Sommaruga im grossen Interview
«Wir müssen nicht verzichten»

Als Bundes­präsidentin setzt Simonetta Sommaruga einen klaren Schwerpunkt: 2020 wird zum Jahr der Energiewende.
Publiziert: 14.12.2019 um 23:33 Uhr
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Aktualisiert: 15.12.2019 um 09:35 Uhr
Bundeshaus am Mittwoch: Vereidigung des Bundesrates. Zuvor wurde Simonetta Sommaruga (59, 3. v. l.) mit 183 Stimmen zur Bundespräsidentin gewählt. Im Fokus ihres Präsidialjahres steht die Energiewende.
Foto: keystone-sda.ch
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Interview: Christian Dorer und Danny Schlumpf

Am Mittwoch wurde Simonetta Sommaruga (59, SP) zur Bundespräsidentin fürs kommende Jahr gewählt. SonntagsBlick trifft die Vorsteherin des ­Umwelt- und Energiedepartements zum Gespräch in Burgdorf BE. Auf dem Parkhausdach des Spitals Emmental stellt sich die Magistratin mitten in die Sonnenkollektoren, die das Spital mit sauberem Strom versorgen. Das Bild macht klar, wo die Bundespräsidentin 2020 ihre Prioritäten setzt.

Frau Bundesrätin, Sie übernehmen zum zweiten Mal das Bundespräsidium. In Ihrem ersten Präsidialjahr 2015 stand das Verhältnis zur EU im Zentrum. Was wird es im kommenden Jahr sein?
Simonetta Sommaruga:
Angesichts der weltweiten Klimasitua­tion und mit Blick auf die letzten Wahlen ist klar: Die Energie- und Klimapolitik hat Priorität. Wir brauchen mehr sauberen Strom aus der Schweiz.

Als Bundespräsidentin werden Sie im November 2020 die Schweiz am G-20-Gipfel in Riad vertreten – auf Einladung von Saudi-Arabien. Wie stark müssen Sie sich verbiegen?
Natürlich gibt es grosse Unterschiede in den Werten. Aber sehen Sie: 2020 ist Saudi-Arabien Gastgeber. Im Jahr darauf ist es Italien. Wichtiger als der Ort des Gipfels ist unsere Haltung. Ich werde mit der Haltung nach Riad reisen, dass die Schweiz für die Menschenrechte einsteht.

Am kommenden Freitag wird das erste Atomkraftwerk abgeschaltet: Mühleberg. Was bedeutet das für Sie?
Es ist ein historischer Tag und eine Chance für die Schweiz. Die alte Art der Energieproduktion läuft aus, die Zukunft gehört den erneuer­baren Energien.

Legen Sie selber den Schalter um?
Nein, an diesem Tag findet die Bundesratssitzung statt. Sie hat Priorität.

Wann wird das letzte der verbleibenden vier AKW vom Netz gehen?
Sie können so lange laufen, wie sie sicher sind. So ist es in der Schweiz geregelt.

Das tönt nach Sankt-Nimmerleins-Tag. Schliesslich kann man ewig in ein bestehendes AKW investieren, damit es sicher bleibt.
Wir haben in Mühleberg gesehen, wie es läuft: Die Betreiber haben gerechnet und sind zum Schluss ­gekommen, dass der Investitionsaufwand zur Gewährleistung der Sicherheit nicht mehr rentiert. Zu diesem Schluss werden eines Tages alle kommen.


Noch ist nicht klar, wie wir die AKW ersetzen werden. War der Entscheid zum Atomausstieg nicht zu sehr geprägt von Fukushima? Manche sagen: Populismus! Nicht durchdacht!
Es war ein zukunftsweisender Entscheid für die Schweiz. Die Energiestrategie braucht aber nochmals Schub. Darum will der Bundesrat mit einem neuen Energie-Paket Wasserkraft und Solarenergie stärken. Das Potenzial ist da: Die Sonneneinstrahlung in der Schweiz ist 200-mal höher als der gesamte Energieverbrauch unseres Landes. Wir haben zudem mehr als genug Flächen auf den Dächern von Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft. Wir können mit Sonnenkraft doppelt so viel Strom produzieren wie heute mit den Atomkraftwerken, wenn wir Kollektoren auf geeigneten Dächern und Fassaden installieren.

Noch aber kommen drei Viertel der in der Schweiz verbrauchten Energie aus dem Ausland. Der grösste Teil davon stammt aus fossilen Energieträgern und Kernbrennstoffen. Wie können Sie da von einer Energiewende sprechen?
Sie haben recht, wir haben in der Vergangenheit zu wenig getan. Wir geben jedes Jahr Milliarden von Franken aus, um im Ausland teures Öl und Gas einzukaufen. Wenn wir stattdessen einheimischen sauberen Strom produzieren, hat das gleich zwei Vorteile: Wir sind weniger abhängig vom Ausland und wir schaffen Aufträge und Arbeitsplätze in der Schweiz.

Die Unternehmen kritisieren die fehlende Investitionssicherheit in der Schweiz. Deshalb investieren sie heute vor allem im Ausland.
Die Unternehmen haben recht. Derzeit fehlt die Planungssicherheit. Mit dem neuen Energie-Paket geben wir den Unternehmen nun ein klares Signal. Der Bundesrat will die Rahmenbedingungen verbessern: Für die Wasserkraft werden die Investitionsbeiträge verdoppelt. Und bei der Sonnenenergie gibt es mehr Wettbewerb, denn sie ist günstiger geworden. So können wir einen Schub auslösen.

Simonetta Sommaruga

Simonetta Sommaruga (59) blickt auf eine gradlinige politische Kar­riere zurück. In den Neunzigerjahren wurde die Sozialdemokratin als Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz bekannt. Ihr erstes Amt bekleidete sie ab 1998 als Gemeinderätin von Köniz BE. 1999 wurde sie in den Nationalrat gewählt, 2003 in den Ständerat. 2010 wurde sie in den Bundesrat gewählt und übernahm das Justiz- und Polizeidepartement. Seit Anfang 2019 steht sie nun dem Departement für Umwelt, Verkehr und Energie (Uvek) vor. Sommaruga ist mit dem Schriftsteller Lukas Hartmann verheiratet und lebt in Bern.

Simonetta Sommaruga (59) blickt auf eine gradlinige politische Kar­riere zurück. In den Neunzigerjahren wurde die Sozialdemokratin als Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz bekannt. Ihr erstes Amt bekleidete sie ab 1998 als Gemeinderätin von Köniz BE. 1999 wurde sie in den Nationalrat gewählt, 2003 in den Ständerat. 2010 wurde sie in den Bundesrat gewählt und übernahm das Justiz- und Polizeidepartement. Seit Anfang 2019 steht sie nun dem Departement für Umwelt, Verkehr und Energie (Uvek) vor. Sommaruga ist mit dem Schriftsteller Lukas Hartmann verheiratet und lebt in Bern.

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Heute werden in der Schweiz drei Viertel der Treibhausgasemissionen durch Treib- und Brennstoffe verursacht. Nun hat der Bundesrat beschlossen, bis 2050 müsse die Schweiz netto null erreichen. Ist das nicht völlig unrealistisch?
Nicht, wenn wir jetzt anfangen! Wenn wir aber noch weiter warten bis 2030, wird es in der Tat schwierig – und teuer. Darum müssen wir den Firmen jetzt die richtigen Signale geben: Investiert nicht mehr in die alten Technologien! Investiert in die neuen, sauberen Energien. Das lohnt sich.


Warum sind Sie so sicher, dass die Energiewende nicht teuer wird und unserer Wettbewerbsfähigkeit schadet?
Heute beziehen wir Öl und Gas aus dem Ausland. Dafür bezahlen wir Milliarden, die wir besser in der Schweiz investieren würden. Wenn wir selber saubere Energie produzieren, profitiert die einheimische Wirtschaft davon – besonders die KMU, die Solarpanels montieren und entwickeln oder neue Heizsysteme installieren. Zudem senken wir so unsere Abhängigkeit vom Ausland. Wenn wir in diesen Technologien gut sind, können wir sie auch noch exportieren.

Was bedeutet die Energiewende im Alltag der Menschen: Worauf müssen wir verzichten?
Wir müssen nicht verzichten. Wenn wir weniger Energie verschwenden, ändert sich unser Alltag kaum.

Wir können gleich viel reisen, heizen und Fleisch essen?
Wir machen Menschen keine Vorschriften, was sie essen oder wie sie reisen sollen. Viele sind ohnehin sensibilisiert und kaufen heute zum Beispiel eher ein Gerät, das weniger Strom verbraucht.

Die Grünen sehen das anders. Sie sagen: Natürlich müssen wir verzichten, sonst können wir die Welt nicht retten!
Nehmen Sie eine gut isolierte Wohnung mit Solarpanels: Die Heizkosten gehen zurück und die Stromrechnung sinkt. Da sparen Sie Geld. Natürlich gibt es auch Massnahmen wie die diskutierte Flug- ticketabgabe. Sie verteuert das Fliegen, verbietet es aber nicht.

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Noch aber werden 60 Prozent der Häuser in der Schweiz mit Öl oder Gas geheizt. Besonders viele davon sind ungenügend saniert und auf dem Land. Für ihre Besitzer wird die Umstellung teuer.
Darüber haben wir auch nachgedacht. Deshalb ist im neuen CO2-Gesetz vorgesehen, dass der Bund die Hausbesitzer bei Heizungssanierungen finanziell stärker unterstützt. Denn im Moment der Umstellung fallen Anfangsinvestitionen an. Wir wollen damit einen Umschwung bewirken.

Was sagen Sie zum Argument: Die Schweiz ist so klein, da können wir das Klima ohnehin nicht retten?
Das klingt für mich nach Ausrede. Jedes Land kann und soll seinen Beitrag leisten. Hinzu kommt: Die Schweiz ist vom Klimawandel mehr betroffen als andere Länder. Bei uns steigt die Durchschnittstemperatur stärker als anderswo.

40 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz verursachen Autos und Lastwagen. Der Bestand wächst kontinuierlich. Das geht nicht zusammen mit der Energiewende.
Die Autohersteller stellen jetzt auf Elektromobilität um. Sie tun es spät, aber sie tun es. Das ist die Zukunft: Autos werden mit Strom fahren, Lastwagen mit Wasserstoff. Wichtig ist, dass sie mit sauberem Strom betrieben werden.

Die Realität zeigt derzeit etwas anderes: Die Autos werden immer schwerer, hochmotorisierte Offroader sind beliebt wie nie.
Wenn Sie die letzten Jahre anschauen, ist das tatsächlich so. Die Autohersteller haben die Entwicklung der Elektromobilität etwas verpasst. Aber jetzt holen sie auf. Es gibt immer mehr E-Modelle.

Die Frage ist: Wollen das die Kunden?
Davon bin ich überzeugt. Bislang war das Angebot einfach zu klein.

Sind Sie dafür, dass der Benzinpreis spürbar steigt, um E-Autos zu fördern?
Statt den Benzinpreis zu erhöhen, sorgt der Bundesrat dafür, dass E-Autos für die Bevölkerung attraktiver werden, etwa dank Ladestationen. Gleichzeitig nehmen wir die Auto-Importeure in die Pflicht: Sie bezahlen Sanktionen, wenn sie zu viele Autos mit hohem CO2-Aus­stoss importieren.

Fahren Sie jetzt eigentlich Doris Leuthards Tesla?
Ja, er fährt prima. Mein Chauffeur lädt ihn zu Hause jeweils mit Strom aus einheimischen erneuerbaren Energien auf.

Können wir denn in der Schweiz wirklich genug Sonnenenergie produzieren, um den Strom für all diese neuen Autos zu haben?
Ja, das Potenzial ist riesig. Es gibt keinen Grund, die Dächer in unserem Land nicht mit Solarpanels auszurüsten. Dort, wo es niemanden stört: auf den Dächern von Parkhäusern, Werkhallen oder Hallenbädern oder praktisch unsichtbar an den Fassaden. Dann haben wir genug Energie.

Warum setzen Sie auf Freiwilligkeit?
Es braucht keinen Zwang. Wir schaffen besser die richtigen Anreize, um die vorhandenen Flächen für Solarenergie zu nutzen. Die Wirtschaft hat bereits umgeschaltet. Viele sehen, dass es sich für sie lohnt, wenn sie den Strom auf dem eigenen Dach produzieren und den überschüssigen Strom sogar noch verkaufen können.

Bloss: Wenn eine Staumauer erhöht wird, gibt es Einsprachen. Wenn ein Windrad gebaut werden soll, gibt es Einsprachen. Müssen jetzt nicht auch die Grünen Kompromisse machen?
Es ist klar: Man kann nicht mehr sauberen Strom verlangen und gleichzeitig zu allem Nein sagen. Wichtig ist darum, dass die verschiedenen Akteure zusammen­sitzen.

In Kalifornien werden Solar dächer ab 2020 für jedes neue Haus Pflicht. Ein Modell für die Schweiz?
Wir brauchen kein Obligatorium für Solardächer. Wir gehen einen anderen Weg. Wir wollen mit Ausschreibungen grosse Solaranlagen fördern.

Wo liegt das grösste Potenzial?
Wir haben für die Solarenergie viele gute Flächen. Das ist grad auch für die Bauern interessant. Sie werden immer häufiger zu Stromproduzenten. Mit ihren Scheunendächern haben sie die Flächen, um grosse Mengen Strom zu produzieren und zu verkaufen. Sonnenenergie ist auch ein Naturprodukt!

Welche Rolle spielen die Bahnen in der Energiewende?
Die Bahnen sind unsere grössten Klimaschützer. Und Nachtzüge werden als Alternative zum Fliegen immer beliebter. Auch bei den Bahnen können wir aber noch mehr tun. Wenn Züge zum Beispiel mit einer Idealgeschwindigkeit fahren statt nach fixen Vorgaben, brauchen sie weniger Energie.


Nun ist mit Vincent Ducrot ein Bähnler alter Schule zum neuen CEO bestimmt worden. Ist seine Wahl ein Signal: Zurück zu den Wurzeln?
Die SBB müssen ein modernes, innovatives Unternehmen bleiben. Sie müssen aber nicht alles machen. Entscheidend sind Sicherheit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit.

Was erwarten Sie vom neuen SBB-CEO?
Die SBB sind kein gewöhnliches Unternehmen: Sie gehören uns ­allen, sie sind für das ganze Land da. Die Bevölkerung will, dass die SBB sicher und pünktlich fahren. Ich erwarte vom neuen Konzernchef, dass er dies mit höchster ­Priorität angeht.


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