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Kafka: «Ich habe nicht gelebt, ich habe nur geschrieben»

Das haben nicht einmal Goethe und Schiller geschafft, dass ein Adjektiv nach ihnen benannt ist: Im Wort «kafkaesk» existiert der Prager Autor weiter, der sein Leben der Literatur verschrieb und vor 100 Jahren starb.
Publiziert: 14.04.2024 um 16:06 Uhr
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Haben Sie es auch gesehen, das mediale Ereignis dieses Frühjahrs: die sechsteilige TV-Serie «Kafka»? Im Hinblick auf den 100. Todestag des Prager Schriftstellers Franz Kafka (1883–1924) am 3. Juni hat der deutsche Autor Daniel Kehlmann (49) ein poetisches und packendes Lebensporträt geschrieben. Und der Schweizer Schauspieler Joel Basman (34) ist in der Titelrolle zu sehen als verschrobenes Genie, das hinreissend kichert und abstossend Nüsse knabbert. Ein scheinbar lebensfroher Mensch, der des Lebens nicht froh wurde.

«Erst nach seinem Tod 1924 in einem Krankenhaus bei Wien wuchs der Ruhm in der internationalen literarischen Welt ins Unermessliche», schreibt der Deutsche Rüdiger Safranski (79) in seiner unlängst erschienenen Kafka-Biografie. Der Literaturwissenschaftler und Philosoph, der zwischen 2012 und 2014 zur Kritikerrunde des SRF-«Literaturclubs» gehörte, liefert die Begründung für den Nachruhm Kafkas: «In seiner makellosen Prosa fand man die Abgründe des 20. Jahrhunderts gespiegelt.»

Die albtraumartige «Verwandlung» (1915) oder die grausame «Strafkolonie» (1919) machten Kafka für seine zeitgenössischen Autoren wie Rainer Maria Rilke (1875–1926) oder Robert Musil (1880–1942) schon zu Lebzeiten zu einem Visionär. Doch auf dem Totenbett verlangte er, man solle alle nicht veröffentlichten Texte vernichten. Hätte der Nachlassverwalter diesem Ansinnen entsprochen, niemand könnte heute die weltberühmten Romane «Der Prozess» (1925) oder «Das Schloss» (1926) lesen.

Fast im Leben angekommen: Milena Jesenská-Polak (Liv Lisa Fries) und Franz Kafka (Joel Basman) in der TV-Serie «Kafka».

Wer Safranski liest, dem leuchtet ein, wieso Kafka diesen letzten Wunsch hatte: «Ich habe kein litterarisches Interesse sondern bestehe aus Litteratur, ich bin nichts anderes und kann nichts anderes sein», zitiert der Literaturwissenschaftler aus einem Brief des Schriftstellers von 1913. Wenn er stirbt, muss seine Literatur logischerweise ebenfalls sterben, denn, so Safranski: «Das wahrhafte Schreiben ist für Kafka gesteigertes, intensives Leben und nicht nur Lebens-Betrachtung.»

«Um sein Leben schreiben» untertitelt Safranski die Biografie sinnigerweise: Einerseits war das Schreiben für Kafka ein Lebenselixier, andererseits schrieb er um sein Leben herum, denn der schmächtige Mann war ziemlich lebensuntüchtig. So verlobte und entlobte er sich mehrfach, einmal mit Felice Bauer (1887–1960). «Die produktive Phase hatte begonnen, als die Beziehung zu Felice beendet schien, und sie endet, als er beginnt, die Verbindung mit ihr wieder aufzunehmen», schreibt Safranski.

Als Kafka 1919 die tschechische Übersetzerin Milena Jesenská-Polak (1896–1944) in einem Prager Café traf, schien es zu klappen. «Sie verstand sich selbst auch als Literatin, und die Verbindung zu ihm war ja zuallererst eine literarische gewesen», so Safranski. «Literatur war von vornherein das Lebenselixier dieser Beziehung.» Doch sie blieb bei ihrem Ehemann Ernst Polak (1886–1947) und zog sich mehr und mehr von Kafka zurück. Sein Fazit: «Ich habe nicht gelebt, ich habe nur geschrieben.»

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