«Der Winter ist speziell für Hexen»
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Direktorin des Hexenmuseums:«Der Winter ist speziell für Hexen»

Von Weihnachten bis zur Verfolgung – eine moderne Hexe erzählt
«Aberglauben ist Teil unserer Kultur»

Während drei Jahrhunderten wurden in der Schweiz Menschen als Hexen hingerichtet. Dennoch nennt sich Wicca Meier-Spring eine moderne Hexe. Die Direktorin des Hexenmuseums Schweiz spricht über ihre Faszination für alte Bräuche und was wir daraus lernen können.
Publiziert: 17.12.2022 um 17:29 Uhr
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Aktualisiert: 17.12.2022 um 20:44 Uhr

Blick: Frau Meier-Spring, Sie bezeichnen sich als Hexe …
Wicca Meier-Spring: Ich nenne mich eine moderne Hexe. Es ist ein riesiger Unterschied zu dem Bild, das im Mittelalter, in der frühen Neuzeit, entstand. Ich erforsche die Hexerei seit über 30 Jahren. Um sie wirklich zu verstehen, gab es eigentlich nur einen Weg: Selbst eine Hexe werden. So weiss ich, wovon ich spreche.

Was verstehen Sie unter moderner Hexerei?
Die moderne Hexerei soll eine Perspektive der Mystik sowie Ehrfurcht gegenüber Natur, dem Leben und den energetischen Kräften dieser Welt ermöglichen. Es geht schlussendlich darum, aus unserer alltäglichen Welt herauszutreten.

War das etwas, von dem Sie bereits als Kind geträumt hatten?
Ich glaube, als Kind haben alle ihre Fantasien und mystischen Vorstellungen. Ich hatte sehr spannende Eltern, wir waren viel gereist. Daher lernte ich von klein auf sehr viele Kulturen kennen, war in vielen Ländern, traf auf viele Religionen und war dabei immer sehr interessiert an den Menschen. Und natürlich auch an Mystik, Ritualen und Bräuchen. Ich hatte eine spezielle Jugend.

Wicca Meier-Spring ist Direktorin des einzigen Hexenmuseums im deutschsprachigen Raum. Das Museum thematisiert Brauchtümer, Aberglaube und die Hexenverfolgung in der Schweiz.
Foto: Zamir Loshi
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«Ich erfüllte als Kind alle Klischees der kleinen Hexe.»
Wicca Meier-Spring
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Inwiefern?
Ich erfüllte alle Klischees der kleinen Hexe. Auf Anraten meines Vaters führte ich ein Traum-Tagebuch. Er sagte immer, ich könne nur so sicher sein, was Traum und was Wirklichkeit ist. Dazu pflegte er verletzte Vögel. Also lebte ich mit Adlern, Raben und Eulen am Waldrand. Dabei lernte ich sehr viel über die Tiere, die Natur und die Medizin. Ich realisierte nicht, dass alle Leute im Dorf dachten, wir seien eine schräge Familie.

Wie begannen Sie sich für Hexerei zu interessieren?
Als ich noch jung war, fand ich kaum ein Buch über Hexerei. Heute gibt es in Buchläden ganze Regale dazu. Damals haben sie dich bloss schräg angeschaut, wenn du in einer Buchhandlung danach gefragt hast. Vieles war sowieso nur auf Englisch oder Lateinisch verfügbar. Ich fand aber, dass es ein Thema ist, das die ganze Welt betrifft. Hexerei existiert nicht nur in den Märchen der Gebrüder Grimm.

Wicca Meier-Spring (55)

Wicca Meier-Spring ist Direktorin des einzigen Hexenmuseums im deutschsprachigen Raum. Sie studierte in England, Irland und den USA zu Paganismus, Kosmologie und Hexerei. 2009 eröffnete sie das Hexenmuseum, damals noch in Auenstein AG. Seit 2018 liegt es im Schloss Liebegg in Gränichen AG. Es gibt Einblick in die Geschichte von Schweizer Bräuchen, Volksglauben und Traditionen. Zudem thematisiert das Museum die Hexenverfolgung, die zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert stattfand. 2020 wurde es für den European Museum Award nominiert.

Neben dem Museum führt Meier-Spring Kurse und Seminare durch. Ebenfalls arbeitet sie als Hexenforscherin, Buchautorin sowie Referentin.

Wicca Meier-Spring, Direktorin des Hexenmuseums auf dem Schloss Liebegg.
Zamir Loshi

Wicca Meier-Spring ist Direktorin des einzigen Hexenmuseums im deutschsprachigen Raum. Sie studierte in England, Irland und den USA zu Paganismus, Kosmologie und Hexerei. 2009 eröffnete sie das Hexenmuseum, damals noch in Auenstein AG. Seit 2018 liegt es im Schloss Liebegg in Gränichen AG. Es gibt Einblick in die Geschichte von Schweizer Bräuchen, Volksglauben und Traditionen. Zudem thematisiert das Museum die Hexenverfolgung, die zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert stattfand. 2020 wurde es für den European Museum Award nominiert.

Neben dem Museum führt Meier-Spring Kurse und Seminare durch. Ebenfalls arbeitet sie als Hexenforscherin, Buchautorin sowie Referentin.

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Wieso gründeten Sie ein Museum und keinen Hexenzirkel?
Mir geht es nicht darum, Hexerei anzuwenden. Ich will sie verstehen. Dafür musste ich dennoch dorthin, wo sie gelehrt wird. Sprich, nach England in einen alten, traditionellen «Coven», also Hexenzirkel.

Durch die Hexenprozesse starben in der Schweiz über 10'000 Menschen, …
Sie sind nicht gestorben, die hat man gefoltert und getötet!

… wobei sich die meisten davon selbst nicht Hexen nannten.
Weil sie gar nicht wussten, was eine Hexe ist. Es war ein konstruiertes Bild, das durch verschiedene historische und kulturelle Aspekte entstand. Die frühe Neuzeit war turbulent: Aufgrund des Beginns der Kleinen Eiszeit schneite es plötzlich auch im Sommer, es folgten Hungersnöte, die Pest, der Dreissigjährige Krieg, und dann spaltete sich auch noch die Kirche auf. Also erfand man das Bild der bösen Frau, die aus Ungläubigkeit einen Pakt mit dem Teufel einging. Plötzlich konnte man alles erklären, was in Europa passierte.

Der Begriff Hexe war diffamierend. Wie kann man sich heute noch so nennen?
Wie wäre es damit, etwas weiter zurückzuschauen als auf das Bild, das in der frühen Neuzeit konstruiert wurde? Als die Hexe noch eine Person war, die den Menschen und Tieren half, mit der Natur in Verbindung war und niemandem schaden wollte.

Glücklicherweise sind nun bereits über 200 Jahre vergangen, seit die letzte Hexe in der Schweiz getötet wurde.
Dennoch gibt es Hexenjagden. Es wurde einfach zum politischen Begriff. Und wenn man jemanden als Hexe bezeichnet, ist sicher nicht eine charmante, liebe Person gemeint. Es bleibt ein Schimpfwort.

Hexen in der Schweiz

Bereits in der Antike entwickelte sich das Bild der kräuterkundigen Zauberin. Im frühen Mittelalter waren es sogenannte «Kräuterhexen», die Rituale durchführten, Geister vertrieben und medizinisches Wissen besassen. Das Wort Hexe entstammt dem althochdeutschen Wort «hagazussa»: ein mystisches Wesen, das zwischen den Lebenden und den Toten wandelt.

Aufgrund der Kleinen Eiszeit sowie schwerer Gesellschaftskrisen wandelte sich der Begriff im Heiligen Römischen Reich. Ende des 15. Jahrhunderts veröffentlichte der Inquisitor Heinrich Kramer den «Hexenhammer», der das neuzeitliche Bild der Hexe vom Sündenbock zementierte. Das Buch avancierte zum Bestseller – bis Ende des 17. Jahrhunderts wurden über 30’000 Exemplare gedruckt. Es diente als Leitfaden der Hexenverfolgung. In der Schweiz wurden rund 10’000 Menschen als Hexen gefoltert und hingerichtet. 1782 wurde mit Anna Göldi die letzte Frau getötet, die in der Schweiz der Hexerei beschuldigt wurde. Erst 2008 wurde sie durch die Glarner Regierung rehabilitiert.

Bereits in der Antike entwickelte sich das Bild der kräuterkundigen Zauberin. Im frühen Mittelalter waren es sogenannte «Kräuterhexen», die Rituale durchführten, Geister vertrieben und medizinisches Wissen besassen. Das Wort Hexe entstammt dem althochdeutschen Wort «hagazussa»: ein mystisches Wesen, das zwischen den Lebenden und den Toten wandelt.

Aufgrund der Kleinen Eiszeit sowie schwerer Gesellschaftskrisen wandelte sich der Begriff im Heiligen Römischen Reich. Ende des 15. Jahrhunderts veröffentlichte der Inquisitor Heinrich Kramer den «Hexenhammer», der das neuzeitliche Bild der Hexe vom Sündenbock zementierte. Das Buch avancierte zum Bestseller – bis Ende des 17. Jahrhunderts wurden über 30’000 Exemplare gedruckt. Es diente als Leitfaden der Hexenverfolgung. In der Schweiz wurden rund 10’000 Menschen als Hexen gefoltert und hingerichtet. 1782 wurde mit Anna Göldi die letzte Frau getötet, die in der Schweiz der Hexerei beschuldigt wurde. Erst 2008 wurde sie durch die Glarner Regierung rehabilitiert.

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Sind Sie religiös?
Religiös bedeutet für mich, sich an ein festes Glaubenssystem zu binden und zu hoffen, dass du nach dem Tod erlöst wirst. Ich versuche im Leben so viel Gutes zu machen, dass ich nicht darauf warten muss. Ich bin nicht ungläubig, aber auch nicht religiös.

Aber Sie feiern Weihnachten?
Ja, klar. Ich feiere das Julfest, Weihnachten – den Moment der Wintersonnenwende. Ich freue mich auf diese Zeit.

Im Winter treffen religiöse Traditionen auf alte Brauchtümer. Weshalb?
Der Zeitpunkt wird bereits seit Tausenden Jahren gefeiert oder rituell begangen. Winter war früher für die Leute eine Hungerzeit. Die Sonnenwende, die um den 21. Dezember stattfindet, war daher essenziell. Die längste Nacht hatten sie nun hinter sich, die Sonne, und damit auch die Wärme, kam zurück. Das wurde von nachfolgenden Religionen übernommen. Aus dem geschmückten Julbaum wurde irgendwann der Christbaum.

Das Christentum hat die heidnischen Feiertage sozusagen gekapert.
Die acht Feiertage, die vier Sonnen- und die vier Mondfeste, gibt es schon lange. Die christliche Kirche merkte, dass das Volk bei ihren Bräuchen nicht wirklich mitmachen wollte. Also haben sie alle in bestehende Feiertage verpackt – mit Erfolg. Selbst die drei Könige basieren auf einem alten Brauch. Weihnachten hiess vor dem Christentum auch Mutternacht. Drei sogenannte «Beten» zogen durch das Dorf, segneten die Häuser und brachten Essen. Heute ziehen Christen von Haustür zu Haustür, segnen und beschriften sie. Man übernahm den Brauch und änderte die Bedeutung. Wichtig ist vor allem, dass es nun drei Männer sind.

Soll das moderne Hexentum auch ein Symbol des Feminismus sein?
Viele moderne Frauen nennen sich aus feministischen Gründen Hexen. Aber es ist schwierig, das so einzugrenzen. Sobald eine Frau in ihrer Kraft steht und einen eigenen Willen hat, wird sie relativ schnell als Feministin eingeordnet. Es ist wichtig, diese alten Traditionen zu bewahren, denn Frauen wurden lange verehrt: Der Göttinnenkult ist bereits 60'000 Jahre alt, das Christentum knapp 1700. Wir Frauen wurden für einige Zeit verdrängt, nach und nach kommen wir aber wieder zurück.

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«Junge Leute interessieren sich oft nicht mehr, woher unsere Bräuche und Gewohnheiten kommen.»
Wicca Meier-Spring
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Sie bieten auch Kurse an. Sie vermitteln dort doch eher altertümliche Bräuche.
Was verstehen Sie unter altertümlichen Bräuchen?

Es geht um Räuchern, Runen und Tarot. Das ist schon sehr gegensätzlich zur aktuellen, rationalen Auffassung vieler Leute.
Was man im Museum findet, will ich auch vermitteln. Das mache ich mit Kursen, an Hochschulen, mit Referaten. Es geht ja schlussendlich um Geschichte. Gerade ihr jungen Leute interessiert euch oft gar nicht mehr, woher eigentlich unsere Bräuche und Gewohnheiten kommen. Und dann findet ihr solche Kurse eben altertümlich. Warum stossen wir im Neujahr mit den Gläsern an?

Ich weiss es nicht.
Machen Sie es?

Ja, natürlich.
Ach, wie altertümlich. Früher wurde geglaubt, dass im Moment, in dem man das Maul aufreisst, ein Dämon reinspringt. Dieser übernimmt dann den Besitz des Körpers. Der einzige Weg, um das zu verhindern, sei, klirrende Geräusche zu machen. Solche Dinge erkläre ich an den Kursen. Woher kommt es? Warum machst du es noch? Was ist die Geschichte dahinter? Denn wenn die Antworten auf diese Fragen vergessen gehen, dann verlieren Gestiken und Worte ihre Bedeutung.

Viele dieser Bräuche sind Ausdruck von Unwissen und Aberglauben. Was ist für Sie der Unterschied zwischen Aberglauben und Glauben?
Aberglauben ist für viele Leute ein Begriff für etwas, das wider des Glaubens ist. Aber Aberglauben ist eben auch ein anderes Wort für Volksglauben. Ihm haben wir all unsere Traditionen zu verdanken. Er ist ein wichtiger Teil der Kultur eines Volkes und unterscheidet ein Volk vom anderen. Glauben ist das, was jeder privat als göttliche Erlösung oder seine Religion sieht. Das ist dann eine rein persönliche Sache.

Sehen Sie den Menschen grundsätzlich als abergläubisch?
Der Aberglaube kommt mit den Traditionen. Wir haben immer noch Maskottchen, verwenden alle weiterhin Talismane und Glücksbringer.

Aber niemand nennt sie noch so.
Nein, es war halt «schon immer so». Ich bin stets verblüfft, wenn ich beispielsweise Rafael Nadal zuschaue, wie er immer dieselbe Schrittfolge vor einem Aufschlag ausführen muss. Das ist sein Aberglauben. Roger Federer sagt dagegen, er sei nicht so abergläubisch – aber seine Wasserflaschen müssen dann doch immer gleich dastehen. Sind es Rituale? Ist es Aberglauben? Ist es Tradition? Schlussendlich ist es auch ein Geschäftsmodell: Wir haben heutzutage so viele Versicherungen für den Fall eines Falles, den wir nie erlebt haben und erleben werden. Die Leute hatten dafür früher einen Talisman, einen Glücksbringer oder ein Hufeisen. Hinzu kommt der Tod. Wir sind geboren, um zu sterben, wollen uns aber mit dem Thema partout nicht auseinandersetzen – aus Angst, es könnte real werden. Ich denke, so ist es für viele auch bei der Hexerei.

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