abteilung zu Abteilung unterschiedlich. In der unserer Kinder haben nur die Leiter für den Notfall eines dabei. Als Mutter finde ich es super, dass meine Töchter auch mal offline sind. Ich habe das Gefühl, sie sind fast schon erleichtert.

Das klingt alles sehr angepasst. Doch ein Teil der Pfadfinder ist auch in einem Alter, in dem sie vieles ausprobieren wollen, erste Erfahrungen mit Drogen oder Alkohol machen. Wie geht man damit um?
Natürlich gibt es Regeln, die eingehalten werden müssen. Alkohol verbieten wir bei den über 16-Jährigen nicht strikt, sondern appellieren an einen vernünftigen Umgang und zählen auf die Vorbildfunktion unserer Leitenden. Meistens funktioniert die soziale Kontrolle, die in der Pfadi sehr hoch ist. Romands sagen sogar oft: Wenn ich das Pfadihemd anhabe, sieht man mich nicht gleichzeitig mit einem Bier in der Hand.

Vielen Eltern sind das Pfadihemd und das Foulard suspekt. Es hat etwas Militärisches.
Also ich freue mich, wenn ich am Samstag durch die Stadt laufe und Kinder mit Pfadihemden sehe. Sie fördern das Zusammengehörigkeitsgefühl und lassen soziale Unterschiede, die sich an den Kleidern zeigen, in den Hintergrund rücken.

Die Pfadi Schweiz bemüht sich immer mal wieder, Familien mit Migrationshintergrund anzusprechen. Die meisten Mitglieder sind jedoch Schweizer und kommen aus der Mittelschicht. Woran liegt es?
Ein Grund für Berührungsängste könnte sein, dass die Pfadi in Ländern wie die des ehemaligen Jugoslawien zum Teil verboten war oder in Ländern wie Afghanistan dem Regime sehr nahe stand, vor dem die Eltern geflohen sind.

Sie mussten schon sehr oft über Ihren Pfadinamen Fiffan sprechen, dessen Herkunft Sie allerdings nicht kennen. Deshalb nur die Frage: Gibt es in diesem Bereich Trends?
Die Namen sind internationaler geworden und stammen zum Beispiel aus dem Spanischen. Wie Loco, was «verrückt» bedeutet. Dauerbrenner sind Figuren aus dem «Dschungelbuch» wie Balu oder Baghira. Oder Namen, die einen Charakterzug des Kindes beschreiben, wie Schlingel.

Wie oft sind Kinder unzufrieden mit ihrem Pfadinamen?
Das kommt sicher vor. Meistens versuchen die Leitenden, den Charakter eines Kindes möglichst genau zu treffen, ohne es zu kränken. Ich kann mich zum Beispiel an einen wilden Jungen erinnern, der auf den Namen Duracell getauft wurde. Das fand ich sehr treffend.

Sie haben in einem Interview einmal gesagt, dass im Berufsalltag die Zusammenarbeit mit Erwachsenen, die – wie Sie – einen Pfadihintergrund haben, immer sehr einfach sei. Warum ist das so?
In der Pfadi muss man oft pragmatische Entscheide fällen und nimmt deshalb in Kauf, dass man sich halt auch mal für die nicht optimale Variante entscheidet. «Ich habe jetzt gerade keine Zeit, tut mir leid. Aber mir wäre es wichtig, dass es genau so gemacht wird, wie ich es mir vorstelle» – so etwas wird man von einem Pfadi kaum hören. Sie sagen: «Diese Aufgabe kannst du mir übergeben.» Und erledigen sie dann auch.

Der Frühling steht vor der Tür, und die meisten Massnahmen gegen Corona sind aufgehoben. Worauf freuen Sie sich am meisten?
Auf das Bundeslager im Sommer. Wir mussten es schon einmal verschieben. Seit kurzem sind wir zuversichtlich, dass es stattfinden kann. 450 junge Erwachsene, die in die Planung und Durchführung involviert sind, haben während vier Jahren daran geglaubt und Enormes geleistet. Wir haben 30'000 Anmeldungen von Kindern und Jugendlichen aus der ganzen Schweiz, die zwei Wochen ins Goms im Wallis kommen.

Wie einfach ist es, einen Platz für ein Lager zu finden?
Die Bestimmungen, wie Landwirtschaftsflächen genutzt werden dürfen, sind heute sehr streng. Das macht die Sache relativ schwierig. Hinzu kommt die Zersiedelung. Der Platz, an dem ich als Achtjährige in die Pfadi ging, musste irgendwann einer Autobahnausfahrt weichen.

Was macht einen guten Pfadiplatz aus?
Er sollte über schattige Bereiche verfügen, einen Wasseranschluss haben und einigermassen eben sein, damit im Zelt am Morgen nicht alle auf einem Haufen erwachen.

Sie mussten angeblich einmal einen Platz für rund 150 Leute in Mexico City finden.
Das war ein Anlass, bei dem sich Rover aus der ganzen Welt trafen. Wir sind dann bei der Schweizer Schule fündig geworden, wo wir im Garten die Zelte aufschlagen durften.

Wie leben Sie heute noch den Pfadi-Lifestyle?
Wir machen immer noch Zeltferien. Zudem verbringe ich seit über zwanzig Jahren die Weihnachtsferien mit ehemaligen Pfadifreunden und deren Familien. Seit neun Jahren gehen wir immer ins gleiche Hotel in Saanenmöser.

Sind Pfadis Gewohnheitstiere?
Ich würde sie eher als Herdentiere bezeichnen.

Pfad einer Pfaderin

Barbara Blanc (50) ist seit 2014 Präsidentin der Pfadibewegung Schweiz, des Dachverbandv der Schweizer Pfadfinder und Pfadfinderinnen, und damit die höchste Pfaderin des Landes – auch wenn sie den Titel nicht gerne hört. Ihre Pfadi-Karriere begann die Ostschweizerin in St. Gallen, heute wohnt sie mit ihrer Familie in Ennetbaden im Aargau und arbeitet in Zürich an der Pädagogischen Hochschule als Dozentin für Sonderpädagogik und pädagogische Psychologie. Während der Pandemie hat sie mit ihren beiden Töchtern Emma (12) und Anna-Sophia (14) alle erhältlichen Ausgaben des Rätsel-Spiels Exit gelöst.

Barbara Blanc (50) ist seit 2014 Präsidentin der Pfadibewegung Schweiz, des Dachverbandv der Schweizer Pfadfinder und Pfadfinderinnen, und damit die höchste Pfaderin des Landes – auch wenn sie den Titel nicht gerne hört. Ihre Pfadi-Karriere begann die Ostschweizerin in St. Gallen, heute wohnt sie mit ihrer Familie in Ennetbaden im Aargau und arbeitet in Zürich an der Pädagogischen Hochschule als Dozentin für Sonderpädagogik und pädagogische Psychologie. Während der Pandemie hat sie mit ihren beiden Töchtern Emma (12) und Anna-Sophia (14) alle erhältlichen Ausgaben des Rätsel-Spiels Exit gelöst.

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Mega-Anlass mit 30'000 Personen

Vom 23. Juli bis zum 6. August kommt mit dem Pfadi Bundeslager (BuLa) ein Anlass nach Goms im Wallis, der nur alle 14 Jahre stattfindet. 30'000 Pfadis aus der Schweiz und 300 aus anderen Ländern nehmen daran teil. Während der gesamten Lagerdauer werden 500'000 Personennächte verzeichnet. Damit zählt das BuLa nicht nur zu den grössten Anlässen der Schweiz, sondern ist auch das grösste Pfadilager, das es hierzulande je gegeben hat. Es wird von rund 500 Freiwilligen organisiert. Das Ergebnis wird eine Zeltstadt in der Grösse von Sitten sein inklusive Spielwiesen, sanitärer Einrichtungen, einer Notfallpraxis, Entsorgungs- und Recycling-Stationen, Kiosks und eines Supermarkts.

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