Egal, ob er bleibt oder geht
Keine guten Aussichten für Bundesrat Cassis

Seine Kollegen haben ihn diese Woche mit dem Neutralitätsbericht auflaufen lassen. Einmal mehr.
Publiziert: 11.09.2022 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2022 um 22:18 Uhr
Camilla Alabor

Wenn ein Bundesrat einem leidtut, ist das kein gutes Zeichen. Doch die Nonchalance, mit welcher der Gesamtbundesrat Aussenminister Ignazio Cassis und dessen Neutralitätsbericht diese Woche abblitzen liess, sorgte selbst in Bundesbern für Mitleid. Cassis, aufgelaufen – schon wieder? Cassis, der Isolierte; Cassis, der Politiker ohne politisches Gespür: Die Erzählung ist abgenutzt. Sie ist deswegen nicht weniger wahr. Denn obwohl der Tessiner davor gewarnt wurde, den Bericht auf die Traktandenliste zu setzen, hielt er daran fast.

Wer nun mit dem Finger auf den FDP-Bundesrat zeigt, macht es sich allerdings zu einfach. In einer Regierung, die den eigenen Kollegen dermassen vorführt, herrscht offensichtlich kein gutes Arbeitsklima. Auch die Frage der Neutralität ist nicht erledigt, nur weil Cassis’ Bericht in einer Schublade verschwindet. Ein Neutralitätskonzept, das aus dem Jahr 1993 stammt, ist fraglos aus der Zeit gefallen.

Dennoch muss sich Cassis die Frage stellen: Was kann er als Bundesrat überhaupt noch erreichen? Im wichtigsten Dossier, der Europapolitik, zeichnet sich kein Ende der Blockade ab. Und die Stimmung im Gesamtbundesrat dürfte sich, je näher die Wahlen rücken, kaum verbessern.

Und so steht der FDP-Politiker vor einem fast unlösbaren Dilemma. Tritt Cassis bei den Gesamterneuerungswahlen 2023 zurück, ist sein Leistungsausweis – aller Voraussicht nach – ziemlich bescheiden. Tritt er nochmals an, riskiert er die Blockade in der Aussenpolitik zu verlängern. Für Cassis sind beides keine guten Aussichten.

Soll sich die Schweiz in Sachen Neutralität neu positionieren? Aussenminister Ignazio Cassis ist es nicht gelungen, seine Kollegen im Bundesrat davon zu überzeugen.
Foto: keystone-sda.ch
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