Experte Cary Adams sagt dir, was du über die heimtückische Krankheit wissen musst
Was sind frühe Krebs-Symptome?

Cary Adams führt den weltweiten Kampf gegen Krebs an: Er ist Geschäftsführer der UICC in Genf, der weltweit grössten Krebs-NGO. Ein Gespräch über beunruhigende globale Trends, persönliche Krebs-Prävention und Lichtblicke aus der Forschung.
Publiziert: 18.05.2024 um 19:45 Uhr
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Aktualisiert: 18.05.2024 um 19:47 Uhr
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Silvia TschuiGesellschafts-Redaktorin

Herr Adams, wie gross ist mein Risiko, an Krebs zu sterben?
Cary Adams: Global gerechnet: 8,3 Prozent. Einer von neun Männern und eine von zwölf Frauen stirbt global gesehen an Krebs. Krebs ist die zweithäufigste Todesursache nach kardiovaskulären Krankheiten. In der Schweiz sind die Überlebenschancen aber viel grösser als in vielen anderen Ländern. Die Krebs-Todesraten sind hierzulande seit den 1990er-Jahren kontinuierlich stark gesunken.

Weshalb?
Die Schweiz bietet den absoluten Goldstandard an Früherkennung und Behandlungen. Es ist aber wichtig, die Vorsorgeuntersuchungen auch regelmässig wahrzunehmen.

Wie viele Menschen erkranken in der Schweiz jährlich an Krebs?
In der Schweiz sind im Jahr 2022 32'000 Männer neu mit Krebs diagnostiziert worden und 26'500 Frauen.

Cary Adams, CEO der UICC in Genf, hat sich ganz dem Kampf gegen Krebs verschrieben.
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Cary Adams

Cary Adams (61) ist in London geboren. Er ist Absolvent der Harvard Business School. Ihm wurden gleich zwei Ehrendoktorwürden, von der Universität Genf sowie von der Universität Bath in England, in den Bereichen Internationale Beziehungen und Gesundheit verliehen.

Seit 2009 ist er CEO der Union for International Cancer Control (UICC) mit Sitz in Genf – der grössten internationalen Krebs-NGO ihrer Art mit mehr als 1150 Mitgliedsorganisationen in über 170 Ländern und Territorien sowie mehr als 60 strategischen Partnern.

Anadolu Agency via Getty Images

Cary Adams (61) ist in London geboren. Er ist Absolvent der Harvard Business School. Ihm wurden gleich zwei Ehrendoktorwürden, von der Universität Genf sowie von der Universität Bath in England, in den Bereichen Internationale Beziehungen und Gesundheit verliehen.

Seit 2009 ist er CEO der Union for International Cancer Control (UICC) mit Sitz in Genf – der grössten internationalen Krebs-NGO ihrer Art mit mehr als 1150 Mitgliedsorganisationen in über 170 Ländern und Territorien sowie mehr als 60 strategischen Partnern.

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Was kann ich tun, um mein Risiko zu minimieren?
Falls Sie rauchen: Hören Sie auf damit. Falls Sie übergewichtig sind: Nehmen Sie ab. Falls Sie generell unfit sind: Bewegen Sie sich. Trinken Sie sehr wenig Alkohol und ernähren Sie sich gesund. Das bedeutet: wenig hoch verarbeitete Lebensmittel wie Fertigmahlzeiten, Chips oder Softdrinks, wenig rotes Fleisch, stattdessen viel Gemüse, Milchprodukte und Hülsenfrüchte.

An welchem Krebs erkrankt man, statistisch gesehen, hierzulande am häufigsten?
In dieser Reihenfolge: Prostata, Brust, Dickdarm, Lunge. Und danach folgt Blasenkrebs und an vierter Stelle für Frauen und an fünfter Stelle für Männer schwarzer Hautkrebs.

Steigt die Anzahl Krebserkrankungen global gesehen an?
Ja, und zwar stark: Wir rechnen mit einer Zunahme der Erkrankungen um 77 Prozent im Jahr 2050 im Vergleich zu 2020, das sind 35 Millionen neue Krebsfälle. Für diverse Länder ist das eine tickende Zeitbombe, was das Gesundheitswesen betrifft.

Für welche Länder gilt das?
Das Tragische ist, dass der starke Anstieg der Krebsraten die Länder trifft, die am wenigsten damit umgehen können. Also Länder, die auf dem Human Development Index (HDI) – er setzt sich zusammen aus Lebenserwartung, Zugang zu Bildung und Lebensstandard – eher unten stehen. Dort sind Frauen besonders gefährdet: Bis zu 90 Prozent aller Todesfälle durch Gebärmutterhalskrebs und 60 Prozent aller Brustkrebs-Todesfälle geschehen in diesen Ländern. Dies, da Frauen oftmals limitierten Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen oder Behandlungsmöglichkeiten haben. Die Schweiz liegt aktuell übrigens auf Platz eins des HDI-Indexes.

Was ist der Grund für den grossen Anstieg?
Hauptsächlich der globale Bevölkerungszuwachs gekoppelt mit längerer Lebenserwartung – je mehr Menschen, desto mehr Krebserkrankungen. Und in Ländern, in denen die Lebenserwartung steigt, steigt natürlich auch die Anzahl Krebserkrankungen. Krebs ist zu einem grossen Teil eine Krankheit des Alters, je öfter sich eine Zelle bereits geteilt hat, desto grösser die Chance, dass sie dies fehlerhaft tut. Je überalterter eine Gesellschaft ist, desto mehr Krebsfälle verzeichnet sie. Nehmen Sie etwa das Beispiel Ruanda: Das Durchschnittsalter liegt dort bei nur 20 Jahren. Sie wird aber in den nächsten Jahren stark steigen – und somit auch die Anzahl Krebserkrankungen.

Gibt es auch andere Gründe?
Länder, die eine westliche Ernährungsweise übernehmen, also mit vielen hoch verarbeiteten Lebensmitteln, verzeichnen einen Anstieg. Und natürlich spielt auch Tabak- und Alkoholkonsum eine grosse Rolle. Das gilt auch für junge Menschen. Bei ihnen steigt die Krebsrate in besorgniserregender Weise.

Moment: Mehr Junge haben Krebs im Vergleich zu früher? Auch bei uns?
Ja, das ist ein globaler Trend. Auch in der Schweiz steigen die Krebserkrankungen bei unter 50-Jährigen im Vergleich zu früher an. Insbesondere betrifft dies Dickdarm- und Prostatakrebs bei Männern sowie Brustkrebs bei Frauen.

Weiss man, weshalb?
Es ist nicht restlos geklärt. Es können mehrere Faktoren als Auslöser zusammenspielen. Langzeitbehandlungen mit Antibiotika oder wiederholte Antibiotikatherapien können eine Ursache sein, wie auch Kontakt mit Umweltgiften, aber auch eine genetische Prädisposition. Einige oder all diese Faktoren kombiniert mit anderen wie Rauchen, Alkoholkonsum, schlechter Ernährung und einem bewegungsarmen Lebensstil können das Risiko einer Erkrankung erhöhen. Je später Frauen Kinder bekommen, desto grösser ist zudem das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Und entzündliche Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn steigern das Risiko für Dickdarmkrebs. Es gibt aber auch eine gute Nachricht zu dieser schlechten.

Gern!
All diese Krebsarten sind recht gut behandelbar, wenn man sie früh genug erkennt. Umso wichtiger ist es, sich über frühe Symptome zu informieren und auch junge Patientinnen und Patienten ernst zu nehmen. Ländern mit tiefem HDI sollte man ermöglichen, rechtzeitig in Früherkennung und Prävention zu investieren – und diese auch in reichen Ländern wie der Schweiz nicht abzubauen.

Was sind denn frühe Symptome?
Ertastbare Knoten in der Brust oder eine Verdickung der Brust bei Frauen. Wiederholt Blut im Stuhl oder beim Urinieren, Schmerzen beim Urinieren oder länger anhaltende dumpfe Schmerzen im Unterleib können auf Dickdarm- oder Prostatakrebs hindeuten. Bei solchen Symptomen sollte sich ein Arzt die Sache ansehen.

Gibt es einfach zu vermeidende Krebsarten?
Gebärmutterhalskrebs wird hauptsächlich durch das sexuell übertragbare humane Papillomavirus übertragen. Hierzu gibt es seit einigen Jahren eine Impfung. Also lassen Sie Ihre Jugendlichen impfen, bevor sie sexuell aktiv werden – auch Jungen! Auch für Hepatitis B, was Leberkrebs auslösen kann, gibt es eine Impfung.

Sie haben vorher Umweltgifte angesprochen. Wie schädlich sind diese in Bezug auf spätere Krebserkrankungen?
Umweltgifte können definitiv zu Krebserkrankungen führen, insbesondere Umwelt- und Luftverschmutzung. Letztere, sowohl indoor als auch outdoor, könnte für fast ein Drittel aller Lungenkrebserkrankungen zuständig sein, in geringerem Mass sind auch Industriechemikalien und Pestizide verantwortlich. Durch Luftverschmutzung gibt es ausserdem einen sekundären Effekt.

Welchen?
99 Prozent der Weltbevölkerung atmen verschmutzte Luft. Je verschmutzter die Luft ist, desto mehr behindert sie einen aktiven Lebensstil, was wiederum als Sekundäreffekt die Krebserkrankungsraten fördert. Indem Regierungen Luftreinhalteverordnungen durchsetzen und Grünflächen fördern, können sie eine gesündere Umgebung schaffen, die einen aktiven Lebensstil ermöglicht und fördert. In der Folge würden nicht nur Krebsraten sinken, sondern auch kardiovaskuläre Erkrankungen sowie Erkrankungen der Atemwege. Wirtschaftlich lohnen sich solche Investitionen, da sie später beim Gesundheitswesen eingespart werden.

Was die Ernährung betrifft: Oft liest man von der Schädlichkeit von Zucker. Was ist dran?
Es gibt einige wissenschaftliche Hinweise, die übermässigen Zuckerkonsum mit einem erhöhten Krebserkrankungsrisiko in Zusammenhang bringen, aber der definitive Zusammenhang ist noch nicht gänzlich erforscht. Was aber wissenschaftlich gesehen sonnenklar bewiesen ist: Der Konsum von Zucker, insbesondere in hoch verarbeiteten Süssigkeiten und Softdrinks, verstärkt die Entwicklung von Übergewicht – und das wiederum ist ein Risikofaktor für insgesamt dreizehn Krebsarten, darunter Brust-, Dickdarm- und Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Ihre Organisation UICC hat Sitz in Genf – weshalb?
Genf ist ein globaler Knotenpunkt, was die Gesundheit betrifft, mit vielen internationalen Organisationen, mit denen die UICC enge Beziehungen unterhält, darunter die Weltgesundheitsorganisation. Wir haben auch starke Verbindungen mit Krebsorganisationen sowie mit Exzellenzzentren wie den Hôpitaux universitaires de Genève. Die Schweiz spielt eine wichtige Rolle in der Krebsforschung, insbesondere in den Bereichen Präzisionsmedizin und Immuntherapie.

Was bedeutet Präzisionsmedizin im Zusammenhang mit Krebsforschung?
Dass die Behandlung gezielt auf das genetische Profil eines einzelnen Patienten und auf das genetische Profil eines Tumors massgeschneidert wird.

Und Immuntherapie?
Hier handelt es sich darum, Zellen so zu behandeln, dass sie das körpereigene Immunsystem aktivieren. Es gibt aber noch viel mehr revolutionäre Behandlungsmöglichkeiten, an denen aktuell geforscht wird. Bei der Bekämpfung bereits existierender Erkrankungen etwa die Entwicklung von Medikamenten sowie mRNA-Impfungen, die gezielt genetische Veränderungen der Krebszellen ins Visier nehmen. Oder der Einsatz sogenannter onkologischer Viren, die ausschliesslich Krebszellen angreifen. Aber auch Grundlagenforschung ist in der Schweiz interessant.

Grundlagenforschung worin?
Am Cern findet beispielsweise angewandte Forschung dazu statt, wie man präzisere und weniger invasive Bestrahlungstherapien gestalten kann. Die Schweiz beherbergt auch mehrere führende Pharmakonzerne, die bei der Entwicklung neuer Krebstherapien an vorderster Front arbeiten.

Haben Sie noch eine gute Nachricht zum Schluss?
Ja: Im Bereich der Prävention stehen wir kurz vor der Einführung simpler Bluttests, mit denen man gleich mehrere Krebsarten aufs Mal sehr früh erkennen kann.

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