SRF-Dok über evangelikale Schule ruft Staatsanwaltschaft auf den Plan
Betroffene reden zum ersten Mal offen über Vergewaltigung und Schläge

Die evangelikale Schule und die zugehörige Kirchgemeinde in Kaltbrunn SG kommen wieder unter Beschuss: Im SRF-Dokumentarfilm reden zum ersten Mal ehemalige Schüler über erlittene Demütigungen und Übergriffe. Die Staatsanwaltschaft prüft jetzt rechtliche Schritte.
Publiziert: 23.09.2023 um 00:10 Uhr
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Aktualisiert: 23.09.2023 um 13:48 Uhr
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Beat MichelReporter

Die Dokumentations-Reihe «Dok» des Schweizer Fernsehens hat zum ersten Mal Opfer einer evangelikalen Kirche und der zugehörigen Christlichen Schule Linth in Kaltbrunn SG vor die Kamera gebracht. Sie erzählen eindrücklich, was sie vor gut 20 Jahren im Namen von Jesus hinter den Mauern erleiden mussten. Bisher gab es nur anonyme Aussagen ohne Gesicht. Jetzt wird das Ausmass des Missbrauchs und der Gewalt so richtig klar. Die ehemaligen Schüler erzählen, wie sie regelmässig auf den nackten Po geschlagen worden und später zwangsverheiratet worden seien. Ein Opfer berichtete sogar von einer vertuschten Vergewaltigung. Eine zentrale Rolle in der Glaubensgemeinschaft spielt die Schoggi-Familie Läderach und deren früherer Patron Jürg Läderach.

Es gab zuvor bereits eine belastende unabhängige Untersuchung gegen die fundamentalistische christliche Gemeinschaft. Angestossen hat diese die junge Generation der Familie Läderach selber – die drei Söhne Jürg Läderachs, die heute den Schoggi-Konzern führen. Die Ergebnisse, die im letzten Sommer veröffentlicht wurden, waren belastend und zeigten ein System der Unterdrückung und des körperlichen Missbrauchs. Aber: Die Staatsanwaltschaft hatte damals keine Handhabe für ein Verfahren.

Staatsanwaltschaft analysiert SRF-Dok

Die meisten Vorwürfe waren verjährt. Der Verdacht auf Vergewaltigung und sexuelle Handlungen mit Kindern führte wegen fehlender Täternamen ins Leere. Doch die SRF-Dok könnte das nun ändern. Die klaren und direkten Aussagen der Opfer haben die Verbrechen in die Gegenwart zurückgeholt. «Wir analysieren die Dokumentation und prüfen das weitere Vorgehen», sagt Stefan Hess, Sprecher der Staatsanwaltschaft des Kantons Sankt Gallen.

Die Christliche Schule Linth in Kaltbrunn SG: Heute werde hier ein moderner Schulbetrieb gepflegt, und die Kinder werden nicht mehr geschlagen, sagt Mediensprecher Markus Baumgartner.
Foto: zvg
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Konkret geht es um die Vorgänger-Kirche der Evangelischen Gemeinde Hof Oberkirch und der Christlichen Schule Linth in Kaltbrunn. Bis 2019 hiessen die Institutionen noch Missionswerk Kwasizabantu und Privatschule Domino Servite. Die sektenähnliche Gemeinschaft hat ihre Wurzeln in Südafrika, wo deutschstämmige Siedler eine Glaubensgemeinschaft aufbauten. Es gab zahlreiche Ableger auf der ganzen Welt, seit 1995 auch in der Schweiz.

Der ehemalige Firmenpatron Jürg Läderach hatte in der Glaubensgemeinschaft zentrale Funktionen. Wie in der SRF-Dok zu sehen ist, war er unter anderem Laienprediger. Fast alle Opfer sagen vor der Kamera aus, dass er regelmässig Kinder mit Schlägen gezüchtigt hatte. Er bestreitet dies und droht mit Anzeige, falls diese Aussagen verbreitet werden.

Schläge sind heute tabu

In der Glaubensgemeinschaft sei Gewalt kein Erziehungselement mehr, sagt Mediensprecher Markus Baumgartner. Und weiter: «Ein Neunpunkte-Programm soll nachhaltig verhindern, dass es erneut zu Übergriffen und zu Schlägen kommt. Jetzt ist eine neue Generation am Ruder. Schlagen ist in der Schweiz seit einem Bundesgerichtsurteil von 2003 an Schulen verboten. Auch bei uns. Wir hatten seither zwei Fälle, die wurden gemeldet und geahndet.»

Das fehlbare Pfarrerpaar habe die Gemeinschaft verlassen. Die Schlagkultur sei aufgelöst worden. Er sagt überzeugt: «Heute ist klar, Schläge sind tabu.» Die Familie Läderach habe zudem keine leitenden Funktionen mehr, weder an der Schule noch in der Kirche.

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