Sie fragen, ETH-Präsident Joël Mesot antwortet
Kann man die Energie von Blitzen speichern?

Joël Mesot, Martin Vetterli und Michael Hengartner sind so etwas wie die obersten Wissenschaftler der Schweiz. In einer neuen Rubrik stellen sie sich den Fragen der Leserinnen und Leser rund um die Wissenschaft.
Publiziert: 27.07.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 09.06.2023 um 11:47 Uhr
Joël Mesot

Wenn ich einen Blitz sehe, denke ich oft: Könnte man diese Energie oder auch nur einen Teil davon ein- oder auffangen und irgendwie speichern, hätten wir ausgesorgt. Ist die Energie von Blitzen erforschungswürdig, oder ist es heute einfach noch unmöglich, ein Speichermedium zu erfinden, das solch eine gewaltige Energie aufnehmen könnte? Claudia Isenegger

Joël Mesot: Gewitter mit Blitz und Donner sind ein eindrückliches Naturphänomen, das uns gerade während des aktuellen Hitzesommers immer wieder zum Staunen bringt. Die Zeiten, in denen die Menschen einen Blitz als Strafe erzürnter Götter interpretierten, sind – zum Glück – vorbei. Heute wird in der Forschung immer mal wieder diskutiert, ob man sich die Energie, die in Blitzen entladen wird, irgendwie nutzbar machen kann. Aber für Anwendungen auf einer Skala, die für die Energieversorgung interessant wäre, sieht es wenig versprechend aus. Leider.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zunächst erreicht nur ein Bruchteil der Blitzenergie die Erde. Und auch dieser Anteil ist enorm schwierig zu nutzen, weil in sehr kurzer Zeit sehr grosse Ströme fliessen. Schliesslich lässt sich kaum vorhersagen, wann und wo Blitze einschlagen.

Aber fangen wir mit dem Energiegehalt eines einzelnen Blitzes an. Dieser ist kleiner, als man denkt: ein paar Hundert Kilowattstunden. Ein typischer Schweizer Haushalt verbraucht ein paar Tausend Kilowattstunden Strom pro Jahr. Auf der Erde kommen beim Blitzeinschlag aber nur ein paar Kilowattstunden an. Der Rest verpufft im Blitzkanal als Wärme und Licht. Selbst dann, wenn wir die gesamte Energie einsammeln könnten, die in einem Blitzeinschlag auf der Erde frei wird, würde dies gerade mal reichen, um ein paar Stunden Haare zu föhnen.

Dies mag überraschen, da Blitze ja eine enorme Zerstörungskraft entfalten können. Das ist so, weil ihre Energie in einem Bruchteil einer Sekunde freigesetzt wird. Als Vergleich: Ein grosser Feuerwerkskörper ist zwar eindrücklicher als ein Teelicht, aber das Teelicht gibt über seine Lebensdauer rund hundertmal mehr Energie ab.

Ein Energiespeicher für Blitze müsste also mit sehr hohen Stromspitzen klarkommen. Herkömmliche Speicher sind hier nicht geeignet. Es gibt Ideen, wie man das elektrische Potenzial nutzen könnte, um Wasser zu spalten – um so Wasserstoff zu gewinnen, den man speichern und später nutzen könnte. Aber in die Praxis umgesetzt wurde meines Wissens keine davon, und mit heutiger Technik ist dies wohl kaum machbar.

Dann kommt die Frage, wie viele Blitze wir überhaupt anzapfen könnten. In der Schweiz ist der Säntis der Ort mit den meisten Blitzeinschlägen, mit rund 100 pro Jahr. Die Verteilung über das Jahr ist aber, wie zu erwarten, ungleichmässig. Die meisten Einschläge gibt es im August, aber kaum welche im Winter. Für einen Energiespeicher bedeutet dies, dass er nach hohen anfänglichen Investitionskosten überwiegend auf Stand-by wäre.

Es gibt zwar Möglichkeiten, Blitze zu «provozieren», etwa mit Raketen, Flugzeugen oder auch leistungsstarken Lasern. Gerade Letzteres ist wissenschaftlich interessant, aber mit einem Blick auf Energiegewinnung sehr aufwendig und teuer. Und Gewitterwolken braucht es trotzdem – Blitze aus heiterem Himmel kann man auch so nicht produzieren. Daneben gibt es natürlich auch metallische Strukturen, die als Blitzableiter dienen. Aber diese gezielt zur «Ernte» von Blitzen einzusetzen, wäre unpraktikabel, wie entsprechende Berechnungen gezeigt haben.

Kurzum, während es eine Reihe an interessanten Forschungsfragen rund um Blitze gibt, scheint eine breitere Nutzung zur Energiegewinnung beim jetzigen Stand der Technik unwahrscheinlich.

Ein Blitz hat zwar viel Energie, doch nur ein Bruchteil davon erreicht die Erde. Und auch dieser Anteil ist enorm schwierig zu nutzen.
Foto: IMAGO/Dominik Kindermann

Mit bestem Dank an Prof. Christian Franck von der ETH Zürich für seinen wertvollen Input.

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