Kolumne «Meine Generation» über die Zuhausebleib-Fantasie
Lieber mehr Zeit als Geld

Kolumnistin Noa Dibbasey denkt über die Abscheu vor einem Arbeitsalltag und das Zuhausebleiben nach.
Publiziert: 24.04.2023 um 06:40 Uhr
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Noa DibbaseyKolumnistin

Mit grossen Kulleraugen beäugt mich das kleine Ding aus dem Kinderwagen. Es ist schon verdammt herzig. Dieses Baby. In mir macht sich ein mulmiges Gefühl breit. Man hatte mich vorgewarnt. Immer wenn ich eine ausschweifende Tirade über all die Nachteile des Kinderkriegens abhielt («In diese Welt möchte ich niemanden aussetzen!») haben sie mir Uterusklopfen prophezeit, sobald ich Miniatur-Händchen und Babystrampler sehe.

Ganz gewachsen würde ich mich der Aufgabe noch nicht fühlen. Wie auch? Ich kann nicht mal die Steuererklärung ohne mein Mami ausfüllen. Und ohne jegliches Gefühl des Erwachsenseins mag ich irgendwie noch kein Kind aus mir herauspressen. Trotzdem scheint mir die schmerzhafte Idee näher denn je. Schliesslich tauchen überall in meinem Umfeld Babybäuche auf. Zwar weiss ich nie so recht, wie reagieren – war das nun geplant oder ein Versehen? Glücklich sehen die werdenden Mamis aber allemal aus.

Beim Anblick dieser kugelrunden und strahlenden Menschen komme ich ins Tagträumen. Ein trautes Heim, die beiden Kinder spielen friedlich im Garten, während mir mein Mann auf dem Sofa die Füsse massiert. Ich muss nie, nie wieder zur Arbeit, weil ich – warte mal kurz!

«Beim Anblick dieser kugelrunden und strahlenden Menschen komme ich ins Tagträumen.»
Foto: Getty Images

Habe ich mir gerade gewünscht, Hausfrau zu sein? Keiner bezahlten Arbeit mehr nachgehen zu müssen. Darf man das laut ausschreiben? Das ist ja wohl die grösstmögliche Respektlosigkeit gegenüber all den Frauenrechtlerinnen, die jahrelang für unsere Emanzipation gekämpft haben!

Doch ganz allein mit diesen Gedanken bin ich nicht. Nicht selten tausche ich mich mit Freundinnen und Freunden (ja, auch Männer träumen vom Hauspapi-Dasein) beschämt über die Zuhausebleib-Fantasien aus. Dabei geht es nie darum, veraltete Geschlechternormen wieder rauszukramen oder arbeitende Mütter negativ darzustellen.

Vielmehr liegt hinter der Tagträumerei die Abscheu vor einem Arbeitsalltag im Spätkapitalismus. Wir wollen dieses System nicht länger durch schlecht bezahlte Arbeit befeuern. Uns stehen alle Türen offen und doch ist keine Option wirklich zufriedenstellend – alles wirkt sinnlos. Den ganzen Tag in einem grauen Büro zu verbringen, um dort eine Hamsterrad-Arbeit zu verrichten, nur um am Abend unzufrieden nach Hause zu trotten und die letzten freien Stunden des Tages mit einem Bier vor der Kiste zu verbringen. Nicht mit uns.

Es sind Gedankenspiele und Romantisierungen. Das ist uns allen bewusst. Spannend daran ist, dass diese «an die Spitze der Karriereleiter»-Mentalität in meiner Generation schwindet. Dass wir zufrieden damit sind, wenig Geld, dafür umso mehr Zeit zu haben. Ich verstehe, dass ältere Semester dies als faul oder verwöhnt wahrnehmen – so hart haben sie geackert, um uns ein besseres Leben zu ermöglichen. Aber es ist meine Generation, die entscheiden muss, wem sie Rechenschaft schuldig ist: der Vergangenheit oder den kommenden Babys in all den kugelrunden Babybäuchen.

Noa Dibbasey (21) studiert an der Universität Bern Sozialwissenschaften. Sie schreibt jeden zweiten Freitag im Blick.

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