Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
In der Renaissance trug man hautenge und knallbunte Kleider

«Kleider machen Leute», schrieb einst der Schweizer Schriftsteller Gottfried Keller (1819–1890). Doch seit wann und warum Leute modische Kleider machen, zeigt dieses Buch auf anschauliche Weise.
Publiziert: 14.06.2022 um 09:11 Uhr
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Corona-Kilos zeichnen sich jetzt deutlich ab: Wegen häufigeren Zwischenmahlzeiten und selteneren Bürogängen während des Homeoffice haben viele an Gewicht zugelegt, sodass nun der Schmerbauch gegen das Slim Fit Shirt drückt. Die Mode der eng anliegenden Kleidung, die einen leicht schwanger aussehen lässt, ist ausgerechnet eine Errungenschaft der Renaissance, der Wiedergeburt nach dem dunklen Mittelalter zwischen den Jahren 1400 und 1600 nach Christus.

«In der Zeit bis zur Verbreitung sehr viel grosszügiger geschnittener Kleidung in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts sahen sich vor allem Männer mit einer intensiven Wahrnehmung von Körperform und -gewicht konfrontiert», schreibt die im englischen Cambridge lehrende deutsche Historikerin Ulinka Rublack (55). Schamkapseln, die man bis ins späte 16. Jahrhundert hinein trug, bezeichnet die Professorin für die Geschichte der Frühen Neuzeit als «Renaissance-Wonderbra für Männer».

Bei der Lektüre dieses kürzlich erschienenen Buchs mit dem Titel «Die Geburt der Mode» möchte man fast meinen, die Männer seien die ersten Modeopfer gewesen. Und tatsächlich beschreibt Rublack, dass die massgeschneiderte Kleidung beim englischen König Heinrich VIII. (1491–1547) negativ wirkte: «Bei Heinrich kann man seine Verwandlung von einem hübschen Jugendlichen in einen massigen, übergewichtigen Mann genau verfolgen.» Porträt-Betrachtungen mal auf eine andere Art.

Knallbunt und hauteng: Burberry-Modeschau mit Kleidern wie fast aus der Renaissance.
Foto: Keystone

«Seit dem 12. Jahrhundert entwickelte sich in Europa ein grösseres Bewusstsein für und eine intensivere Beschäftigung mit Kleidung», schreibt die Historikerin. Während «Kostüm» oder «Tracht» stabilere Kleidersitten anzeigen, gelangt das Wort «moda» vom Lateinischen ins Italienische. Rublack: «Über ‹mode› im Sinne von neuer Mode sprach man in Frankreich seit dem 16. Jahrhundert.» Im 17. Jahrhundert gelangt sie dann als Begriff
«a-la-mode» in die deutsche Sprache.

Modisch ist die Hose ausgehend von Italien seit dem 15. Jahrhundert, das Hemd seit dem 17. Jahrhundert, wie in der «Universalgeschichte der ganz gewöhnlichen Dinge» nachzulesen ist. Diese schlichten, eng anliegenden Kleider sind ganz im Sinn der Reformation mit dem protestantischen Puritanismus und stehen im Gegensatz zu den weit ausladenden Prunkgewändern der Kleriker. «In Zwinglis Zürich wurden kirchliche Gewänder an die Armen verschenkt», schreibt Rublack.

Es sei aber irreführend, nur auf die gewöhnlich dunklen Kleider zu schauen und daraus den Schluss zu ziehen, dass jetzt ein Zeitalter mit einem wahren Horror vor knalligen Farben bei den europäischen Protestanten Einzug gehalten habe. «Die Kniehosen hatten bei Männern aller Stände oft lebhafte Farben», schreibt Rublack und schliesst: «Textilhistoriker wissen, dass es eine Welt voller Farben war.»

Ulinka Rublack, «Die Geburt der Mode – eine Kulturgeschichte der Renaissance», Klett-Cotta

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