Ein Tag im Waschsalon
Saubere Sache

Waschsalons gehören nicht wirklich zur Schweizer Kultur. Doch es gibt sie. Unsere Autorin nahm in einem Platz und hat mit Kunden gesprochen. Ein Schleudergang durch die Gesellschaft.
Publiziert: 12.04.2021 um 07:37 Uhr
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Aktualisiert: 16.04.2021 um 15:15 Uhr
Silvia Tschui

Können Sie sich an die coole Levi's-Jeans-Werbung Mitte der 1980-Jahre erinnern? Der Typ, der in einen US-Waschsalon kommt und sich bis auf die Unterhosen auszieht, um unter den Blicken etlicher ziemlich beeindruckter Damen seine Jeans zu waschen, ist ins kulturelle Gedächtnis eingegangen – zumindest bei der Generation Ü40 und weiblich. So ists bei uns im Waschsalon leider nicht ganz. Aber trotzdem sehr interessant.

Unser Grund: Flöhe

Nicht, dass in der Schweiz Waschsalons eine grosse Tradition hätten – im Land der Waschküchenschlüssel und Waschpläne in Mietshäusern ist der Bedarf nicht wahnsinnig gross. In Zürich gibt es gerade mal zwei. Aber vorhanden ist er, der Bedarf, wie ein eigenes Beispiel zeigt: Als unser Büsi eines Tages Flöhe heimbringt (Einschub: Ja, wir haben das Büsi eigentlich regelmässig vorbeugend behandelt. Falls Sie Büsibesitzer sind: Kaufen Sie die Chemiekeule vom Tierarzt, nicht das Wiesenfeldundblüemli-Zeugs aus dem Qualipet. Sie werden mir danken: Wenn man sie erst mal hat, bringt man die Viecher nämlich kaum mehr los, und all die zunehmend verzweifelten Massnahmen, die wir treffen mussten, würde den Platz des ganzen SonntagsBlick Magazins sprengen. Deshalb: Tierarzt. Chemiekeule. Gern geschehen. Zweiter Einschub: Wir haben alles, was wir in die Wäscherei gebracht haben, vorher für 48 Stunden in grossen Plastiksäcken in unserer Gefriertruhe eingefroren und dann rausgestellt. Wir haben also keine lebenden Flöhe in die Wäscherei gebracht. Einschub Ende.) Item, als das Büsi eines Tages Flöhe heimbringt, müssen wir unsere gesamten Textilien bei über 60 Grad waschen – inklusive Vorhänge etc. Das schafft unsere Waschmaschine unmöglich in nützlicher Zeit. Insbesondere, da wir so ein neues Energiespar-Waschmaschinenmodell haben, bei dem ein Waschgang gefühlte hundert Stunden dauert. Das führt das ganze Konzept der Waschmaschine etwas ad absurdum, da es ja eigentlich um Zeiteinsparung gehen würde und man so, wie in grauer Vorzeit, von Hand fast schneller wäre. Aber das ist ein anderes Thema.

Von der Sonnenseite bis zum Schatten

Ein Tag im Waschsalon öffnet einem jedenfalls die Augen. Ein Waschsalon ist nicht nur Dienstleistung, sondern für manche wohl auch ein Stück Heimat, ein Rückzugsort, ein sozialer Treffpunkt. Es ist einer der wenigen Orte in der Schweiz, an dem Menschen, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen, mit Menschen zusammentreffen, die vom Schicksal weniger begünstigt worden sind.

Andrea Campanile ist in der Wäscherei, weil ihre Waschmaschine den Geist aufgegeben hat. Ausgerechnet am Wochenende.
Foto: Thomas Meier
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Es ist einfach, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen – jemanden zu finden, der aber in der Zeitung von sich erzählen will, ist schwierig. Andrea Campanile (51) macht sofort mit. Die Wienerin ist hier, weil ihre Waschmaschine den Geist aufgegeben hat. Sie ist Anwaltsgattin und steht im wahrscheinlich massgeschneiderten Deuxpièces in der Wäscherei. Ihren Mann, ein in der Schweiz aufgewachsener Italiener und Finne, hat sie vor rund zwanzig Jahren an einem Wiener Ball kennengelernt, seit 18 Jahren ist sie hier. Mittlerweile gehen ihre vier Kinder im Alter von 23 bis 12 Jahren hier in die Schule, machen Matura oder studieren – die Tochter etwa in Wien. An Österreich vermisst sie die Offenheit der Menschen – es sei schwieriger, mit Schweizern Freundschaft zu schliessen, die meisten ihrer Freundinnen seien Expats oder die Frauen von Freunden ihres Mannes. Aber landschaftlich wolle sie es hier nicht mehr missen.

Weniger Glück hat eine andere Frau, die zwei Stunden in der Wäscherei sitzt und sehr gern von sich erzählt – in der Zeitung mit Namen und Bild stehen will sie aber nicht. Die Leute seien gemein zu ihr, auch die im Mietshaus in Zürich-Schwamendingen, in dem sie lebt. Sie traue sich deshalb nicht in die Waschküche, und auch nicht in die Zeitung, wenn die Leute im Haus das lesen würden … Und auch ihr Beistand sei bestimmt nicht einverstanden, wenn sie in der Zeitung käme. Und ob wir überhaupt die Erlaubnis zum Fotografieren hätten, hier stehe ja gross, dass man nicht fotografieren dürfe, und sie werfe jetzt dann die Kamera des Fotografen auf die Strasse.

Das Geschäft läuft wegen Corona mies

Wir dürfen natürlich fotografieren. Wir haben den Geschäftsführer der Wäscherei vorher gefragt. Er leitet die zwei Salons in Zürich, die seit 25 Jahren existieren. In normalen Zeiten seien sie Fenster zur Welt: «Es kommen Chinesen, Inder, auch Amerikaner, Touristen, oft solche, die eine Europa-Städtereise machen und zwischendrin halt waschen kommen. Und ja, auch sozial Benachteiligte kommen», sagt er, «aber bei weitem nicht nur.» Jetzt, in der Corona-Zeit, sei das Geschäft, das auch sonst nur ein Nebenerwerb sei, mies. «Die Salons tragen sich noch knapp selber», bedauert der Geschäftsführer, «wenn die Krise noch lange dauert, kann ich zumachen.»

Das wäre für viele Menschen eine Katastrophe. Denn es sind bei weitem nicht nur Obdachlose, die im Salon für eineinhalb Stunden, so lange wie ein Wasch- und Trocknungsvorgang dauert, ein warmes Dach und videoüberwachte Sicherheit finden und, ja, auch das, manchmal in Ruhe ihren Billig-Prosecco kippen. Sondern es zeigt sich im Gespräch mit diversen Menschen, dass unsere gutschweizerische Waschtag- und Waschschlüssel-Tradition in diversen Mietkomplexen an ihre Grenzen stösst. «Ach, die Frauen, die im selben Haus wohnen, waschen zu jeder Tag- und Nachtzeit», sagt etwa ein Mann mit welschem Akzent, der bei Fehraltorf arbeitet. Mehr will er nicht preisgeben, und auch er will nicht in die Zeitung: «Meine Arbeitskollegen würden mich bis zur Pension damit aufziehen!» Auch zwei junge Studentinnen, die in einer WG wohnen und ebenfalls mit ihrem Waschtag nicht durchkommen, wollen auf keinen Fall ins Bild: «Es haftet ein bisschen ein soziales Stigma daran, in die Wäscherei zu müssen. Ausserdem hab ich die Haare nicht gewaschen», sagt eine der beiden.

Unterschwelliger sozialer Treffpunkt

Was aber auffällt: Wenn es nicht darum geht, in der Zeitung zu erscheinen, sind die Leute gesprächig und erzählen bereitwillig aus ihrem Leben. So etwa der Mann, der sowohl deutsche als auch russische, englische und französische Gedichtbände sowie Werke der Philosophie dabeihat. Mathematiker sei er gewesen, in St. Petersburg aufgewachsen, bis eine nicht näher bezeichnete Erkrankung das einst erfolgreiche Leben aus der Bahn geworfen habe. Und ein älterer Herr sagt leise zu mir, den wahrscheinlich Obdachlosen, der sich mit dem billigen Prosecco betrinke, sehe er zum ersten Mal, und er geniesse sonst die Gespräche mit all den verschiedenen Menschen, die hier sind – es kämen oft zur selben Zeit dieselben. Ein Waschsalon dient eben nicht nur der äusseren Hygiene: Auch mancher Seele tut es gut, hier einen Bezugspunkt zu anderen zu finden und in einem gut gewarteten, sauberen, warmen Raum beim beruhigenden Stampfen der Maschinen ins Gespräch kommen zu können. Psychohygiene sozusagen.

Sollte die Krise noch viel länger andauern und Salons tatsächlich zumachen müssen, steht deshalb nicht nur auf dem Spiel, dass Menschen nicht mehr waschen können, sondern vielmehr auch eine niederschwellige, aber wichtige soziale Institution.


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