Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz
Bringt das überhaupt etwas?

Die Angestellten sind das höchste Gut eines Unternehmens. Deshalb investieren immer mehr Firmen in die Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Doch bringen Früchtekörbe und Frühgymnastik tatsächlich etwas?
Publiziert: 17.11.2016 um 15:38 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 13:15 Uhr
Flavian Cajacob

Die Hände im Schoss und im Schneidersitz, hat Corina Schmid auf einer gefalteten Decke Platz genommen. Zwei Kolleginnen und zwei Kollegen tun es ihr an diesem Mittag gleich. Augen zu, bewusst einatmen, bewusst ausatmen. Betriebliche Gesundheitsförderung: Während die übrige Belegschaft durcharbeitet oder sich eine Essenspause gönnt, trifft sich die Gruppe immer dienstags zur gemeinsamen Yogastunde. «Zeit, die gut investiert ist», meint Corina Schmid. «Gerade, wenn es im Büro stressig zu- und hergeht, so wie heute.»

1 Million sind gestresst

Jeder vierte Erwerbstätige in der Schweiz fühlt sich in seinem Job gestresst. Das sind umgerechnet eine Million Menschen! Zu diesem Schluss kommt der Job-Stress-Index von Gesundheitsförderung Schweiz, der heuer zum dritten Mal erschienen ist. Die Folge des ständigen «Sich-getrieben-Fühlens» sind deutlich sichtbar: Unzufriedenheit, schwindende Produktivität und Krankheit auf Arbeitnehmerseite und über 5,7 Milliarden Franken Einbussen für Arbeitgeber und Schweizer Wirtschaft auf der anderen Seite.

Besonders pikant: Lediglich ein Viertel dieser Kosten entsteht infolge konkreter Krankentage. Die restlichen drei Viertel sind dem Präsentismus geschuldet; der Arbeitnehmer taucht trotz Krankheit oder belastender Situation an seinem Arbeitsplatz auf, ist aber nicht in der Lage, seine volle Leistungsfähigkeit abzurufen (siehe Kasten unten).

Manche Unternehmen versuchen, dem Arbeitsstress entgegenzuwirken, indem sie ihren Angestellten Fitnessmöglichkeiten im Betrieb bieten.
Foto: Thinkstock

Dass der Druck auf die Unternehmen steigt und Physis und Psyche des einzelnen Mitarbeiters dadurch schon mal aus dem Gleichgewicht geraten können, ist eine unbestrittene Tatsache. Doch wo den Hebel ansetzen? Abstriche machen bei der Leistung, bei Quantität oder gar Qualität? Das kann sich heutzutage kein Unternehmen leisten. Also wird das Augenmerk verstärkt auf die Mitarbeitenden gelenkt. Sie sollen fit gemacht werden für wachsende Anforderungen. Und auch fit bleiben.

Breite Palette an Massnahmen

Die betriebliche Gesundheitsförderung gehört mittlerweile ins Standardrepertoire zeitgemäss agierender HR-Abteilungen. Die Palette der Massnahmen, die für fitte Angestellte sorgen sollen, ist breit. Sie reicht von Frühgymnastik bis Früchtekorb, von Ernährungsberatung bis Ergonomie, von Raucherentwöhnung bis Raumklima. «Egal, in welche Richtung es ein Unternehmen bei diesen Aktionen zieht, der einzelne Mitarbeitende sollte stets erkennen, dass ihm der Arbeitgeber damit Wertschätzung zukommen lässt», sagt Urs Näpflin, Leiter Fachgruppe Beratung Präventionsangebote bei der Suva. Denn Wertschätzung ist so etwas wie der Nährboden für Zufriedenheit und Leistungsbereitschaft.

Im zweiten Stock des Bürogebäudes an der Zürcher Pflanzschulstrasse hat sich die Yogagruppe um Corina Schmid in einen stabilen Stand gebracht. Kursleiterin Lea von Brückner hebt ihren linken Fuss zum rechten Oberschenkel, die Aufmerksamkeit ganz auf das Zusammenspiel von Gleichgewicht, Geist und Atem gerichtet.

«Allen Schwankungen zum Trotz steht ihr ruhig und klar wie ein Baum in der Landschaft.» Für den Yogacoach ist klar: «Im Job sind wir Einflüssen ausgeliefert, die wir nicht ändern können. Aufgaben, Anforderungen, eigenen Ansprüchen auch.» An der Belastung schrauben zu wollen, sei angesichts von Konkurrenzkampf und wirtschaftlicher Lage häufig vergebene Liebesmüh. «Deshalb ist es so wichtig, die Ressourcen beim Einzelnen zu stärken. Damit die Balance zwischen Müssen und Können nicht ins Wanken gerät.»

Geben und nehmen

Ein Ansatz, mit dem Lea von Brückner bei Michael Volkart auf offene Ohren stösst. Der Chef der Zürcher Digitalagentur Hinderling Volkart ist selber begeistert vom Yoga und sagt: «Als Unternehmen verlangen wir von unseren Mitarbeitenden sehr viel. Gleichzeitig sind wir aber auch darum besorgt, dass es jedem und jeder Einzelnen möglichst gut geht.» Es sei, so Volkart, die klassische Philosophie vom Geben und Nehmen. «Wir haben schon Massage über Mittag angeboten, dann waren wir gemeinsam joggen, und jetzt ist Yoga dran.» Die Hälfte der Kosten tragen Corina Schmid und ihre Agentur-Kollegen im Übrigen selber. «Nicht, weil wir zu geizig wären», meint Michael Volkart, «aber so ist sichergestellt, dass nicht bloss probiert wird, weils gratis ist, sondern tatsächlich die Motivation zum kontinuierlichen Üben besteht.»

3 x pro Tag «Balance Time»

Kontinuität. Darin glänzt die Firma Victorinox in Ibach/SZ. Dreimal am Tag ruht beim bekannten Messerhersteller die Arbeit für einen Moment, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter körpergerechte Entlastungsübungen machen können – und das seit über zehn Jahren. Die sollen einerseits eine angemessene Muskelspannung ermöglichen, zum anderen aber auch Verkrampfungen lösen und ungesunde Bewegungsmuster eliminieren. Die «Balance Time» zahlt sich nicht nur für die Mitarbeitenden und deren Wohlbefinden aus, sondern auch für das Unternehmen. «In den letzten Jahren konnten wir die unfall- und krankheitsbedingten Absenzen um 40 Prozent reduzieren», sagt auch Paul Auf der Maur, stellvertretender Fabrikationsleiter bei Victorinox.

Eine Million Menschen, die sich im Job gestresst fühlt. Das kann ja nicht allein am Job liegen, ist man geneigt zu denken. Lea von Brückner, deren speziell auf Unternehmen und Unternehmer ausgerichtete Yogacoachings regen Zuspruch finden, schüttelt den Kopf. «Natürlich liegt es an jedem und jeder Einzelnen, die Situation richtig einzuschätzen und Gegenmassnahmen zu treffen.»

Das Problem sei bloss, dass der Homo faber, der schaffende Mensch also, im Verlauf der Jahrtausende verlernt hat, auf Signale zu hören, die der Körper bei übermässiger Anspannung aussendet. «Jede Firma, jeder Computer hat ein Frühwarnsystem, das sich meldet, wenn etwas in Schieflage gerät. Und der Mensch? Er reagiert oft erst, wenn es zu spät ist.» Deshalb weist sie ihre Kunden auch darauf hin, dass sie in Eigenverantwortung stünden. «Es nützt nichts, wenn man sich bloss während der Arbeitszeit seiner Gesundheit annimmt, man steht in der Pflicht, dies auch ins Private zu übertragen. Sich selber gegenüber, aber auch gegenüber dem Arbeitgeber.»

Atempause

Corina Schmid und ihre innerbetriebliche Yogagruppe machen sich für die letzte Übung bereit. Abwechselnd wird mit dem Finger das eine, anschliessend das andere Nasenloch verschlossen. Wechselatmung, Atempause im wörtlichen Sinn. «Dass mir die Arbeit danach ein bisschen leichter fällt und ich mich gut fühle, ist das eine», sagt Schmid, «hinzu kommt, dass man etwas zusammen unternimmt.» Und das sei gut fürs Arbeitsklima.

Lange Arbeitstage sind in der heutigen Zeit so unumgänglich wie Fluktuationen und Restrukturierungen. Dass das Arbeitsklima zusehends rauer wird im internationalen Wettbewerb, stellt niemand in Abrede. Umso wichtiger ist die Gesundheit jedes einzelnen Mitarbeitenden, darin sind sich Experten einig. Denn ein Unternehmen ist nur gesund, wenn es auch seine Angestellten sind.

Teure Ausfälle

Absenzen kosten die Schweizer Wirtschaft jährlich 16 Milliarden Franken. Durchschnittlich fällt jeder Mitarbeitende 6,5 Tage pro Jahr krankheitsbedingt oder in Folge eines Unfalls im Betrieb aus. Die direkten und indirekten Kosten für einen Absenztag belaufen sich auf rund 800 Franken. Macht pro Angestellten und Jahr 5200 Franken, die das Unternehmen aufgrund krankheits- und unfallbedingter Absenzen zu tragen hat. Die indirekten Kosten einer Absenz, also zum Beispiel ein zusätzlicher Organisationsaufwand, höhere Beanspruchung der Kollegen oder Umsatzeinbussen, wiegen im Übrigen 2,5-mal schwerer als die direkten Kosten, also die Lohnfortzahlung. (fwc)

Quelle: Suva, Hans Zeltner «Absenzenmanagement», Baldegger Verlag Aarau.

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Gesundheitsmanagement und Gesundheitsförderung

Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) und Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) werden vielfach leichgestellt. Das ist nicht richtig, denn während BGM in erster Linie auf Strukturen und Prozesse im Betrieb abzielt, fördert das BGF zeitlich beschränkte, gezielte Interventionen am Arbeitsplatz.

Betriebliches Gesundheitsmanagement: BGM ist das grosse Ganze und eine Managementaufgabe. Es umfasst die Steuerung und Integration aller betrieblichen Prozesse mit dem Ziel der Erhaltung und Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens der Mitarbeitenden.

Betriebliche Gesundheitsförderung: Unter BGF versteht man sämtliche von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft gemeinsam ergriffenen Massnahmen, die zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz führen sollen.

Quelle: bgm-schweiz.ch

Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) und Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) werden vielfach leichgestellt. Das ist nicht richtig, denn während BGM in erster Linie auf Strukturen und Prozesse im Betrieb abzielt, fördert das BGF zeitlich beschränkte, gezielte Interventionen am Arbeitsplatz.

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Gut gemeint, schlecht gemacht

Das Phänomen trägt einen originellen Namen und ist weit verbreitet: Präsentismus. Gemeint ist der Umstand, dass Arbeitnehmer trotz Krankheit am Arbeitsplatz erscheinen. Gemäss einer Studie des Arbeitnehmerdachverbandes Travailsuisse gehen gegen 30 % der Beschäftigten in der Schweiz auch dann noch arbeiten, wenn sie eigentlich ins Bett gehörten. Lediglich 19 % sind bereit, sich ihrem Schicksal zu ergeben und zu Hause zu bleiben. Letztlich gefährden diese Mitarbeitenden nicht nur ihre eigene Gesundheit und jene ihrer Kollegen, sie verursachen zudem trotz physischer Anwesenheit einen finanziellen Schaden. Internationale Studien schätzen die Kosten, welche ein krank zur Arbeit erscheinender Mitarbeiter langfristig verursacht, nämlich bis zu sieben Mal höher ein als jene, die eine allfällige und kurzfristige Absenz mit sich bringen. (fwc)

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Effizienz und Zeitmanagement

Effizienz am Arbeitsplatz: Hat viel mit der persönlichen Arbeitstechnik zu tun. Stellen Sie sich vor, jede Aufgabe ist wie eine Reise: Klären Sie zuerst, wohin die Reise geht und was Sie dafür alles brauchen. Sie sollten vor jeder Tätigkeit wissen, was genau zu tun ist, bis wann und für wen die Arbeit zu erledigen ist.

Setzen Sie dann einen Fuss vor den anderen: Bearbeiten Sie nur eine Sache auf einmal und schliessen Sie diese ab, bevor Sie die nächste angehen. Und lassen Sie sich nicht vom Weg abbringen: Reduzieren Sie Störungen und Ablenkungen. Sie werden auf diese Weise sehr viel effizienter arbeiten und erst noch entspannter ankommen.

Zeitmanagement: Stellen Sie sich vor, Ihre Agenda entspricht einem leeren Krug. Sie planen Termine und füllen den Krug bis oben hin mit grossen Steinen. Er ist aber noch nicht voll, es passen jede Menge Kieselsteine dazwischen. Und selbst das lässt sich noch optimieren. Ein erfolgreiches Zeitmanagement hängt jedoch weniger davon ab, wie viel Sie in den Krug bringen. Entscheidend ist die Reihenfolge: Legt man die grossen Steine nicht zuerst in den Krug, fehlt anschliessend der Platz dafür. Führen Sie eine Wochenplanung und setzen Sie zuerst die grossen Steine, die wichtigen Aufgaben. Und dann erst die Kieselsteine.

Quelle: Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit EKAS

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Quelle: Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit EKAS

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