Wie Sanija Ameti die Grünliberalen in die Krise stürzt
Von der Trendpartei zur Chaostruppe

Die GLP kannte bisher nur eine Richtung: aufwärts. Der Zoff um Sanija Ameti offenbart eine Kultur von Neid und internen Konflikten. Parteikollegen fragen sich: Nutzt Präsident Jürg Grossen die Gelegenheit, um endlich den verhassten Störenfried aus Zürich loszuwerden?
Publiziert: 15.09.2024 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 15.09.2024 um 09:35 Uhr

Kurz zusammengefasst

  • Der Fall Ameti offenbart die GLP-Krise
  • Interne Spannungen und Kommunikationsprobleme
  • Nur 48 Stunden bis zur Krisensitzung
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Der Fall der Sanija Ameti (32) begann mit einer ungeheuren Dummheit einer Zürcher Gemeinderätin. Und wuchs zur Krise einer nationalen, erfolgsverwöhnten Partei aus.

Nach Ametis verhängnisvollem Post am Freitagabend, dem 6. September, ging es schnell. Für die Grünliberalen vielleicht zu schnell. Am Montag, nur 48 Stunden nach dem entscheidenden Blick-Artikel, wurde hastig die ganze Zürcher Kantonsratsfraktion zu einer Diskussion zusammengetrommelt, die ausartete: Soll man das fehlbare Parteimitglied rausschmeissen? Soll man sich hinter sie stellen? Irgendwas dazwischen? Und überhaupt, fragten sich manche, was sollen wir Kantonsräte eigentlich hier, wenn es doch um ein Mitglied des Stadtparlaments geht?

Es müssen hektische Stunden gewesen sein in der Parteizentrale. Noch während die Mitglieder um Orientierung und eine gemeinsame Strategie rangen, preschte der nationale Präsident Jürg Grossen (55) vor und kündigte ein Parteiausschlussverfahren gegen Ameti an. Damit hievte der Mann aus dem Berner «Bible Belt» die Personalie endgültig auf die grosse Bühne und verlieh der Lokalpolitikerin eine landesweite Bedeutung.

«Solarzellen-Sekte»: Die Grünliberalen am 19. August 2023 in Rüschlikon ZH.
Foto: keystone-sda.ch
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«Wir sind eine Solarzellen-Sekte»

Vor allem aber wird der für die GLP unangenehme Vorfall durch das mühselige Ausschlussverfahren noch länger in der Öffentlichkeit bleiben. Entscheidend wird die Haltung von Ametis Zürcher Kreispartei sein – und sie ist dem Vernehmen nach so gespalten wie die ganze Partei: Manche Mitglieder schnöden über den Flurschaden, den Ameti angerichtet hat, andere haben die Petition zugunsten der Buhfrau unterschrieben.

Die Turbulenzen bringen die Unbeholfenheit einer jungen, aufstrebenden Partei ans Tageslicht. In den Nullerjahren aus einem Richtungskampf mit den Grünen entstanden und von Martin Bäumle (60) zur Sieben-Prozent-Kraft aufgebaut, eint die Bewegung inhaltlich nach wie vor wenig. Der grösste gemeinsame Nenner besteht aus der Fotovoltaik auf dem Dach, dem Tesla in der Garage und dem Wunsch nach einer EU-Anbindung. Der Rest ist vage – Lehrplan 21? Sicherheitsausgaben? Altersvorsorge? Asyl? Da fehlt der GLP ein klares Profil.

«Eigentlich sind wir bloss eine Solarzellen-Sekte», sagt ein Zürcher Parlamentarier. Die Unterschiede in der politischen Herkunft der Mitglieder machen sich zuweilen schmerzhaft bemerkbar. So soll es zwischen der ehemaligen SP-Nationalrätin und heutigen GLP-Kantonsrätin Chantal Galladé (51) und ihrer Winterthurer Sektion gehörig rumoren; der Versuch einer Aussprache ist fürs Erste gescheitert.

«Nicht die hellste Kerze auf der Torte»

Dazu kommt die Überforderung mit Krisensituationen, wie sie typisch ist für schnell wachsende Gruppierungen. Beim umstrittenen Parteiwechsel der Zürcherin Isabel Garcia (61) zur FDP 2023 machte die kantonale Spitze kommunikativ nicht die beste Figur. Selbst Parteichef Grossen leistet sich verbale Ausrutscher. Etwa, als er SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (60) im «Nebelspalter» als «nicht die hellste Kerze auf der Torte» bezeichnete.

Der inhaltliche Unterbau traditioneller Parteien fehlt der GLP; wettgemacht wird diese Lücke mit einer glitzernden Portion Zeitgeist. Die Grünliberalen sind zum Sammelbecken für Lifestyle-Politiker geworden, die mit einem guten Schuss Selbstbewusstsein auch an ihrer eigenen Laufbahn zimmern. Tausendsassa Nicola Forster (39) beispielsweise blieb mit seiner Nationalratskandidatur und mit seinem Präsidium der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft glücklos. Er räumte sein kantonales Co-Präsidiumsamt in Zürich. Nichtsdestotrotz liess er sich letzte Woche wieder in den kantonalen Vorstand wählen. Dranbleiben, lautet die Devise.

«Ich habe eine grosse Klappe»

Die kongeniale Partnerorganisation fand man in der Operation Libero, der urbanen, europhilen Bewegung. Dort wird der Mangel an Zugang zu den Institutionen der Macht mit den Mitteln der Sponti-Kultur kompensiert: Durch Appelle, Petitionen, Guerilla-Aktionen und Social-Media-Kampagen werden die Themen gesetzt.

Niemand verkörpert dieses Milieu besser als Sanija Ameti, die 2021 als Kopf der Kampagne gegen das «Antiterrorgesetz» (PMT) Furore machte. «Die Frau hat Mut, und sie besitzt die Angriffslust, die erfolgreiche Politikerinnen und Politiker ausmacht», schwärmte die «NZZ». Um die Velo fahrenden Studentinnen und Studenten abzuholen, war Ameti der im Grunde ziemlich spröden GLP ganz recht.

Dass sie 2021 ohne Support der Wirtschaft im Alleingang mit den Grünen eine unausgegorene Europa-Initiative ankündigte, sorgte allerdings über ihre Partei hinweg für Kopfschütteln. «Ich habe eine grosse Klappe», gab Ameti in der «Republik» unumwunden zu Protokoll. Die «grosse Klappe» kam beim behaglich auftretenden Parteichef Grossen mit seiner praktischen Kurzhaarfrisur und der Herangehensweise eines Elektroplaners zunehmend schlecht an.

Das Schweigen der GLP-Frauen

Mehrmals hatte er sie nach Bern zitiert, etwa nach ihrer Aussage, dass sie sich SVP-Umweltminister Albert Rösti (57) «politisch nicht schön trinken» könne. Ein andermal passte es Grossen und seinen Präsidiumskollegen ganz und gar nicht, dass sich Ameti kurz vor den Wahlen 2023 in einem ganzseitigen wohlwollenden Porträt in der «NZZ» abfeiern liess («Populärkultur, Balkan-Beats und Blocher»). Immerhin hatte Ameti daraufhin vom undankbaren 18. Listenplatz aus beeindruckend Boden gutgemacht und wäre um ein Haar nach Bern gewählt worden. Was ihr auch Neid in der Partei einbrachte.

Hat Grossen nun endlich seine Chance gewittert, um sich des Störenfrieds aus Zürich zu entledigen? So jedenfalls deuten es mehrere seiner Parteigänger. Er selbst hält sich auf Anfrage zurück, sein Umfeld verweist auf das laufende Ausschlussverfahren – das er selber angestossen hat. Gut hörbar ist auch das Schweigen prominenter GLP-Frauen wie Alliance-F-Co-Präsidentin Kathrin Bertschy (45), Melanie Mettler (46) oder Corina Gredig (37).

Ein bisschen verständlich ist diese Taktik – die Politikerinnen stecken im Dilemma zwischen solidarisieren und distanzieren. Daraus wird die Partei so schnell nicht herauskommen.

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