BLICK auf die USA: US-Korrespondent Nicola Imfeld über Donald Trumps Schweigen zu seinen 100'000 Corona-Toten
Was Sind Sie bloss für ein Präsident?

Jede Woche schreibt USA-Korrespondent Nicola Imfeld in seiner Kolumne über ein Thema, das jenseits des Atlantiks für Aufsehen sorgt. Heute geht es um Donald Trumps Schweigen zu seinen 100'000 Corona-Toten.
Publiziert: 29.05.2020 um 09:05 Uhr
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Aktualisiert: 14.08.2020 um 12:39 Uhr
Nicola Imfeld aus San Diego (USA)

Mr. Trump, was sind Sie bloss für ein Präsident, Familienvater, Amerikaner? Ihr Land hat diese Woche die traurige Marke von 100'000 Corona-Toten erreicht. Das sind 100'000 Menschenleben, Millionen von trauernden Angehörigen und Milliarden von vergossenen Tränen. Und was tun Sie? Sie starten eine Privatfehde mit Twitter, weil das soziale Netzwerk einen ihrer Tweets als Fake News entlarvt hat. Zu den Angehörigen, die auch wegen ihrem Missmanagement ihre Liebsten verloren haben, sagen Sie kein Wort. Ihr Schweigen ist sinnbildlich für ihre Präsidentschaft: empathielos, egoistisch, zerstörerisch

Warum Corona alle anderen Trump-Skandale überstrahlt

Donald Trump (73) ist nicht schuld am Ausbruch des Coronavirus in den USA. In unserer globalisierten Welt war es nur eine Frage der Zeit, bis Covid-19 auch in Amerika grassieren würde. Aber es besteht keinen Zweifel daran, dass der US-Präsident mitverantwortlich ist für die Katastrophe, die diese Pandemie in Amerika angerichtet hat.

Klar: Trump und Katastrophe im gleichen Satz – das ist nichts neues und gab es schon vor Corona zu Genüge. Schliesslich ist Trump der Präsident der Skandale: Russland öffentlich zur Wahleinmischung einladen, einen Pornostar zuerst bedrohen und dann Schweigegeld bezahlen oder impeached werden wegen Machtmissbrauch – Trump hat schon längst Bingo!

Foto: Zvg
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Aber seiner Rolle in der Corona-Krise gebührt besondere Aufmerksamkeit. Alles andere ist zwar hochgradig relevant und besorgniserregend zugleich. Doch nichts kommt menschlich an die miese Rolle heran, die Donald Trump jetzt in der Corona-Krise spielt. Die Übersicht:

1. Perfides Herunterspielen

Monatelang spielte Trump die Gefahren herunter. Er prophezeite: Corona werde im April «wie durch ein Wunder» verschwinden. Er beschuldigte: Corona sei ein «Schwindel» von den Demokraten und den Medien. Er meinte: Corona sei weniger schlimm als die Grippe. Das Perfide an alledem: Trump wusste genau, wie gefährlich das Coronavirus ist. Er wurde bereits im Januar intern mehrfach gewarnt. Er konnte die Entwicklung in Europa Ende Februar mitverfolgen. Er sah Anfang März, wie die Wall Street in ihre schlimmste Krise seit der grossen Depression 1929 rutschte.

2. Lügen, Lügen, Lügen

Jeder Amerikaner könne heute schon einen Corona-Test machen, versicherte Trump Anfang März. Das gleiche wiederholte er Tag für Tag, Woche für Woche an seinen Pressekonferenzen. Doch es stimmte nicht, wie Überprüfungen von US-Medien und die zahlreichen Berichten von betroffenen Menschen zeigten. Erst im Mai haben die USA die nötigen Testkapazitäten erreicht.

Ex-Präsident Barack Obama (58) hätte ihm zu wenige und kaputte Corona-Tests hinterlassen, sagte Trump im März. Doch Covid-19 ist – wie der Name es schon sagt – eine Krankheit aus dem Jahr 2019. Barack Obama verliess das Weisse Haus im Januar 2017. Es gibt nur eine Zusammenhang zwischen den beiden US-Präsidenten in dieser Pandemie: Trump hat sämtliche Experten von Obamas Pandemie-Reaktionsbüro im Jahr 2018 entlassen und durch seinen Schwiegersohn, Jared Kushner (39), ersetzt.

Wegen der Corona-Pandemie wächst die Sorge, dass die US-Wahlen im November in Gefahr sein sollten. In vielen Bundesstaaten können die Menschen nicht per Brief abstimmen und sind gezwungen, an die Urnen zu gehen. Gerade für die Risikogruppe könnte das Wahrnehmen ihrer demokratischen Pflichten so zum Todesurteil werden. Also diskutiert man in Amerika darüber, sämtlichen Bürgerinnen und Bürger eine Briefwahl zu ermöglichen. Aber Trump wehrt sich dagegen. Sein Argument: Briefwahlen sollen «erwiesenermassen» zu Wahlbetrug führen. Die Demokraten wollen «die Wahlen stehlen», so der US-Präsidenten. Die Fakten: Nur in 0,0003 Prozent der Fällen kommt es in Amerika zu Fehlern oder Manipulationen. Ein verschwindend kleiner Wert, der den Ausgang der Wahlen nicht beeinflussen würde.

3. Tödliches Spiel mit der Maske

Wer eine Gesichtsbedeckung trägt, schütz sein Umfeld. Das ist der Stand der Wissenschaft. Deshalb hat Trumps Gesundheitsbehörde bereits Anfang April allen Amerikanern offiziell empfohlen, eine Gesichtsbedeckung in der Öffentlichkeit zu tragen. Gerade der US-Präsident müsste in seiner Vorbildrolle pingelig auf das Tragen einer Schutzmaske achten. So wie der Fussballer des Dorfvereins nicht vor den Junioren eine Zigarette rauchen sollte. Doch Trump pfeift darauf. Seine Ausrede: Er würde eine falsche Botschaft an das Volk aussenden, trüge er eine Maske. Was falsch daran sein soll, sich um das Wohl seiner Mitmenschen zu kümmern, bleibt Trumps Geheimnis.

Zuletzt verspottete er sogar seinen Herausforderer Joe Biden (77), weil dieser bei einer Gedenkveranstaltung eine Schutzmaske trug. Der US-Präsident teilte ein Foto auf Twitter mit der Überschrift: «Dies könnte helfen zu erklären, warum Trump in der Öffentlichkeit nicht gerne eine Maske trägt.» Ein dummer Witz auf Kosten von Menschenleben. Denn es sind vor allem Trumps Anhänger, die auf eine Gesichtsbedeckung verzichten. «Wenn mein Präsident keine trägt, warum sollte ich dann eine tragen», sagte ein College-Student an einem Strand in Florida vergangene Woche in die TV-Kameras.

4. Schweigen

Seit Mittwochabend (Ortszeit) also haben die USA eine neue, traurige Marke geknackt: 100'000 Corona-Todesopfer – als erste Nation in dieser Welt. Das sind mehr Tote als in vier grossen amerikanischen Kriegen – Vietnam, Korea, Irak, Afghanistan – zusammen. Aber Donald Trump hat es in den letzten 24 Stunden nicht für nötig gehalten, auch nur ein Wort über diesen Meilenstein zu verlieren. Er schweigt. Es ist ein lautes Schweigen. Gebrochen erst am Donnerstagabend auf grossen Druck hin – auch aus den eigenen Reihen – mit einem Tweet und einer Beileidsbekundung.

Mr. Trump, es würde mich nicht überraschen, wenn die Amerikaner Sie am 3. November wieder wählen würden. Sie sind ein Meister des Wahlkampfs. Und den Demokraten fiel in vier Jahren nichts besseres ein, als Ihnen den 77-jährigen Joe Biden vom Establishment gegenüberzustellen. Trotzdem würde es mich aber sehr wohl erstaunen, sollten meine amerikanischen Freunde einem solch unfähigen und herzlosen Präsidenten wie Ihnen vier weitere Jahre im Weissen Haus vertrauen.

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