Milena Moser
Happy End mit Sonnenuntergang

Es muss an der Anteilnahme der Leserinnen und Leser liegen oder vielleicht auch an Victors manchmal unerklärlichem, aber immer wieder erwiesenem Glück im Unglück. Jedenfalls hat sich der Impfneid, den ich letzte Woche beschrieben habe, in Wohlgefallen aufgelöst.
Publiziert: 14.02.2021 um 09:48 Uhr
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Aktualisiert: 10.03.2021 um 17:29 Uhr
Schriftstellerin Milena Moser mit ihrem Mann Victor. Sie schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben und ist die Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Das schöne Leben der Toten».
Foto: zVg
Milena Moser

Das Telefon klingelte, als ich mir gerade zum hundertsten Mal das Video aus Oregon anschaute. Ein Team von Pflegefachpersonen steckte nach seiner Schicht in einer Impfklinik im Schneesturm fest. Kurzentschlossen stiegen sie aus, um den anderen wartenden Automobilisten die unaufhaltsam vor sich hin tauenden Impfdosen zu verabreichen. Und ich überlegte mir tatsächlich, ob und wie ich eine solche Situation herbeiführen könnte, ich recherchierte mobile Impfkliniken und Verkehrsknotenpunkte in der Umgebung. Ja. Im vollen Ernst. Das Vertrauen in das bestehende System muss schon ziemlich tief sinken, bevor man solche Szenarien in Erwägung zieht. Doch so ist es nun mal: Die Sorge um einen geliebten Menschen weckt nicht nur ungeahnte Kräfte, sondern eröffnet auch ungeahnte Abgründe. Und ein bisher ungekanntes Mass an Irrationalität.

Während ich also sinnlos im Netz herumsurfte, strich mein Mann, der Stoiker, unverdrossen das Schlafzimmer. In einem kühlen, dunklen Rosa, einer Farbe, die besonders beruhigend wirken soll. Gefängniszellen werden in diesem speziellen Ton gestrichen. Ich hinterfragte seine Farbwahl nicht, und ich nahm sie auch nicht persönlich. Im Gegenteil. Ich legte mich unter die halbfertig gestrichene Zimmerdecke, um zu prüfen, ob es schon wirkte.

Und dann, wie gesagt, klingelte sein Telefon. Die Uniklinik, die eben noch verkündet hatte, sie könne leider vorläufig keine Impftermine mehr vereinbaren, hatte nun plötzlich doch einen für Victor. Das Gewicht, das von mir fiel, erschütterte das ganze Haus. Ein Wunder, dass es keinen Krater hinterliess.

Wenige Tage später fuhren wir viel zu früh und aufgeregt wie Kinder in die Klinik. Mein Kopf war voll von verstörenden Bildern: von Wartenden, die nach stundenlangem Schlangestehen erschöpft zusammenbrechen. Von radikalen Impfgegnern, die den Zugang zur Klinik blockieren. Doppelbuchungen und falsch berechneten Dosen, von Patienten, die nach stundenlangem Warten ungeimpft nach Hause geschickt werden. Von Chaos und Gedränge. Doch nichts von all dem traf zu. Der ganze Prozess verlief so ruhig und reibungslos, als sei er vorsorglich in dunklem Pink gestrichen worden. Von den reservierten Gratisparkplätzen über die gut markierten Pfade bis zur geduldigen und nahtlosen Betreuung. Victor hatte einen der letzten Termine an diesem Tag bekommen. Diese Tatsache hatte uns mit zusätzlicher Hoffnung erfüllt, schliesslich hatten wir gehört, dass am Ende eines Tages manchmal einzelne Dosen übrig blieben, die dann ohne grosses Aufheben verteilt wurden, bevor sie ihre Wirkung verloren. Ich hatte mich schon gefragt, ob wir nicht einfach vor Ladenschluss in Apotheken herumlungern sollten. Aber dabei hatte ich immer an Victor gedacht, nicht an mich. Die Vorstellung, dass der rare Impfstoff so willkürlich verabreicht wurde, empörte mich. Und doch … hätte ich etwa abgelehnt, wenn er nun mir angeboten würde? Er wurde nicht, und ehrlich gesagt bin ich ganz froh, dass mir diese moralische Prüfung erspart blieb.

Als wir keine halbe Stunde später wieder vor der Klinik standen, hing dieses unwirkliche Abendlicht über der Stadt, diese Ahnung eines Sonnenuntergangs, wenn die Nebelschwaden die Farbpracht dämpfen. Mit anderen Worten: Der Himmel war rosa.

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