Thomas Meyer rät zu mehr Ehrlichkeit in Beziehungen
Wir sind unehrlich, weil wir uns schonen wollen

Warum sind wir in Liebesbeziehungen oft unehrlich zueinander? Wäre nicht genau da Ehrlichkeit am meisten angezeigt?
Publiziert: 20.03.2021 um 11:46 Uhr
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Aktualisiert: 09.04.2021 um 14:01 Uhr
Thomas Meyer

Ehrlichkeit ist eine feine Sache, aber sie hat einen gewichtigen Nachteil: Sie schafft unverzüglich neue Realitäten. Wenn man wirklich ehrlich mit jemandem spricht, gibt es kein Zurück mehr. Sagt man einem Freund, dass man seine Lebensführung missbillige, oder seinem Partner, dass man ihn nicht mehr so attraktiv finde und ausserdem ein Auge auf einen anderen Menschen geworfen habe, läuft man beträchtliche Gefahr, diese Menschen zu brüskieren, sich einiges anhören zu müssen und schliesslich allein dazustehen. Und auch wenn einem dieses Ergebnis möglicherweise nicht mal unwillkommen ist: Der Prozess ist es durchaus.

Man will Menschen, die man gernhat, nicht verletzen, und – das ist vermutlich der noch stärkere Antrieb – man will nicht, dass Menschen einen nicht mehr gernhaben. Dieser kombinierte Unwille ist der direkte Feind der Ehrlichkeit, und darum sind wir in Liebes- und anderen Beziehungen so oft unaufrichtig – weil es eben intime Beziehungen sind.

Hier, wo sie mit einem Satz so viel verändern kann, fällt uns die Ehrlichkeit am schwersten. Wir haben ja nur schon im Restaurant Mühe, der Bedienung zu sagen, das Essen habe nicht geschmeckt – kein Wunder, versinken wir in eisernes Schweigen, wenn es um wirklich Ernsthaftes geht. Eigentlich geht es in dieser Diskussion aber nur um Feigheit, und mit den noblen Hinweisen auf Liebe, Rücksicht und Beziehungserhalt verkleiden wir sie bloss. Wir sind unehrlich, weil wir uns schonen wollen, das ist der einzige Grund.

Thomas Meyer, Autor.
Foto: Thomas Meier

Die Dinge, die wir verschweigen, sind ja real, und auch wenn man nicht jede ungünstige Gewichtsveränderung des Partners protokollieren muss, gibt es doch manches, das einfach gesagt werden muss – weil das Verschweigen langfristig noch viel ärgere Konsequenzen haben wird. Nämlich die Entfremdung in alle Richtungen.

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