Michael Hengartner, Chef des ETH-Rats, beantwortet Fragen
Warum wirft man nicht recycelbaren Müll nicht in Vulkane?

Joël Mesot, Martin Vetterli und Michael Hengartner sind so etwas wie die obersten Wissenschaftler der Schweiz. In ihrer Rubrik stellen sie sich den Fragen der Leserinnen und Leser rund um die Wissenschaft.
Publiziert: 18.05.2022 um 10:36 Uhr
Michael Hengartner

«Weshalb schmeisst man den Abfall, der nicht recyclingfähig fähig ist, nicht einfach in einen Vulkan zurück?» – Christian Widmer

Lieber Herr Widmer

Auf den ersten Blick scheint Ihre Idee verblüffend einfach. In die «Vulkan-Kehrichtverbrennungsanlage» (VKVA) mit dem Zeug, und weg ist es! Klingt gut, funktioniert aber nicht. Und zwar aus mehreren Gründen.

Der Mount Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa. Abfälle hier hineinwerfen? Nicht unbedingt die beste Idee.
Foto: ASSOCIATED PRESS

1. Passende Vulkane sind ziemlich abgelegen. Aktive Vulkane mit offenen Lavaseen, in die man überhaupt etwas hineinwerfen könnte, finden sich nur an wenigen, meist abgelegenen Orten, zum Beispiel in Nicaragua, Hawaii, Äthiopien, Vanuatu, Kongo, der Antarktis und den südlichen Sandwich-Inseln. Damit löst man also weder das Abfallproblem der Schweiz noch das anderer Industrienationen.

2. Beim Verbrennen von Abfällen entstehen schädliche Gase. Bei herkömmlichen Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) können diese herausfiltriert werden. Bei VKVA wäre das kaum möglich.

3. Abfall in einen Lavasee zu «werfen», ist nicht so einfach, wie es klingt. Vieles würde nicht schmelzen, sondern explodieren. Kommt dazu, dass aktive Vulkane generell nicht die sicherste aller Umgebungen darstellen.
Das allerwichtigste Argument gegen die Vulkane als Abfallentsorger ist aber ein anderes: Wir können es besser! In unseren KVA muss sich niemand vor Explosionen fürchten, und gefährliche Gase werden mit moderner Technologie sofort wieder herausgefiltert. Im Weiteren sind unsere KVA eigentliche Kraftwerke. Mit der Hitze, die beim Verbrennen entsteht, beliefern sie Fernwärmeverbünde und helfen so, ganze Quartiere und Ortschaften zu heizen.

Seit kurzem sind im Limmattal eine KVA und eine Kläranlage so verbunden, dass mit der Hitze aus der Verbrennung auch Strom produziert wird. Mit diesem wird Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff getrennt. Letzteren verarbeiten Mikroorganismen mithilfe von CO2, das bei der Klärschlammvergärung entsteht, zu Biomethan. Dieses ist chemisch betrachtet wie Erdgas – aber CO2-neutral. Diese sogenannte Power-to-Gas-Anlage hat den Vorteil, dass sich Biogas in grossen Mengen leicht speichern lässt. Man kann also die im Sommer produzierte Energie im Winter nutzen, wenn viel Energie gebraucht wird und Solar- oder Wasserkraft weniger Strom produzieren.

Aus unserem einfachen Hauskehricht lassen sich zudem auch wertvolle Rohstoffe zurückgewinnen. Immer mehr KVA streben an, Metalle vor und nach der Verbrennung vom Abfall zu trennen und wiederzuverwerten. So ist die Konzentration an Gold in der Restschlacke nach der Verbrennung oft sogar höher als im Erz in der Goldmine! Die Infrastruktur für solche Trennungsanlagen ist zwar teuer, langfristig gesehen aber sicher eine sinnvolle Investition – insbesondere für ein rohstoffarmes Land wie die Schweiz.

Sie sehen also: Abfälle sind wertvoll – wenn man sie richtig nutzt. Es wäre also schade, sie einfach so in Vulkane zu werfen.

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