Milena Moser
Liebeskummer lohnt sich doch, My Darling ...

Eine der schönsten Liebesgeschichten der letzten Jahre ist zu Ende gegangen. Oder vielleicht auch nicht. Nicht für immer. Wer kann das so genau wissen – ich bestimmt nicht!
Publiziert: 04.10.2021 um 09:31 Uhr
Milena Moser

Vielleicht erinnern Sie sich, ich habe sie hier beschrieben: die Geschichte von Vicky und Chris, die sich drei Wochen vor dem ersten Lockdown in einer Bar kennenlernten. Sie kam gerade vom Arzt, der die Diagnose bestätigt und den Operationstermin festgelegt hatte. Chris stand neben ihr an der Theke. Er gefiel ihr, mit dem halblangen Haar, den Tätowierungen, dem Konzert-T-Shirt einer Band, die sie auch mochte. Unter anderen Umständen hätte sie mit ihm geflirtet. So sagte sie nur:

«Hey. Ich bin Vicky, und ich habe Krebs.» Und stürzte den ersten Shot Tequila runter. Doch er liess sich nicht abschrecken.

«Ich kenne dich, ich hab dich hier schon gesehen», sagte er. Bisher hatte er sich einfach nicht getraut, sie anzusprechen. Doch an diesem Abend redeten sie, und hörten nicht auf zu reden. Und als Vicky drei Wochen später operiert wurde, exakt an dem Tag, an dem der Lockdown begann, und ihr ganzes, sorgsam geplantes Betreuungsgerüst einstürzte, zog er kurzerhand bei ihr ein. Sie überstanden die Krebsbehandlung, das überstürzte Zusammenleben in ihrer kleinen Wohnung und mit ihrer eifersüchtigen alten Katze. Die erste Verliebtheit wurde von den Nebenwirkungen der Chemotherapie überschattet, von sozialer Isolation, von finanziellen Sorgen, von Problemen, die auch gestandene Paare in die Knie zwingen.

Milena Moser hat aus vergangenem Liebeskummer einiges gelernt.
Foto: Getty Images
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Schwierig wurde es erst, als es einfacher wurde. Als Vicky sich erholte, als die Massnahmen gelockert wurden, sie beide wieder Arbeit hatten, vielleicht zu viel Arbeit. Verpflichtungen, Freunde, Familie. «Die Welt ist in unsere Idylle eingebrochen», sagt Vicky jetzt. Sie sitzt neben mir auf der Parkbank und weint, ich halte ihre Hand. Ein bisschen hab ich mich über ihren Anruf gewundert. So gut kennen wir uns gar nicht.

«Meine Freundinnen hassen ihn jetzt», sagt sie. «Aber das hilft mir nichts.» Es gibt keinen Bösewicht, keinen Schuldigen. Es gibt nur das Leben.

«Ich hab dich angerufen, weil ich deine ... deine ...» Sie stottert und zögert. «... deine Weisheit brauche.» Weisheit?

«Die Perspektive einer älteren Frau», stelle ich klar.

«So wollte ich es nicht ausdrücken», murmelt sie verlegen. Warum nicht? Ich bin nicht beleidigt, im Gegenteil. Weisheit ist ein grosses Wort. Und Erfahrung ist nichts anderes als das, was einem das Leben so hingeworfen hat. Und wie man damit umgegangen ist. Die Essenz des Überstandenen. Ich denke an einen lang vergangenen Sommer, als ich in Vickys Alter war oder noch jünger. Ich sass bei Freunden im Garten und weinte. Um einen Mann. Da bildete sich ein Halbkreis um mich, und meine Freundinnen sangen mehrstimmig den alten Schlager: «Liebeskummer lohnt sich nicht, My Darling! Schade um die Tränen in der Na-hacht ...» Ich weiss noch, dass ich lachen musste und trotzdem nicht aufhören konnte zu weinen. Und so denke ich jetzt, der Liebeskummer damals und alle folgenden haben sich durchaus gelohnt. Und um die Tränen in der Nacht ist es auch nicht schade. Sie haben mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin. Eine, die man anrufen kann, wenn man Liebeskummer hat. Nicht weil ich viel Gescheites zu sagen hätte, sondern ganz einfach, weil ich noch da bin. Weil ich mich erholt habe. Und weil, wie es der Schlager verspricht, «mein Herz wieder lacht».

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