Weinkritiker Antonio Galloni im Gespräch mit Blick
«Ich verkoste jährlich über 10'000 Weine»

Antonio Galloni zählt zu den einflussreichsten Weinkritikern der Welt. Wir haben den zurückhaltenden Amerikaner in New York zum Gespräch getroffen.
Publiziert: 19.03.2024 um 13:52 Uhr
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Nicolas GreinacherRedaktor Wein DipWSET

Wer beim ehemaligen Parker-Ziehsohn Antonio Galloni einen extrovertierten Lebemann erwartet, dürfte bei einem persönlichen Treffen überrascht sein. Galloni ist das genaue Gegenteil: tiefgründig und zurückhaltend. Sein Leben dreht sich um das Verkosten von Wein und dem Verfassen einer Bewertung. Natürlich darf dabei auch die berühmte Punktzahl nicht fehlen. In einem seltenen Interview gewährt uns Galloni einen Einblick in seinen beruflichen und privaten Alltag.

Blick: Wie viele verschiedene Weine verkosten sie im Jahr?
Antonio Galloni: Ich verkoste jährlich über 10'000 Weine.

Welche Weinregion ist in ihrem privaten Weinkeller am stärksten vertreten?
Eindeutig Piemont. Es waren auch die ersten Weine, mit denen ich mich intensiv beschäftigt habe.

Antonio Gallonis Leben dreht sich um das Verkosten von Wein und dem Verfassen einer Bewertung.
Foto: zVg
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Was löst es in ihnen aus, wenn sie einen 100-Punkte-Wein verkosten?
Ein solcher Wein berührt mit seiner immensen Komplexität alle meine hedonistischen Sinne. Er macht wunschlos glücklich. Bei einem solchen Wein kann man nichts mehr hinzufügen, er ist schlicht perfekt.

Drei aufstrebende Weinregionen, die man im Auge behalten sollte?
Erstens Santa Rita Hills in Kalifornien, etwas nördlich von Los Angeles. Es ist eine eher kühle Anbauregion, die sich besonders gut für Chardonnay und Pinot Noir eignet. Zweitens die kleinen Bordeaux-Satelliten-Appellationen wie Fronsac oder Côtes de Castillon, wo die Weine zunehmend schön und lecker, aber auch preiswert sind. Und drittens die Weinregion Alto Piemonte. Dort gibt es vermehrt kleine Weinbaubetriebe, die grossartige Weine in die Flasche zaubern.

Welchen Weinkritiker bewundern sie am meisten?
Den Engländer Neal Martin. Er hat die seltene Fähigkeit, sehr komplexe Weine zu verkosten und seine Bewertungen und Artikel in verständlicher Sprache sowie in kürzester Zeit zu schreiben. Er ist ultraproduktiv.

Was ist die momentan am meisten überbewertete Weinregion?
Nun, das ist Burgund. Aber das liegt nicht an den Winzerinnen und Winzern. Es ist einfach so, dass nur ungefähr drei Prozent aller Burgunder-Rebberge als Grand Cru klassifiziert sind. Gleichzeitig gibt es eine riesige Anzahl Menschen, die solche Weine kaufen möchten. Das erzeugt einen enormen Preisdruck auf dem Markt. Ich weiss ehrlich gesagt nicht, was die Lösung dafür ist, aber es besteht kein Zweifel daran, dass Burgund diejenige Region ist, in der die Weine am knappsten und begehrtesten sind.

Welche Speisen empfehlen sie zu einem gereiften Barolo?
Am besten etwas Einfaches, was gut zu den Weinen der Nebbiolo-Traube passt. Traditionelle piemontesische Küche, wie carne cruda, ein pochiertes Ei mit oder ohne Trüffel, aber auch Trüffel-Tagliolini. Ich mag auch Kalbfleisch zum Barolo, weil das weisse Fleisch kräftig genug ist, um mit dem Wein mitzuhalten.

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Antonio Gallonis Weinkritiker-Karriere erstreckt sich mittlerweile über 20 Jahre. 2004 gründete er während seines Studiums am Massachusetts Institute of Technology den «Piemont Report», das erste englischsprachige Journal mit einem Fokus auf piemontesische Weine. Kurze Zeit später wurde der Weinpapst Robert Parker auf Galloni aufmerksam und holte ihn zu sich zum «The Wine Advocate», wo Galloni weitere Weinregionen wie zum Beispiel das Burgund dazugewann. Mit seiner eigenen Publikation «Vinous» hat Galloni eine zeitgenössische Weinmedienplattform ins Leben gerufen, die führende Weinkritiker wie den Engländer Neal Martin oder die beiden Masters of Wine Anne Krehbiel und Rebecca Gibb unter einem Dach vereint.

Antonio Gallonis Weinkritiker-Karriere erstreckt sich mittlerweile über 20 Jahre. 2004 gründete er während seines Studiums am Massachusetts Institute of Technology den «Piemont Report», das erste englischsprachige Journal mit einem Fokus auf piemontesische Weine. Kurze Zeit später wurde der Weinpapst Robert Parker auf Galloni aufmerksam und holte ihn zu sich zum «The Wine Advocate», wo Galloni weitere Weinregionen wie zum Beispiel das Burgund dazugewann. Mit seiner eigenen Publikation «Vinous» hat Galloni eine zeitgenössische Weinmedienplattform ins Leben gerufen, die führende Weinkritiker wie den Engländer Neal Martin oder die beiden Masters of Wine Anne Krehbiel und Rebecca Gibb unter einem Dach vereint.

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Erinnern sie sich an einen lustigen Moment, als Sie noch mit Robert Parker zusammengearbeitet haben?
Bob hat einmal alle Weinkritiker zu einem Abendessen eingeladen, die damals für ihn geschrieben haben. Ich fragte ihn, ob er davor eine halbe Stunde Zeit für mich habe. Es war ein spanisches Tapas-Restaurant. Also bin ich 30 Minuten vorher erschienen und Bob hat nur für uns zwei Vorspeisen bestellt. Die Portionen waren allerdings gewaltig gross. Er hatte einen riesigen Appetit und wir haben uns die Bäuche vollgeschlagen. Es war lustig, weil wir 30 Minuten lang geschlemmt haben wie hungrige Schweine. Dieser Moment erinnert mich daran, wie sehr Bob es geliebt hatte, zu leben, zu lachen und zu geniessen.

Kürzlich haben Sie die abgefüllten Bordeaux-Weine des Jahrgangs 2021 verkostet. Ihr Urteil?
Sehr heterogen. 2021 herrschten in Bordeaux Wetterbedingungen wie teilweise in den 80er-Jahren. Aber viele Weingüter haben heutzutage moderne Technologien und top Know-how, um mit solchen Bedingungen umzugehen. Weingüter, die das Geld und die Leute hatten, um im Rebberg und Weinkeller professionell zu arbeiten, konnten grossartige Weine keltern. Es gibt aber auch viele schwache Weine.

Was ist Antonio Gallonis Lieblingsaktivität ausserhalb der Weinwelt?
Gitarre spielen.

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