«Ich wurde vor Schmerzen ohnmächtig»
Frauen sprechen übers Einsetzen der Spirale

Hunderte von Frauen schildern traumatische Erfahrungen mit Verhütungsmitteln. Viele fühlen sich nicht ernst genommen – Studien geben ihnen recht.
Publiziert: 02.07.2023 um 16:07 Uhr
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Aktualisiert: 15.07.2023 um 14:24 Uhr
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Sara BelgeriRedaktorin

Lisa Christs Beitrag auf Instagram beginnt so: «Liebe Männer, wenn ihr Sex mit Frauen oder Personen mit Gebärmutter habt und dabei keine Kinder zeugen wollt, bitte lest diesen Post.» Dort schildert die Slam-Poetin und Autorin ihre Erlebnisse mit Verhütungsmitteln – oder ihre «Odyssee», wie sie am Telefon sagt: «Seit ich 18 bin, jagt eine Verhütungsmethode die andere», sagt Christ. «Und mit jeder kommt ein neues Problem.»

Das Problem in ihrem Fall sind vor allem Schmerzen. Christ berichtet, wie qualvoll das Einsetzen der Hormonspirale war, trotz schmerzstillender Medikamente. Noch schlimmer sei es beim «Kupferball» gewesen, einer Methode, bei der Kupferkugeln in die Gebärmutter eingesetzt werden. Dies geschah bei vollem Bewusstsein: «Mir tat das verdammt weh. Auch mit Schmerzmitteln», schreibt die 32-Jährige.

Jetzt, sechs Jahre später, müsste die Zürcherin besagten Kupferball wieder herausholen. Nur, dass die Rückholfäden verschwunden sind, weshalb sich Christ einer Operation unterziehen muss. «Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht», sagt sie und verfasste ihren Instagram-Post: Weil es im Jahr 2023 nicht sein dürfe, dass eine Frau so ein «Gschiss» mit der Verhütung habe, dass es keine besseren Alternativen gebe – auch nicht für Männer. Und weil sie nicht glauben wollte, dass sie ein Einzelfall sei.

Slam-Poetin und Autorin Lisa Christ schrieb kürzlich auf Instagram über ihre Verhütungsgeschichte.
Foto: Frederike Asael
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Viele Betroffene melden sich

Dass sie dies tatsächlich nicht ist, zeigen beinahe 500 Kommentare, die innert kürzester Zeit unter ihrem Instagram-Beitrag zusammenkamen, zum Beispiel dieser: «Bei mir wurde beim Spirale-Entfernen vor ein paar Jahren grob gerüttelt und gezogen und gesagt, ich solle mich nicht so anstellen, als ich wie am Spiess geschrien hab», schreibt eine Userin. Eine weitere: «Ich wurde – trotz Schmerzmitteln – beim Einsetzen der Spirale vor Schmerzen ohnmächtig. Man warf mir vor, mein Schreien hätte man bis ins Wartezimmer gehört.» Eine andere Frau: «Ich hatte beim Einsetzen der Spirale mehr Schmerzen als bei der Geburt.»

Schmerzen, Wut, Unverständnis: Die Kommentare zu Christs Post sind voll davon. Dort schildern Frauen auch, dass sie explizit um lokale Betäubung gebeten, diese aber nicht bekommen hätten, obwohl dies in anderen Ländern Standard sei. Ein Blick auf die Websites von Praxen in Deutschland oder Österreich zeigt, dass die Einsetzung einer Spirale unter örtlicher Betäubung möglich ist.

Viele Frauen beklagen nicht nur, dass ihnen die Betäubung verweigert wurde. Sie fühlen sich auch mit ihren Schmerzen nicht ernst genommen. Tatsächlich sprechen gleich mehrere Studien von einem sogenannten «Gender Pain Gap», dass Ärztinnen und Ärzte dazu tendieren, die Schmerzen von Frauen weniger ernst zu nehmen.

Das bestätigt auch Carole Clair, Ärztin und Co-Leiterin der Abteilung Medizin und Gender am Zentrum für Allgemeinmedizin und öffentliche Gesundheit der Universität Lausanne.

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Wenn Frauen Schmerzen ausdrücken, tendieren Fachkräfte dazu, diese zu normalisieren
Carole Clair, Co-Leiterin der Abteilung Medizin und Gender am Zentrum für Allgemeinmedizin und öffentliche Gesundheit der Universität Lausanne.
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Clair forscht unter anderem über Fragen der Geschlechtersensibilität und Stereotypen in der Medizin. Sie sagt: «Wenn Frauen Schmerzen ausdrücken, tendieren Fachkräfte dazu, diese zu normalisieren. Gewisse haben auch das Gefühl, dass diese überbetont werden.» Und das hat Folgen: Frauen erhielten oftmals weniger oder eine geringere Dosis an Schmerzmitteln verschrieben.

Dabei hätten sie solche Medikamente besonders nötig. Denn: Viele Untersuchungen zeigen, dass Frauen schmerzempfindlicher sind als Männer. Die Deutsche Schmerzgesellschaft etwa geht davon aus, dass Frauen eine niedrigere Schwelle für schmerzhafte Reize haben als Männer und weniger starke Reize schon als schmerzhaft empfinden.

Schmerzen müsse man selbstverständlich ernst nehmen, sagt die Gynäkologin Sibil Tschudin. Sie ist leitende Ärztin an der Frauenklinik des Universitätsspitals Basel. In ihrer gut 30-jährigen Karriere hat sie bereits viele Verhütungsmittel eingesetzt. «Ich sage immer, dass das Einsetzen unangenehm sein kann – und manchmal sogar schmerzhaft.» Dies sei abhängig von der Anatomie der Gebärmutter und auch vom Schmerzempfinden, das etwas sehr Subjektives sei.

Tschudin rät ihren Patientinnen, vor und nach dem Eingriff ein Schmerzmittel zu nehmen. Noch wichtiger ist ihr, die Patientinnen gut zu begleiten: «Ich informiere über jeden einzelnen Schritt beim Einlegen der Spirale, frage, wie die Patientin sich fühlt, stoppe auch mal, wenn es eine Pause braucht.» Das gebe der Patientin mehr Kontrolle. «Wenn es gar nicht geht, breche ich ab», sagt sie.

Lokale Betäubung selten angebracht

Eine lokale Betäubung sei zwar möglich, würde aber selten gemacht. Der Grund, so die Gynäkologin: Eine Betäubung lindere weder die Schmerzen am inneren Muttermund noch am oberen Ende der Gebärmutterhöhle – beides besonders schmerzempfindliche Stellen: «Bei einer Vollnarkose spürt man natürlich keine Schmerzen», sagt Tschudin. Doch diese sei aufwendig, teuer und würde meist von den Krankenkassen nicht übernommen.

Ob die Realität anders aussehen würde, wenn Männer ein Verhütungsmittel eingesetzt bekämen? Zumindest das Schmerzempfinden würde wohl ernster genommen, meint Carole Clair. Und Lisa Christ ist überzeugt: «Könnten Männer schwanger werden, würde das alles anders aussehen.»

Dabei will die Slam-Poetin nicht pauschalisieren: «Mir ist bewusst, dass die meisten Gynäkologinnen und Gynäkologen ihr Bestes tun.» Dennoch möchte sie Aufmerksamkeit schaffen für den unsichtbaren Schmerz, den viele Frauen erleiden.

«Ich wünsche mir auch, dass Verhütungsmethoden weiterentwickelt werden, auch für Männer», sagt Christ. Bis es so weit ist, sollten Frauen sich trauen, über ihre Schmerzerfahrungen zu sprechen.

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