Staatsanwältin steckt Luzernerin in U-Haft und sperrt ihr Konto
Rentnerin Blanca Hug (70) soll eine Profi-Betrügerin sein

Vor dreieinhalb Jahren wurde Blanca Hug (70) verhaftet und kam über einen Monat in Untersuchungshaft – weil sie bei der Vermittlung von Hunden mitgeholfen hatte. Ihre Konten sind seither gesperrt. Deswegen musste sie Schmuck ihrer verstorbenen Mutter verscherbeln.
Publiziert: 23.02.2024 um 01:13 Uhr
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Aktualisiert: 23.02.2024 um 11:09 Uhr

Die 70-jährige Blanca Hug wollte Hunden aus Osteuropa helfen – und landete stattdessen hinter Gittern! Dreieinhalb Jahre ist es her, seit die Rentnerin von der Polizei abgeholt wurde. Trotzdem sind ihre Konten bis heute gesperrt. Sie muss mit rund 3500 Franken Rente im Monat auskommen. Auf ihre Reserven – gut 70'000 Franken – kann sie nicht zugreifen. Die Seniorin musste sogar Schmuck ihrer verstorbenen Mutter verkaufen, um Rechnungen zu bezahlen.

Der Tag, der ihr Leben verändert hat, war der 16. Juni 2020. Damals tauchten sechs Polizisten morgens um 6 Uhr bei ihr in Eschenbach LU vor der Wohnungstüre auf.

Sie hatten einen Durchsuchungsbeschluss dabei. «Sie haben das Haus auf den Kopf gestellt», sagt Hug. Laptop und Handy wurden beschlagnahmt. Und bald auch die Konten gesperrt.

Blanca Hug (70) wollte Tieren das Leben retten – und veränderte damit ihr Leben in dramatischer Weise.
Foto: Thomas Meier
Hunde spielen im Leben von Blanca Hug (70) eine zentrale Rolle. Auf dem Bild sind Mala (10, l.), Laika (10) und Yuma (13).
Foto: Thomas Meier
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Die Seniorin wurde verhaftet, von der Staatsanwältin stundenlang verhört und für 36 Tage in U-Haft gesteckt. Damit sollte verhindert werden, dass sich Hug mit zwei angeblichen Komplizinnen abspricht. Auch diese beiden Frauen, ebenfalls Seniorinnen (heute 64 und 74), wurden an jenem Dienstagmorgen für mehrere Wochen in Untersuchungshaft genommen.

Für Hunde ein Heim gesucht

Dabei begann alles ganz harmlos. Die drei Frauen haben einen deutschen Verein bei der Vermittlung von Hunden und Katzen aus dem Osten der EU unterstützt. Konkret haben die Frauen interessierte Personen aus der Schweiz beraten und überprüft, ob sie sich als Tierhalter eignen.

Die Tierschützerinnen hatten sich über Haustier-Gruppen auf Facebook kennengelernt. Sie leisteten über Jahre unentgeltliche Mithilfe und spendeten selbst an den Verein «Vergessene Katzen in Not» (VKIN). Hug unterhielt verschiedene Hunde-Patenschaften und organisierte Spendensammlungen von Hundefutter für Bulgarien.

Sie inserierte auf Facebook zunächst die Hunde – mit Fotos, welche die deutsche Organisation zur Verfügung stellte. Dann schickte sie den Interessenten einen mehrseitigen Fragebogen. Auf ein langes Telefongespräch folgte dann eine Vorkontrolle beim Interessenten, die meist eine andere Person durchführte.

«Halter von importierten Tieren brauchen besonders viel Geduld»
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Blanca Gut vermittelte Tiere:«Halter von importierten Hunden brauchen viel Geduld»

Die Tiere wurden dann persönlich von den Adoptanten ennet der Grenze abgeholt, in Baden-Württemberg (D) oder Vorarlberg (A). Begründung: Die Adoptanten sollen die Verzollung selbst durchführen. Dabei wurden die neuen Tierhalter von den Helferinnen vorgängig über die korrekte Verzollung instruiert.

Zwischen 2016 und 2020 half Hug so bei der Vermittlung von mehreren Hundert Hunden in die Schweiz. Den Adoptanten wurde von der deutschen Organisation zugesichert, dass die Tiere gesund seien und über die nötigen Papiere verfügten. Die Empfänger bezahlten dem Verein pro Hund eine Gebühr von 580 Euro für Impfungen, Kastration, Pass, Chip und Transport. In vielen Fällen engagierte sich Hug auch mit ihren eigenen Mitteln – um Hunde zu retten und Transporte zu ermöglichen. «Das wird mir jetzt angekreidet», sagt sie. Denn weil Geldflüsse über ihr Konto liefen, hat die Staatsanwaltschaft dies eingefroren.

Was sich nämlich später herausstellte: Tatsächlich kamen die Tiere meist aus Serbien, das ein Risikoland für Tollwut und nicht in der EU ist. Die Tiere verfügten oft weder über eine Tollwutimpfung, noch waren sie kastriert. Zur Täuschung wurden bulgarische Heimtierpässe gefälscht. Ein Transport mit 22 Tieren, die für die Schweiz bestimmt waren, wurde am 12. Mai 2019 in Dornbirn (A) vom Vorarlberger Veterinäramt beschlagnahmt. «Wir waren geschockt», sagt Hug.

Vorwurf: Gewerbsmässiger Betrug

Juristisch wird den drei Frauen gewerbsmässiger Betrug, Vergehen gegen das Tierschutzgesetz, Widerhandlung gegen das Tierseuchengesetz und Urkundenfälschung vorgeworfen.

Vorwürfe, welche die beschuldigten Seniorinnen vehement bestreiten. Sie sagen: Sie wurden in die Irre geführt – von der Leiterin des Vereins VKIN: Sofija L.* organisierte alle Tiertransporte aus Osteuropa – nicht die drei Frauen aus der Schweiz. «Wir haben ihr immer vertraut», sagt Hug. Kennengelernt hatte sie L. ebenfalls über Facebook. «Sofija war die Chefin», sagt Hug. «Wir in der Schweiz haben geholfen, für die von ihr geretteten Strassentiere ein schönes Zuhause zu finden», sagt die Rentnerin. «Heute greife ich mir an den Kopf, dass ich der Frau vertraut habe.» Sofija L. liess eine Anfrage von Blick unbeantwortet.

Das Verfahren gegen die drei Frauen wird von der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland geführt. Warum wurden die drei unbescholtenen Seniorinnen gleich mehrere Wochen in Untersuchungshaft genommen? «Die Voraussetzungen für Untersuchungshaft waren gegeben», erklärt Erich Wenzinger, Mediensprecher der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich. «Dass jemand im Seniorenalter und möglicherweise ohne Vorstrafen ist, ist kein vom Gesetzgeber vorgesehenes Ausschlusskriterium für Untersuchungshaft.»

Rechtsanwalt Stephan Kübler, der Verteidiger von Blanca Hug, sieht dies kritisch: «Die Staatsanwaltschaft glaubte, ihr sei ein grosser Coup gelungen.» Dabei sei die Beweislage gegen die drei Frauen überaus dürftig. Die Verfahrensdauer sei mit über dreieinhalb Jahren skandalös. «Der Fall wurde zeitweise einfach liegengelassen.» Weil keine einzige Person, die einen Hund vermittelt bekam, eine Schadenersatzforderung gestellt habe, sei die Sperrung von über 70'000 Franken nicht zu rechtfertigen. «Gut die Hälfte sollte sofort herausgegeben werden», fordert Kübler.

* Name geändert

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