Sie fragen, ETH-Präsident Joël Mesot antwortet
Warum löst die Wissenschaft das Energieproblem nicht?

Joël Mesot, Martin Vetterli und Michael Hengartner sind so etwas wie die obersten Wissenschaftler der Schweiz. In einer neuen Rubrik stellen sie sich den Fragen der Leserinnen rund um die Wissenschaft.
Publiziert: 23.03.2022 um 08:12 Uhr
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Aktualisiert: 28.03.2022 um 13:49 Uhr
Joël Mesot

Eine Hausaufgabe der Menschheit ist die Gewinnung und Speicherung grosser Energiemengen. Die Politik möchte aus der Kernenergie aussteigen und auf eine nachhaltige Energieproduktion setzen. Warum hat die Wissenschaft es noch nicht geschafft, das Energieproblem zu lösen? Gibt es einen Silberstreifen am Horizont? Manuel Zweifel

Joël Mesot: Die kurze Antwort ist, dass es für die grundlegenden Probleme von der wissenschaftlichen Seite her schon Lösungen gibt. Aber der Wandel ist ein komplexer Prozess.

In der Tat wurde mit der Energiestrategie 2050 beschlossen, dass wir in der Schweiz aus der Kernenergie aussteigen sowie erneuerbare Energien ausbauen und Energie effizienter nutzen wollen. Um die damit verbundenen Herausforderungen zu veranschaulichen, lassen Sie mich einen Vergleich mit der Impfung gegen das Coronavirus ziehen. Dort wurde unter höchst aussergewöhnlichen Umständen sehr schnell eine Lösung gefunden. Aber im Prinzip waren alle Entwicklungsschritte – von der Grundlagenforschung bis zur Immunisierung – früh klar und die Kosten nicht unmittelbar relevant (weil es galt, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern). Somit war die Entwicklung der Impfstoffe ein relativ linearer Prozess.

Anders bei der Energiefrage, die sämtliche Bereiche unseres privaten und wirtschaftlichen Lebens betrifft und wo bestehende, fossile Technologien ersetzt werden müssen. Hier ist der Weg von Innovationen zur Verbreitung neuer Technologien deutlich komplexer. Bei der Stromproduktion ist sicherlich die Photovoltaik der Silberstreifen, und hier sind Lösungen bereits auf dem Markt. Gemeinsam mit der guten alten Wasserkraft wird die Solarenergie in der Schweiz die Elektrifizierung der Verkehrs- und Heizungssysteme – also Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen – antreiben.

Da Produktion und Verbrauch nicht parallel verlaufen, braucht es Lösungen zur Speicherung. Der Klassiker hier sind die Pumpspeicherkraftwerke, aber Batterien haben sich stark weiterentwickelt, auch hier dank Forschung und dem Aufbau von entsprechenden Industrien. An der ETH und im ETH-Bereich, wie auch weltweit, wird unermüdlich weitergeforscht, an sämtlichen Aspekten, von der Elektrochemie über Materialien bis zur Geräteintegration. Mit Spin-off-Firmen kommen viele dieser Innovationen auch relativ schnell auf den Markt, zum Beispiel durch die Firma Battrion, die Batterien entwickelt, die sich schneller laden lassen.

In Sektoren, die sich schwerer elektrifizieren lassen, wie die Stahlproduktion oder die chemische Industrie, können fossile Brennstoffe durch den sauberen Energieträger Wasserstoff ersetzt werden. Auch hier sind die erforderlichen Grundlagen vorhanden, etwa um diesen durch Elektrolyse klimafreundlich zu produzieren. Aus so hergestelltem Wasserstoff können auch nachhaltige Flugzeugtreibstoffe synthetisiert werden, zusammen mit CO2, das sich aus der Luft abscheiden lässt. Die ETH-Spin-offs Climeworks und Synhelion leisten hier Pionierarbeit.

Aber auch die dezentrale Produktion und Speicherung von Energie erfordert neue Ansätze. Dazu kommen die politischen Rahmenbedingungen und Anreize für die Wirtschaft. Denken Sie an die Investitionskosten für die Infrastruktur, die für die Produktion erneuerbarer Energien notwendig sind, den Stromhandel über unsere Grenzen hinweg oder an die Cybersicherheit. Schliesslich entscheiden wir auch über unser Portemonnaie, in welchem Tempo und Ausmass wir ein nachhaltiges Energiesystem bauen. Die Bausteine dazu sind vorhanden.

Mit bestem Dank an Prof. Tobias Schmidt, Dr. Christian Schaffner und Prof. Thomas J. Schmidt von der ETH Zürich für ihren wertvollen Input.

Joël Mesot über die Behebung von Energieproblemen – und welche Lösungen es von der wissenschaftlichen Seite schon gibt.
Foto: imago images/Jürgen Held
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