Chris von Rohr zum 50-Jahr-Krokus-Jubiläum
«Rock 'n' Roll war eine Art von Notwehr»

Rockstars trifft man normalerweise backstage oder im Hotel zum Interview. Doch bei Chris von Rohr ist alles etwas anders. Zum 50-Jahr-Jubiläum von Krokus fuhr Blick mit dem Bandgründer im Speisewagen von Solothurn nach Zürich, unterwegs ans Moon & Stars in Locarno.
Publiziert: 14.07.2024 um 00:01 Uhr
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Jean-Claude GalliRedaktor People

Der Mann ist «outstanding», unvergleichlich. Und seine Energie ansteckend. Schon bevor die Fahrt losgeht, wird er auf dem Bahnhof in Solothurn von Passanten angesprochen. «Dürfen wir ein Foto machen?» «Aber sicher», sagt Chris von Rohr (72), Krokus-Gründer, Bassist und Buchautor. Er ist unterwegs nach Locarno TI, wo er mit Krokus zum dritten Mal am «Moon & Stars»-Festival auftritt. Wir begleiten ihn bis Zürich und auf einer 50-minütigen «crazy» Achterbahnfahrt durch sein Leben und 50 Jahre Musikgeschichte.

«Ich fahre immer im Speisewagen, dort gefällt es mir», sagt von Rohr. «Ich bin gerne bei den Menschen.» Er bestellt Ingwertee. Die Servicefrau blickt auf ihn und seinen Koffer: «Sie fliegen heute?», fragt sie. «Ganz hoch», sagt er strahlend. Er will über alles sprechen, nur nicht mehr über die Frage, wann Schluss ist mit Krokus. «Solange die Rolling Stones rocken und wir es so frisch rüberbringen, machen wir weiter, basta.»

«Free drinks» und der «Ski-Druide»

Dazu komme auch, dass «guter, handgemachter Powerrock» mit Marc Storaces (72) unverwechselbarer Stimme in diesen digitalisierten Zeiten wieder stärker gefragt sei. «Ich staune auch, wie viele Junge plötzlich auftauchen. Vielleicht bekommen sie als Lockmittel ‹free drinks› von ihren Eltern», vermutet er. «Und sogar Ski-Druide Bernhard Russi meinte nach einem Konzert zu uns: ‹Das ist der Wahnsinn. Ihr wirkt auf der Bühne wie junge Hunde. Was ihr macht, ist wie eine Lauberhornabfahrt.›»

Krokus-Gründer, Bassist und Buchautor: Chris von Rohr.
Foto: zVg
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Begonnen hat die Reise an Silvester 1974 in Solothurn, genauer in Gerlafingen SO, Krokus als Vorband von Schlagerstar Nella Martinetti (1946–2011). Nie einen Plan B zu haben, sei das Rezept von ihm und Gitarrist Fernando von Arb (71) gewesen. Alles auf eine Karte zu setzen. Die typischen Schweizer Existenzängste zu verbannen. Furchtlosigkeit gehöre zum Rock 'n' Roll. «Den machten wir in grauen Zeiten sozusagen als Notwehr. Wir wollten einfach mehr vom Leben und gaben alles auf: Job, Freizeit, die Freundin und verbunkerten uns im Übungskeller. Die meisten hielten uns für verrückt, aber wir hatten eine Vision.»

Von Mümliswil nach London

Krokus wurden belohnt. «Als wir 1979/80 auf unsere erste England-Tournee gingen, spürten wir, dass wir es international schaffen könnten. Vor kurzem noch im Jugendzentrum Mümliswil, jetzt im Hammersmith Odeon London. Zum Glück hatten wir damals ein gewisses Alter, sonst wären wir völlig ausgeflippt. Wir standen dem Erfolg auch skeptisch gegenüber, da es viele negative Beispiele gab. Doch will das nicht heissen, dass wir keine Fehler machten.»

Tatsächlich bleibt von Rohr bei allem Lob reflektiert. «Es gab eine Zeit, da entfernten wir uns durch das viele Aufeinanderhocken, falsches Management und das schier ewige Herumreisen voneinander. Der Kern löste sich auf, die Magie zerfiel. Aber daraus lernten wir. Heute sind wir seit 17 Jahren wieder Freunde und wertschätzen uns gegenseitig ganz anders. Unsere Fans spüren das.»

Die Zeit in Amerika sei grossartig gewesen. Trotzdem kam Auswandern für ihn nie infrage. «Wir wurden mit offenen Armen empfangen. Ich liebte dieses Vorwärts-Denken ohne Eifersucht und Gejammer. Und ich hätte auch ein schönes Haus kaufen können. Aber ich fühlte instinktiv: Dort komme ich nicht zur Ruhe. In Solothurn, in der Schweiz, sind meine Wurzeln. So konnte ich auch meine Tochter Jewel aufwachsen sehen. Und eine so gute Partnerin wie Pat hätte ich in L.A. kaum gefunden», schwärmt er, während wir in Olten durch sind und uns Aarau nähern.

«In Rock We Trust»

«Zu Solothurn haben wir mittlerweile ein gutes Verhältnis. Die Leute wechseln die Strassenseite nicht mehr, wenn wir kommen», meint er. Sichtlich stolz ist er, dass die Stadt Krokus vor zwei Jahren einen Ehrenstein widmete. «In Rock We Trust – von Solothurn in die Welt», heisst die Inschrift des Denkmals auf der Chantierwiese.

Doch werden Krokus als erfolgreichste Schweizer Band aller Zeiten wirklich genug gewürdigt? Wo bleibt der nach ihnen benannte Flieger, der Platz an bester Lage oder die Lokomotive? «Da müssen wir wohl erst sterben», sagt von Rohr lachend.

«Ganz ehrlich: Es ist gut so, wie es ist. Wir waren nie eine Subventions-Band, und einen Preis fürs Lebenswerk aus der Kulturverwaltung in Bern dürfen wir nicht erwarten. Dafür sind wir zu unangepasst. Wir waren schon immer – wie mein Freund Fernando richtig sagt – der Stachel im Schweizer Kulturkuchen. Wichtig ist uns die Anerkennung der Fans, die diesen langen Weg mit uns gegangen sind. All die Gold- und Platinauszeichnungen stammen nur von ihnen. Für ihre Unterstützung sind wir ewig dankbar.»

«Gitarren statt Knarren»

Mehr Sorgen bereitet von Rohr die aktuelle Weltenlage. «Die ganze Aufrüstung, der Krieg mit Tausenden jungen Toten jeden Tag und all die lügenden Machtpolitiker, das ist doch nur noch krank. Ich halte es da voll mit meinem Freund Udo Lindenberg: Gitarren statt Knarren – Liebe statt Hiebe. Endlich abrüsten! Frieden muss her. Jeder Krieg endet am Verhandlungstisch.»

Im Lauf der Jahre wurde von Rohr auch zum erfolgreichen Buchautor. Zuletzt erschien 2023 «Meh Glück!» – eine Hymne auf das Schöne und Lebenswerte dieser Welt. Er ist der einzige Schweizer Musiker, der auch länger die Buchbestsellerliste anführte. «Beim Schreiben kann ich etwas tiefer schürfen und andere Lebenszusammenhänge ausleuchten. Es ist mein perfekter Ausgleich zur Musik und vielleicht mein grösstes Talent.»

«Watch your sandwich»

Der Zug rollt unaufhaltsam auf Zürich zu. Schon naht die Hardbrücke, die Servicefrau bringt die Rechnung. Da ist eine letzte Frage nach seiner Vitalität nicht abwegig. «Watch your sandwich! – bleib hungrig und neugierig», ist sein Ratschlag. «Ich liebe, was ich tue. Und lebe ausser dem späten Schlaf relativ gesund. Gute Ernährung, etwas Wein, genug Bewegung, Natur und Menschen, die mir Energie geben, statt sie abzusaugen, helfen natürlich.»

Vor dem Aussteigen ruft er uns noch zu: «Gallenstein, ich bin einfach dankbar, dass ich meinen Traum leben darf und dazu noch vielen Menschen etwas Freude bringen kann. Auf gehts ins Risotto-Valley.»

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