Daten sind manipulierbar
Warum GPS-Tracking für Kinder gefährlich werden kann

Eltern, die ihren Nachwuchs aus Sicherheitsgründen mithilfe von GPS auf dem Smartphone tracken, verletzen deren Rechte. Und setzen die Kinder den Risiken aus, die sie eigentlich umgehen wollen. Eine Datenschutzexpertin erklärt, weshalb.
Publiziert: 02.09.2023 um 19:53 Uhr
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Aktualisiert: 02.09.2023 um 20:06 Uhr
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Cornelia Döbeli
Beobachter

Lassen Sie Ihre 16-Jährige erst dann mit ihren Freundinnen in die Ferien nach Spanien fahren, wenn sie eine Tracker-App auf ihrem Handy installiert hat? Darf Ihr 9-Jähriger nur allein auf den Fussballplatz, wenn seine Smartwatch mit der Tracking-Funktion ausgerüstet ist? Wenn Sie solche Fragen mit «Ja» beantworten, greifen Sie in die Persönlichkeitsrechte Ihres Kindes ein. Und, gravierender noch, Sie setzen es womöglich unnötigen Risiken aus.

Der Markt der Smartwatches für Kinder boomt – die Verkaufszahlen haben sich in den letzten fünf Jahren weltweit verdreifacht. Mit den «schlauen Uhren» können Eltern ihr Kind nicht nur jederzeit erreichen, sondern je nach Modell auch via GPS-Ortung sehen, wo es sich gerade aufhält.

Der Wunsch nach Sicherheit

Die gespeicherten Daten geben ihnen auch die Möglichkeit, rückwirkend zu kontrollieren, wo der Nachwuchs sich überall aufgehalten hat. Die gleiche Kontrolle können Eltern auch via App auf dem Handy der Tochter oder des Sohnes ausüben.

Aus Sorge um ihre Sicherheit lassen viele Eltern ihre Kinder nur mit Smartwatch nach draussen zum Spielen. Der Schuss kann nach hinten losgehen.
Foto: Getty Images

Viele Eltern begründen den Wunsch, jederzeit zu wissen, wo ihre Kinder sind, mit der Sorge um ihre Sicherheit. Doch die ständige Überwachung des Nachwuchses ist in zweierlei Hinsicht problematisch.

«Abgesehen davon, dass sich Eltern in falscher Sicherheit wiegen, greift das Tracking via Kinder-Smartwatch oder App gravierend in die Persönlichkeitsrechte der Kinder ein», erklärt die Datenschutzexpertin Sandra Husi-Stämpfli. Sie ist Expertin für den Persönlichkeitsschutz von Kindern in der digitalisierten Familie.

Ein Kind kann gemässe Expertin nicht abschätzen, was mit seinen Daten auf einer Smartwatch passiert – auch wenn die Eltern es versuchen zu erklären.
Foto: Getty Images

Kinder müssen einwilligen

Sobald ein Kind urteilsfähig ist, kann es selbst bestimmen, welche persönlichen Informationen es wem, wann und zu welchem Zweck mitteilt. Urteilsfähig ist ein Kind, wenn es eine konkrete Situation kognitiv erfassen, die Konsequenzen abschätzen und entsprechend handeln kann. Husi-Stämpfli zufolge können das viele bereits früh. Ab ungefähr sechs Jahren müsse man Kinder aktiv in Entscheide um den digitalen Alltag einbeziehen: «Zumindest ein Nein der Kinder ist ab diesem Alter zu respektieren.»

Eltern brauchen also die Einwilligung ihrer Kinder, wenn sie deren Daten bearbeiten wollen. Ausnahmen sind Fälle, die zur elterlichen Sorge gehören, etwa wenn sie die Personalien ihrer Kinder für den Schuleintritt oder bei einem Arztbesuch weitergeben. 

Allerdings kann das Kind nur dann in die Bearbeitung seiner Daten einwilligen, wenn es zuvor angemessen informiert wurde, und es freiwillig und explizit einverstanden ist. Wenn es nicht gegen das Tracking protestiert, heisst das nicht, dass es damit einverstanden ist.

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Wie aussagekräftig ist die kindliche Einwilligung?

Eine erste Schwierigkeit in der Kinder-Eltern-Smartwatch-Konstellation sieht Husi-Stämpfli bereits bei der angemessenen Information. Können die Eltern ihre Kinder tatsächlich angemessen informieren? Wissen sie, welche Daten die Smartwatch erhebt, weiterverwendet oder gar weiterleitet?

«Wohl kaum», sagt die Juristin. Auch bezweifelt sie, dass Kinder und Jugendliche abschätzen können, welche Konsequenzen ihr Einverständnis hat – konkret: Was mit den Daten geschehen kann.

Eine weitere Schwierigkeit stellt sich bei der freiwilligen Einwilligung. Denn wenn die Eltern ihrer Tochter sagen, dass sie nur dann ausgehen darf, wenn sie die Tracker-App auf dem Handy stets eingeschaltet hat oder die Smartwatch rund um die Uhr trägt, kann von Freiwilligkeit keine Rede sein.

Aus juristischer Sicht stellt sich sogar grundsätzlich die Frage, ob jemand tatsächlich einer 24-Stunden-Überwachung zustimmen kann. «Man muss hier wohl zum Schluss kommen, dass eine rechtlich gültige Einwilligung nicht möglich ist», sagt Sandra Husi-Stämpfli. Ihr Fazit: «Eltern verletzen die Persönlichkeitsrechte ihrer Kinder, wenn sie sie mittels Smartwatch-Tracking überwachen. Und sie können diese Verletzung der Persönlichkeitsrechte rechtlich nicht rechtfertigen.»

Risiko unverschlüsselte Kommunikation

Was viele nicht wissen oder zu wenig beachten: Wenn Eltern ihre Kinder via Smartwatch überwachen, setzen sie sie einem Risiko aus. Da viele dieser Geräte die Daten des Kindes unverschlüsselt an die Eltern-App schicken, können Fremde die übermittelten Daten wie auch die ganze Kommunikation zwischen Eltern und Kind mitverfolgen – oder gar manipulieren.

Sie erfahren also relativ einfach, wo sich die Kinder aufhalten, oder sie können mit ihnen Kontakt aufnehmen, etwa über gefälschte Textnachrichten, die sie ihnen im Namen der Eltern schicken.

Dies sei ein schwerwiegendes Risiko, sagt Husi-Stämpfli. Eltern sollten sich dessen bewusst sein, wenn sie glauben, ihre Kinder mit einer Smartwatch schützen zu können. Mit diesem Glauben lägen sie offensichtlich falsch.

Viele Eltern tracken ihre Kinder auch aus Sorge vor sexuellen Übergriffen. Doch die meisten dieser Straftaten geschehen im sozialen Nahraum, in der Familie oder in einem Verein.

Kommt hinzu: Eltern, die aufs Tracking vertrauen, verlernen, zusammen mit dem Nachwuchs Regeln festzusetzen. Und sie diskutieren mit ihren Kindern auch nicht mehr über Unsicherheiten, Gefahren und Vorsichtsmassnahmen. Die Folge: Sie treffen zusammen mit ihrem Nachwuchs keine gemeinsamen verbindlichen Abmachungen mehr.

Der bessere Schutz und viel wichtiger als eine Smartwatch oder eine App, die das Kind auf Schritt und Tritt überwacht, ist ein vertrauensvolles und offenes Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Dazu gehören auch Abmachungen und Regeln für den digitalisierten Alltag, die man gemeinsam aushandelt und die für beide gelten.

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