Auslandschweizer verlassen die USA
Kein Land der Träume

Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Als das waren die USA lange bekannt. Doch das Image von Amerika bröckelt. Das bringt viele Auslandschweizer dazu, das Land zu verlassen.
Publiziert: 01.11.2020 um 10:54 Uhr
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Aktualisiert: 18.11.2020 um 07:19 Uhr
Das Image der USA leidet – auch weil ein «populistischer Republikaner an der Macht ist», sagt der Amerikanist Philipp Schweighauser.
Foto: shutterstock
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Alexandra Fitz

Die USA waren immer ein Ort der Träume. Auch Schweizer glaubten den Versprechen: Goldrausch! Land der unbegrenzten Möglichkeiten! Tellerwäscherkarriere! Unzählige Eidgenossen packten ihre Habseligkeiten und bestiegen einen Dampfer nach Amerika – über 80'000 sollen es allein in den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts gewesen sein. Die Immigranten gründeten Gemeinden wie New Glarus und New Bern.

Hundert Jahre später wählte man als junger Schweizer oder junge Schweizerin das Land für ein Austauschjahr oder zum Studium, man liebte es für seine Musik, für all die Liebesfilme und Sitcoms, für Nationalpärke und aufregende Riesenstädte. Auch als Wahlheimat stehen die Staaten bei Schweizern hoch im Kurs. 2019 lebte ein Viertel aller Auslandschweizer in den USA – insgesamt rund 81'000 Menschen.

Viele denken über Rückkehr nach

Doch in den letzten Jahren veränderte sich das Sehnsuchtsland, das Image bröckelt. Viele haben keine Lust mehr auf die «Neue Welt». Mehr und mehr USA-Schweizer denken dieser Tage daran, den Staaten Lebewohl zu sagen und in ihre alte Heimat zurückzukehren.

Die ASO, die Auslandschweizer-Organisation, verzeichnet seit Ausbruch der Corona-Pandemie mehr und mehr Anrufe besorgter Auslandschweizer. Sie fühlen sich nicht mehr wohl in den USA und denken über eine Übersiedlung in die Schweiz nach.

In der Facebook-Gruppe «Swiss People living in the USA» mit über 2500 Mitgliedern stellt ein Mitglied die Frage: «Zieht jemand in Betracht, aufgrund von Covid oder der aktuellen politischen Lage wieder in die Schweiz zurückzukehren?» Das war letzte Woche. Es hagelt Antworten. Eine rege Diskussion entsteht. 175 Kommentare. Die erste Antwort: «Wir sind seit dem 1. August zurück, es war nicht einfach, aber die richtige Entscheidung für unsere Familie.» Grund: Corona und die Regierung. «Ich bin letzte Woche weggezogen», heisst es im zweiten Kommentar.

Viele schreiben, dass sie es in Erwägung ziehen, einige wollen die Präsidentschaftswahl abwarten und dann entscheiden. Ein Auslandschweizer ist für drei Monate in die Schweiz «geflüchtet». Nun geht er abstimmen und hofft das Beste. Einer mit Biden-Logo im Profilbild sagt: «Wenn er (Trump) wiedergewählt wird, ziehe ich zurück in die Schweiz.» Viele berichten, vier solche Jahre stünden sie nicht nochmals durch. Einige schreiben auch, dass sie schlicht zu lange in den USA leben würden, um an einen Wegzug zu denken.

«Die USA gehen den Bach runter»

Joachim Indermaur ist einer, der zurückwill. Der 36-Jährige lebt derzeit mit seiner Frau und seinem Sohn in Indianapolis im Bundesstaat Indiana. Zuvor wohnte er fünf Jahre in South Carolina. Jetzt ist er kurz davor, das Land zu verlassen. Indermaur hat genug. «Die USA gehen als demokratisches Land den Bach runter», sagt der St. Galler am Telefon.

Der Qualitätsmanager in der Automobilindustrie ist mit der Politik unzufrieden und damit, dass sich die Fronten im Land immer mehr verhärten. Man könne sich kaum mehr über Politik unterhalten. Zu emotional. Sogar mit der Familie seiner amerikanischen Frau gehe es nicht.

Indermaur ist Doppelbürger. Er wollte Amerikaner werden, aber seit ein paar Jahren gehe alles in eine falsche Richtung. Er spricht von College-Schulden, steigenden Versicherungskosten, Arbeitslosigkeit, Protesten und Gewalt. Das alles macht ihm Angst. Seit er einen Sohn hat noch viel mehr. Viele seiner Freunde, auch Ausländer, haben dieselbe Haltung. Ein deutscher Freund ist schon nach Hause zurückgekehrt.

«Die USA schotten sich ab», sagt Joachim Indermaur. Mittlerweile habe sich die Haltung auch gegenüber Ausländern wie ihm selbst merklich verschlechtert. «Die Vereinigten Staaten fühlen sich immer mehr als rassistisches und ausländerfeindliches Land an.» Und ja: «Unter der goldenen Oberfläche gibt es eine düstere Realität.» Die sei vor allem hervorgekommen, als Trump Präsident wurde. Gewisse Familienmitglieder und Freunde kamen nicht an seine Hochzeit. Begründung: «Keine Lust auf die USA.»

Das Image leidet unter einem populistischen Republikaner

«Unsere Wahrnehmung der USA ist extrem geprägt davon, wer Präsident ist», sagt Philipp Schweighauser, Amerikanist an der Uni Basel. Wir Schweizer hätten generell mehr Mühe mit Republikanern. Das sei schon bei Ronald Reagan so gewesen, bei George W. Bush – und bei Trump nun noch extremer. Das negative Bild von Amerika und der Gedanke, dass alles den Bach runtergehe, sei also wiederkehrend. Aber durch Trump habe vor allem die sogenannte Soft Power des Landes gelitten – die Strahlkraft des Landes.

Philipp Schweighauser macht sich Sorgen über den Ausgang der Wahl. Damit ist er nicht allein. Für viele Auslandschweizer entscheidet sich, wo sie in Zukunft leben werden. Joachim Indermaur hat sich schon entschieden. Er verlässt die USA spätestens im März.

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