Bis vor einem Jahr liebte Lucas Fischer Frauen
«Ich fliege auf Männer»

Ein Jahr lang sich Lucas Fischer zurückgezogen, um zu sich selbst zu finden. Das Outing empfindet der Vize-Europameister am Barren als grossen Befreiungsschlag.
Publiziert: 30.09.2018 um 01:53 Uhr
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Aktualisiert: 15.03.2022 um 18:25 Uhr
«Vor einem Jahr merkte ich, dass ich auf Männer stehe»
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Lucas Fischer outet sich:«Vor einem Jahr merkte ich, dass ich auf Männer stehe»
Flavia Schlittler

Was löst dieses Outing bei Ihnen aus? Ist sie überflüssig, weil heute akzeptiert und toleriert wird, dass sich Menschen gleichen Geschlechts lieben? Sind Sie schockiert oder überhaupt nicht überrascht? Für den Vize-Europameister am Barren 2013, Lucas Fischer (28), ist es ein Befreiungsschlag, von dem er im SonntagsBlick exklusiv erzählen möchte. «Ich habe ein ganzes Jahr lang nach mir gesucht. An meinen Auftritten strahlte ich, dies konnte ich zum Glück aufrechterhalten. Doch kaum zu Hause angekommen, verkroch ich mich in mein Zimmer. Meine Gedanken wurden immer dunkler, meine Gefühle waren von tiefster Trauer und total verwirrend.» Sein Leben stand kopf!

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Ausschlag dafür sei die Begegnung mit einem Mann gewesen, dies im Sommer 2017. «Es kam zum Kuss. Dem ersten, den ich mit einem Mann erlebte. Dabei lernte ich Gefühle kennen, die mir bis anhin verborgen geblieben waren.» Der Kontakt zwischen ihnen sei nur kurz gewesen, die Welt, die sich ihm auftat, jedoch «ein endlos schönes, für mich bis anhin verborgenes Universum», wie er es beschreibt. Doch der Aargauer, der bis zu jenem Zeitpunkt nur Frauen geliebt hatte, wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. «Da ich mir nie die Frage gestellt hatte, ob ich ein anderes Geschlecht lieben und begehren könnte als das weibliche.»

Homosexualität ist im Spitzensport nach wie vor ein grosses Tabu

Er sei während seiner Sportstudienzeit in Magglingen BE immer mal wieder damit konfrontiert worden, er sei doch schwul oder solle sich nicht so schwul benehmen. «Ich war halt immer etwas ‹hibbelig›, einfach anders als meine Kollegen», so Lucas Fischer, der ergänzt: «Homosexualität ist im Spitzensport nach wie vor ein grosses Tabu. Wenn von schwul gesprochen wird, dann entweder im Witz oder als Beleidigung.» Er glaubt, auch deshalb nie zugelassen zu haben, erotische Gefühle für einen Mann aufkommen zu lassen.

Sein neues Umfeld besteht aus toleranten Menschen

Nachdem sich das Jahrhunderttalent im Kunstturnen wegen Epilepsie vor drei Jahren vom Spitzensport verabschieden musste, erfand er sich als singender Artist neu. Er schaffte es, Ende letzten Jahres bei der deutschen Castingshow «Das Supertalent» direkt ins Finale zu kommen, dies gelang vor ihm noch keinem anderen Schweizer Teilnehmer. Dieses Jahr tourt er mit dem «Family Circus» in «Das Zelt» durch die Schweiz.

«So wie du bist»
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Neuer Song von Lucas Fischer:«So wie du bist»

Plötzlich hatte er nichts mehr mit homophoben Sprüchen zu tun, fühlte sich nicht mehr gedrängt, ständig betonen zu müssen, er habe eine Freundin – was er hatte. Sein neues Umfeld besteht nun aus Künstlern, Individualisten, Homosexuellen und vielen toleranten Menschen. «Auch da wurde ich immer wieder darauf angesprochen, ob ich nicht schwul sei. Es sei meine feminine Art und mein Stil, dass man dies denken könne. Es wurde zum Glück nicht mehr gewertet, einfach angesprochen. Doch eben, das dachten andere. Nicht ich, da noch nicht.»

Schicksalshafte Begegnung an einer Protest-Veranstaltung

Zu einer weiteren, für Lucas Fischer ausschlaggebenden Bewegung kam es im Rahmen der «Pride» am 16. Juni. An der Zürcher Protest-Veranstaltung der schwul-lesbischen Gemeinschaft lernte er einen Mann kennen. «Als ich ihn sah, war ich wie vom Blitz getroffen. Er hat mir mein zweites Auge geöffnet, dass ich wirklich auf Männer stehe. Dies möchte ich nicht mehr verschweigen oder verlieren. Daher ist es für mich wichtig, jetzt in aller Öffentlichkeit zu sagen, ich bin schwul.»

Gute Gespräche mit seinen Eltern

Seinen Eltern hat er es kürzlich gesagt, nachdem ihn seine Mutter gefragt hat, weshalb er so traurig und deprimiert sei und sich ständig zurückziehe. «Ich hatte schon ein bisschen Angst vor diesem Gespräch, vor allem darauf, wie mein Vater reagiert. Er hat dann einmal leer geschluckt und mir gesagt, das Wichtigste sei für ihn, dass ich glücklich sei.» Seine Mutter habe gestrahlt. «Sie freut sich mit mir. Dass meine Eltern, mein Bruder und auch mein Grossmami so cool reagieren, ist mir besonders wichtig und freut mich sehr.»

Vor kurzem wurde er verlassen

Die Liebe zu seinem Freund hat nicht gehalten. «Wir hatten wunderschöne Wochen miteinander. Leider hat er mich vor kurzem verlassen. Ich glaube, ich war ihm zu intensiv, habe ihn zu sehr beschenkt und ihm für sein Empfinden zu wenig Luft gelassen.» Lucas Fischer macht das Outing ohne einen Partner an seiner Seite, doch das sei okay, so Fischer, denn er macht es für sich und für alle, die damit ringen, es zu tun. «Den vielen, die wissen, wie sie fühlen, sich aber nicht trauen, es laut auszusprechen oder auszuleben, möchte ich mit auf den Weg geben: Lasst euch von niemandem sagen, was oder wie ihr sein sollt. Lebt und liebt, wen immer ihr lieben wollt.»

Das Interview mit Lucas Fischer sehen Sie auch im Video. Morgen Montag ist Lucas Fischer von 12.00 bis 13.00 Uhr im BLICK-Livetalk. Er stellt sich gerne Ihren Fragen.

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