Ernährungssicherheit oder Umweltverschmutzung?
Glyphosat – welche Landwirtschaft brauchen wir?

Nachdem Bundesrätin Doris Leuthard im Dezember 2017 verkündete, den Grenzwertwert von Glyphosat im Wasser um das 3600-fache erhöhen zu wollen, kochten die Gemüter. Am Unkrautvernichter scheiden sich die Geister. Doch wie sähe eine Landwirtschaft ohne Glyphosat aus?
Publiziert: 22.01.2018 um 15:20 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 16:08 Uhr
Werner Vontobel

Verursacht das Herbizid Glyphosat Krebs? Die Frage ist umstritten, aber es gibt noch viele andere gute Gründe, Glyphosat zu verbieten. Zum Beispiel weil die Böden – die Grundlage unserer Ernährung - geschädigt werden. Zugegeben, Glyphosat hat auch Vorteile. Es ist billig und zeitsparend. Einmal im Frühjahr spritzt der Bauer alles tot, was auf dem Feld sprießt - Disteln, Unkraut, Gräser.

Glyphosat tötet ein Enzym, das für die Photosynthese wichtig ist. Dann ist alles «sauber». Pflügen wird überflüssig. Nun sät der Landwirt. Am besten natürlich Saatgut, das durch gentechnische Veränderung gegen Glyphosat unempfindlich ist. Weil Säugetiere nicht auf Photosynthese angewiesen sind, gilt Glyphosat als für Menschen unschädlich, zumindest im Vergleich zu anderen Herbiziden, die zudem auch leichter ins Grundwasser geraten.

Biologische Landwirtschaft könnte neun Milliarden Menschen ernähren

Fakt ist, dass unsere moderne industrielle Landwirtschaft weitgehend auf dem Einsatz des 1971 von Monsanto erfundenen Glyphosat beruht. Bisher sind etwa 10 Millionen Tonnen davon versprüht worden. Ein Verzicht würde einen deutlich höheren Arbeitsaufwand erfordern die landwirtschaftlichen Produkte – nach Meinung von Monsanto massiv - verteuern. Allerdings gehen auch dazu die Meinungen auseinander. Ein neue Studie des Forschungsinstituts für biologischen Landbau, FIBL, in Frick zeigt etwa, dass auch eine biologische (gen- und glyphosatfreie) Landwirtschaft neun Milliarden Menschen ohne viel Mehraufwand ernähren könnte. Dies zumindest dann, wenn wir etwas weniger Fleisch konsumieren würden.

Käme es zur Umsetzung des Erhähungsplans von Bundesrätin Leuthard, dürften die Schweizer Bauern ein Vielfaches an Glyphosat in die Landschaft spritzen. Doch ist das wirklich eine nachhaltige Lösung für die Schweizer Landwirtschaft?
Foto: Thinkstock Images

Bisher dreht sich die Diskussion vor allem um die Frage, ob die in der Nahrung und im Trinkwasser vorkommenden Glyphosat- Reste beim Menschen Krebs verursachen oder nicht. Die Meinungen gehen - wie erwartet - auseinander. Bis sich Glyphosat beim Menschen, also gleichsam am anderen Ende der Nahrungskette, so auswirkt, dass man es beweisen kann, dauert es. Vielleicht sollte man erst einmal nachsehen, was vor Ort passiert, auf den Ackerböden, auf denen das Glyphosat schon ein paar Jahre lang das Unkraut vernichtet.

Umweltschützer alarmiert über «Giftcocktails»

Der Unkrautvernichter Glyphosat, der «wahrscheinlich krebserregend» ist, erregt die Gemüter. In dieser aufgeladenen Situation steuert das Bundesamt für Umwelt sogar noch eine Lockerung des Grenzwerts an. Hier weiter lesen.

Umstrittener Unkrautvernichter: Auch Roundup enthält Glyphosat.
Unkrautvernichter Glyphosat
Reuters

Der Unkrautvernichter Glyphosat, der «wahrscheinlich krebserregend» ist, erregt die Gemüter. In dieser aufgeladenen Situation steuert das Bundesamt für Umwelt sogar noch eine Lockerung des Grenzwerts an. Hier weiter lesen.

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Glyphosat verschlechtert Bodenqualität drastisch

Genau das hat Dr. Günter Neumann, Professor für Kulturpflanzenwissenschaften an der Uni Hohenheim gemacht. Ergebnis: Auf Feldern, die seit vielen Jahren mit Glyphosat behandelt wurden, treiben die Nutzpflanzen deutlich weniger Wurzeln. Eine genauere Untersuchung zeitigte genetische Veränderungen. Die Pflanzen waren weniger stressresistent und ihre Fähigkeit, Wasser aufzunehmen war reduziert.

Die Folge waren Ernteausfälle von 50% bis zum Totalausfall. Auch Düngen half nichts. Diese Schäden treten aber erst nach zwei bis drei Jahren auf und sind auf die verschlechterte Bodenqualität zurückzuführen. Kein Wunder, Glyphosat ist auch für Mikroorganismen tödlich. Ein weiteres Problem sind Unkräuter, die eine Resistenz gegen Glyphosat entwickelt haben. In den USA sollen schon 34 Millionen Hektar Ackerland von solchen Unkräutern überwuchert worden sein.

Glyphosat auch für Säugetiere gefährlich

Dass auch Säugetiere unter Glyphosat leiden können, zeigen Beobachtungen bei Mastschweinen. Je mehr Glyphosat-Rückstände im Futter, desto höher die Zahl der Fehlgeburten und Missbildungen, und umso öfter litten die Mutter- und Jungtiere an Durchfall. Als Grund dafür konnte eine Veränderung der Darmflora eruiert werden. Glyphosat tötet nützliche Darmbakterien und sorgt so dafür, dass sich die schädlichen umso besser vermehren können. Das gilt natürlich auch für den menschlichen Darm.

Kommt dazu, dass die dank Glyphosat rentabel gewordenen riesigen Monokulturen Schmetterlingen, Vögel und Insekten die Lebensgrundlage raubt. Bienen sind gleich doppelt geschädigt. Schon kleinste Mengen von Glyphosat beeinträchtigen nämlich ihren Orientierungssinn. Auch den Menschen fällt die Orientierung offenbar zunehmend schwer, sonst würden wir uns nicht kleinlich darüber streiten, ob Glyphosat auch noch Krebs verursacht. Die Frage ist vielmehr, mit welcher Art von Landwirtschaft wir unser Überleben sichern können.

Glyphosat in unserem Essen

230 Proben von Schweizer Lebensmitteln nahm das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit.

40 Prozent der vom BLV untersuchten Proben wiesen Spuren des Pflanzengiftes auf.

300 Tonnen des Herbizids kommen jährlich in der Schweiz zum Einsatz.

0 Prozent der Proben überschritten die zulässigen Höchstwerte des Bundes.

230 Proben von Schweizer Lebensmitteln nahm das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit.

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300 Tonnen des Herbizids kommen jährlich in der Schweiz zum Einsatz.

0 Prozent der Proben überschritten die zulässigen Höchstwerte des Bundes.

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Streit um Krebsrisiko bei Glyphosat

Der Unkrautvertilger Glyphosat ist das weltweit meist eingesetzte Herbizid. Allerdings besteht seit Jahren der Verdacht, dass das Mittel Krebs auslösen könnte – trotzdem ist es weltweit im Handel, auch in der Schweiz.

Die EU prüft derzeit Hinweise auf die Gefährlichkeit von Glyphosat. Das Mittel ist deshalb nur provisorisch zugelassen. Demnächst will die europä­ische Aufsichtsbehörde es für weitere zehn Jahre bewilligen – die Schweiz wiederum macht ihre Glyphosat-Zulassung vom EU-Entscheid abhängig.

«Grob fehlerhaft»

Doch nun erhebt der US-Experte für Chemiesicherheit, Chris­toph Portier, neue Vorwürfe an die Zulassungsbehörden der EU. Das Krebsrisiko sei von ihnen «grob fehlerhaft» eingeschätzt worden. So seien nur wenige der bei Tierversuchen tatsächlich aufgetretenen Krebserkrankungen in die Be­urteilung eingeflossen, so Por­tier. Die EU-Chemikalienagentur will ihren Entscheid zur Zulassung trotzdem bald kommunizieren.

Die Schweiz macht ihre Glyphosat-Zulassung vom EU-Entscheid abhängig
Die Schweiz macht ihre Glyphosat-Zulassung vom EU-Entscheid abhängig

Der Unkrautvertilger Glyphosat ist das weltweit meist eingesetzte Herbizid. Allerdings besteht seit Jahren der Verdacht, dass das Mittel Krebs auslösen könnte – trotzdem ist es weltweit im Handel, auch in der Schweiz.

Die EU prüft derzeit Hinweise auf die Gefährlichkeit von Glyphosat. Das Mittel ist deshalb nur provisorisch zugelassen. Demnächst will die europä­ische Aufsichtsbehörde es für weitere zehn Jahre bewilligen – die Schweiz wiederum macht ihre Glyphosat-Zulassung vom EU-Entscheid abhängig.

«Grob fehlerhaft»

Doch nun erhebt der US-Experte für Chemiesicherheit, Chris­toph Portier, neue Vorwürfe an die Zulassungsbehörden der EU. Das Krebsrisiko sei von ihnen «grob fehlerhaft» eingeschätzt worden. So seien nur wenige der bei Tierversuchen tatsächlich aufgetretenen Krebserkrankungen in die Be­urteilung eingeflossen, so Por­tier. Die EU-Chemikalienagentur will ihren Entscheid zur Zulassung trotzdem bald kommunizieren.

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