200 zusätzliche Stellen und mehr Kompetenzen
Schweizer Politiker wollen Geheimdienst aufrüsten

Die Schweizer Politik ist erschüttert vom Attentat im deutschen Solingen. Auch hierzulande wird nun gefordert, dass der Nachrichtendienst mehr Personal bekommen soll.
Publiziert: 26.08.2024 um 17:00 Uhr
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Aktualisiert: 26.08.2024 um 21:34 Uhr

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine beschäftigt auch den Schweizer Geheimdienst. Beispielsweise wegen russischer Spionage und Cyberattacken. Doch auch die terroristische Bedrohung hat seit Beginn des Gaza-Kriegs zugenommen, da sich wieder vermehrt Jugendliche radikalisieren. Der Direktor des Schweizer Nachrichtendienstes NDB Christian Dussey (59) forderte in einem Interview mit dem «Tagesanzeiger» mehr Personal.

Ein Ruf, der in der Politik Gehör finden dürfte. Zwar bleibt der Stellenetat nächstes Jahr gleich, doch in den letzten Jahren wurde der Nachrichtendienst massiv ausgebaut von 237 Vollzeitstellen im Jahr 2010 auf aktuell 434. Dazu kommen gegen 200 weitere Staatsschutz-Stellen in den Kantonen.

Radikalisierung über soziale Medien

«Wir hören das Signal des NDB-Direktors – im internationalen Vergleich sind wir schwach aufgestellt», sagt Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt (48, SO) zu Blick. Er präsidiert die Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte, welche den Geheimdienst beaufsichtigt. «Das Umfeld hat sich verändert», so Müller. Extremistische Netzwerke seien professionell organisiert und Jugendliche würden teils innert weniger Wochen über soziale Medien wie Tiktok oder Telegram radikalisiert.

Christian Dussey, Direktor Nachrichtendienst des Bundes, fordert mehr Personal.
Foto: keystone-sda.ch
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«Der NDB hat genügend Instrumente, diese muss er aber effizient einsetzen können», so Müller. Handlungsbedarf ortet er bei Beschaffungsmassnahmen, die gerichtlich bewilligt werden müssen. Beispielsweise die Telefonüberwachung oder die Verwanzung einer Wohnung. «Die Abläufe sind hier träge und komplex, in gewissen Fällen müssen wir die Bewilligungspflicht und -praxis überdenken, damit der NDB rechtzeitig eingreifen kann.» Weiter brauche es auch eine Strategie, mit welchen Partnerdiensten verstärkt zusammengearbeitet werden soll.

Der Geheimdienst befindet sich mitten in einer Neuorganisation. Müller ist auch deshalb in Sachen Stellenaufstockung vorsichtig. «Es ist am NDB und dem Departement, dem Parlament aufzuzeigen, wo welche Mittel in der neuen Struktur benötigt werden.»

200 zusätzliche Stellen gefordert

Die Attacke in Solingen habe an der Terrorgefahr in der Schweiz nichts Grundsätzliches geändert, diese bleibe wie bisher «erhöht», sagt SVP-Ständerat Werner Salzmann (61, BE). Um der Gefahr angemessen zu begegnen, brauche es eine sukzessive Aufstockung des NDB. «In den nächsten Jahren braucht es gut 200 zusätzliche Stellen», so seine Einschätzung. Diese will er durch Stellenverschiebungen innerhalb der Bundesverwaltung schaffen.

Unterstützung bekommt diese Forderung überraschenderweise von linker Seite. So sagt auch SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf (55), dass eine Aufstockung beim NDB diskutiert werden muss. Man werde diese Frage bald in der Sicherheitskommission des Nationalrates besprechen, welche Seiler Graf präsidiert.

«Absolute Sicherheit gibt es nicht»

Es sei wichtig, dass man die Risiken um einen terroristischen Anschlag minimiere. «Und heute muss man sagen, dass die Gefahr von einem terroristischen Anschlag wie jenem in Solingen auch in der Schweiz gesehen wird.» Deshalb sei es aus ihrer Sicht sinnvoller, auch den Nachrichtendienst auszubauen, statt alle Mittel der Armee zu geben. «Trotzdem dürfen wir den Leuten nicht vormachen, dass mit einem Ausbau des NDB ein terroristisches Ereignis ausgeschlossen werden kann. Absolute Sicherheit gibt es nicht.»

Es fehle nicht an Überwachungsmöglichkeiten, sagt auch Salzmann. «Aber wenn wir zu wenig Leute haben, um potenzielle Gefährder zu entdecken und zu überwachen, dann steigt auch bei uns das Risiko.» Seiler Graf möchte zudem eine Sensibilisierung in weiten Kreisen erreichen: «Schulen, Eltern und Vereinstrainer müssen wissen, an wen sie sich wenden können, wenn sie eine mögliche Radikalisierung eines Jugendlichen bemerken», so Seiler Graf.

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