Miserables Testergebnis für Online-Billigware
Temu verkauft gefährliches Spielzeug

Verschluckbare Kleinteile und überschrittene Grenzwerte: Spielwaren von Temu schnitten bei Tests miserabel ab. Darauf solltest du achten, wenn du beim chinesischen Billighändler bestellst.
Publiziert: 22.05.2024 um 11:08 Uhr
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Aktualisiert: 22.05.2024 um 11:40 Uhr
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Caroline Freigang
Beobachter

Wer beim chinesischen Onlinehändler Temu nach Spielzeug sucht, erhält vom tanzenden Kaktus bis zur Seifenblasenmaschine alles, was das Kinderherz begehrt. Und das häufig zum Spottpreis. Darunter leidet allerdings die Qualität.

Der europäische Spielwarenverband Toy Industries of Europe (TIE) hat 19 Spielzeuge über Temu erworben und geprüft. Keines habe den geltenden Vorschriften für Spielzeug in der EU entsprochen. 18 hätten eine Gefahr für Kinder dargestellt – etwa durch Kleinteile, an denen Kinder ersticken können. Andere hatten scharfe Kanten. Wieder andere enthielten zu viel Halbmetall. Bei einem Schleim-Spielzeug lag der Gehalt des Halbmetalls Bor elfmal über dem gesetzlichen Grenzwert.

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Der chinesische Billig-Onlinehändler steht wegen Spielzeug in der Kritik.
Foto: Shutterstock - Montage: Beobachter

«Das Risiko besteht weiterhin»

Temu teilte mit, man habe alle 19 aufgeführten Produkte nach Erhalt der Testergebnisse entfernt. Zudem sei eine Untersuchung eingeleitet worden. Temu überprüfe die Händler, die auf dem Onlinemarktplatz verkaufen, und kontrolliere die Produkte regelmässig mittels Stichproben.

Ob das reicht? «Nein», sagt Josianne Walpen vom Konsumentenschutz gegenüber dem Beobachter. «Auch wenn Temu die untersuchten Spielzeuge nicht mehr verkaufen sollte – man muss sich bewusst sein, dass wohl weiterhin Hunderte andere gefährliche Produkte im Sortiment sind. Oder neue in raschem Tempo auf den Markt gebracht werden.» Das Risiko, mangelhafte Produkte zu erhalten, bestehe aber bei allen chinesischen Billiganbietern wie etwa auch Shein. 

Hersteller können nicht haftbar gemacht werden

Der Konsumentenschutz fordert verbindliche Standards für diese Produkte, die dann auch durchgesetzt werden. Denn Konsumentinnen und Konsumenten könnten das Angebot momentan gar nicht selbständig beurteilen. «Scharfe Kanten und verschluckbare Teilchen kann man im besten Fall erkennen. Sich ablösende Teile, problematische oder giftige Chemikalien und entflammbare Stoffe hingegen kaum», sagt Walpen. 

Der europäische Spielwarenverband fordert eine Nachbesserung bei der Richtlinie über die Sicherheit von Spielzeug. Denn aktuell können Drittanbieter mit Sitz ausserhalb der EU für die Sicherheit von Spielzeugen nicht haftbar gemacht werden. 

Worauf sollte man achten, wenn man bei Temu bestellt?
  • Der Konsumentenschutz rät davon ab, Waren zu kaufen, die wegen der Inhaltsstoffe oder mangelnder Verarbeitung gefährlich sein könnten – insbesondere Spielwaren, Elektronikgeräte, Kosmetika.

  • Sich über Zollbestimmungen und eventuell anfallende Steuern und Gebühren informieren.

  • Vorsicht bei sehr günstigen Onlineshops mit .ch-Endungen: Meist wird dort dieselbe minderwertige Ware aus China verkauft, jedoch teurer und mit schlechteren Bedingungen für die Konsumentinnen und Konsumenten.

  • Der Konsumentenschutz rät davon ab, Waren zu kaufen, die wegen der Inhaltsstoffe oder mangelnder Verarbeitung gefährlich sein könnten – insbesondere Spielwaren, Elektronikgeräte, Kosmetika.

  • Sich über Zollbestimmungen und eventuell anfallende Steuern und Gebühren informieren.

  • Vorsicht bei sehr günstigen Onlineshops mit .ch-Endungen: Meist wird dort dieselbe minderwertige Ware aus China verkauft, jedoch teurer und mit schlechteren Bedingungen für die Konsumentinnen und Konsumenten.

Beschwerde in der EU eingereicht

In der Schweiz startete Temu im März 2023. Das E-Commerce-Beratungsunternehmen Carpathia schätzt die Umsätze des Marktplatzes hierzulande fürs Jahr 2023 bereits auf 350 Millionen Franken. Zum Vergleich: Den umsatzstärksten Onlineshop in der Schweiz, Zalando.ch, schätzte Carpathia im vergangenen Jahr auf 1,75 Milliarden Franken Umsatz. 

Nicht nur die Spielwarenindustrie kritisiert Temu. Konsumentenschützer haben immer wieder Produkte auf der Plattform gekauft, die allesamt mangelhaft waren. 

Mitte Mai reichten verschiedene EU-Konsumentengruppen bei der Europäischen Kommission und den zuständigen Behörden zahlreicher EU-Länder Beschwerde gegen Temu ein. Der Marktplatz verstosse gegen das Anfang 2024 in Kraft getretene EU-Gesetz über digitale Dienste und schütze die Verbraucher nicht.

EU verbietet Dark Patterns, Schweiz nicht

«Der Onlinemarktplatz Temu ist voll von manipulativen Techniken, die die Konsumenten dazu bringen sollen, mehr auf der Plattform auszugeben», sagte Monique Goyens, Direktorin der europäischen Konsumentenschutzorganisation Beuc. Diese sogenannten Dark Patterns sind nach jüngster EU-Vorschrift illegal. Temu teilte mit, man nehme die Beschwerde sehr ernst und werde sie sorgfältig prüfen.

In der Schweiz gibt es keine derart klaren Vorgaben wie im EU-Gesetz über digitale Dienste. Aus Sicht von Josianne Walpen vom Konsumentenschutz legt die Schweizer Rechtsprechung das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb durch die Rechtsprechung sehr eng aus. Deshalb würden Dark Patterns regelmässig nicht als unlauter gelten. «Bei Dark Patterns gibt es gesetzgeberischen Handlungsbedarf, aber auch bei der Preisbekanntgabe und der Produktionssicherheit.» 

Die Beschwerde der europäischen Konsumentenorganisationen ist von grosser Bedeutung auch für die Schweiz. Man kann davon ausgehen, dass Temu und Co. allfällige Konsequenzen aus diesen Beschwerden auch für die Schweiz umsetzen werden.

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